Hamburg/München. Ein Grafftti sorgt für Gesprächsstoff: Ein ICE ist zum „Tunneltampon“ geworden. Dahinter steckt ein seit fast 30 Jahren aktiver Sprayer.

In Bahnerkreisen kursiert für manche ICE die scherzhafte Bezeichnung „Tunneltampon“. Nun fährt einer der Hochgeschwindigkeitszüge auch im Tampon-Look durch die Lande. Der rote Streifen des Zugs ist als Blutspur integriert ins Werk eines Sprayers. Darüber wird jetzt diskutiert und auch geschmunzelt – obwohl es illegal und Sachbeschädigung ist. In Hunderten Beiträgen auf Facebook wird sogar behauptet, es sei eine Auftragsarbeit.

Am 15. November tauchten die ersten Bilder des ICE auf, richtig Wellen schlägt der Zug mit der Blutspur aber erst, seit Twitternutzer @1000Millimeter ihn am Münchner Hauptbahnhof entdeckte und zwei Bilder twitterte. Es ist ein allem Anschein nach das Werk eines „Trainwriters“, der mit Spraydosen seit 1990 aktiv ist und die Deutsche Bahn Hunderttausende Euro gekostet haben dürfte.

Sprayer räumt ein: „Es ist Egoismus“

Razor beim legalen Besprühen eines Waggons in einem Film des Farbenherstellers Molotow.
Razor beim legalen Besprühen eines Waggons in einem Film des Farbenherstellers Molotow. © Molotow/Screenshot | Molotow/Screenshot

Sein Schaffen sei „natürlich auf Kosten der Deutschen Bahn aufgebaut“, hat Razor einmal „Arte“ in einem Interview gesagt. Das sei eine sehr egoistische Einstellung, räumt er offen ein. „In unserer Welt sind wir aber keine Vandalen, wir sind Erschaffer.“ Von ihm gibt es aber zumindest auch Mahnungen, keine Privatleute mit lieblosen Graffiti an deren Häusern zu verärgern.

Twitterer @1000Millimeter zögerte, ob er seine Fotos vom Zug verbreiten sollte. Er hat beruflich mit der Bahn zu tun, twittert viel zu Bahnthemen, aber „eigentlich keine Graffiti“. Schließlich sei das „Sachbeschädigung, in aller Regel hässlich, auf den Fenstern stören sie und das Entfernen kostet Geld, das ich als Kunde mit den Fahrkarten zahlen muss.“ Dazu reduzierten sie die Verfügbarkeit der Wagen. Sein Tweet hat trotzdem inzwischen 5000 „Gefällt mir“-Herzen.

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Roten Streifen schon mehrfach integriert

Die Entdeckung am 23. November gegen 8.30 Uhr am Gleis19 in München hatte er nämlich dann doch geteilt: „Das möchte ich euch nicht vorenthalten. #Tunneltampon wörtlich genommen“. Er habe es irgendwie witzig und kreativ gefunden, wie der rote Streifen einbezogen ist, erklärte er unserer Redaktion.

Und diesen Streifen nutzt der Untergrund-Künstler nicht zum ersten Mal – Razor hat in den vergangenen Wochen auf verschiedene Arten mit dem Streifen gespielt: Einmal schnitt eine aufgesprühte Rasierklinge in den Zug und hinterließ den roten Streifen als Blutspur. Wochenlang fuhr dieser Zug offenbar so, „immer noch unterwegs“, war im August in Razors Instagram-Account zu lesen.

Dann wieder rasierte eine Klinge Haarstoppeln entlang des Streifens weg, auf einem IC wurde der markante Streifen zum Teil eines Geschenkbandes um den Tag „Razor“. Nun spricht alles dafür, dass auch das Tampon auf ihn zurückgeht.

Ex-NPD-Funktionär unterstellt Bahn Auftragswerk

Im Netz gibt es auch manche Stimmen, die das geschmacklos finden. Ein als NPD-Kreisvorsitzender in Bautzen deutschlandweit bekannt gewordener Neonazi schreibt seinen 30.000 Facebookfans empört, das sei ein legal von der Bahn in Auftrag gegebenes Werk. In Hunderten Beiträgen stimmen andere Nutzer ein. Manche Reaktionen sind haarsträubend.

In den meisten Kommentaren zum Foto bei @1000Millimieter und andernorts überwiegt aber distanziertes Lob: Eigentlich ja nicht in Ordnung, aber ...

Razor sagte dem „Stylefile“-Magazin, gutes Graffiti werde von der Bevölkerung in Deutschland aber auch weltweit positiv angenommen und gewinne immer mehr an Popularität. Von der Bahn gibt es erwartungsgemäß eine andere Antwort. Ob insgeheim auch Bahn-Mitarbeiter manches Graffiti gefalle, lasse sich nicht recherchieren, sagt eine Bahnsprecherin auf Anfrage. „Aber es ist klar, dass es immer eine Straftat ist und als solche behandelt wird.“ Die Bahn konnte nach einer Anfrage vom Montagmittag bis zum Dienstagabend noch nicht sagen, ob der „Tampon-ICE“ immer noch unterwegs ist.

Von der Bahn ist auch keine Stellungnahme zu bekommen, wie gut bekannt die Werke von Razor sind. Jeder Kommentar in die Richtung von der Bahn wäre eine Glorifizierung, die die Bahn unbedingt vermeiden will.

Polizeihund biss ihn in den Hintern

Wenig glorreich war eine Begegnung, die der Sprayer 1997 hatte, als er bereits sieben Jahre malte. In seinem bald erscheinenden Buch schildert er, dass ihn ein Polizeihund in den Hintern gebissen hat. Er konnte dennoch entkommen, zwei Kumpels dagegen wurden bei dem Einsatz gefasst. Razors Stellenwert zeigt sich vielleicht auch daran, dass „Streetlove“, ein Magazin für Hip-Hop-Kultur sein Buch zum Buch des Jahres erklärt. Der Writer wirkt auch mit in einem Musikvideo von Samy Deluxe und hat seinen eigenen Fanartikel-Shop. Dort soll das Buch bald zu haben sein. Betreut wird der Shop von einer Agentur, die auch das Portal ilovegraffiti.de betreibt, das „CNN der Graffitiszene“.

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Razor berichtet in dem Buch auch davon, dass er sich in den Anfängen auf die Hamburger Linie S1 konzentriert hatte, um sich einen Namen aufzubauen. Den hat er, und dazu „manchmal das Gefühl, dass ich der Graffiti-Bewegung noch etwas neues geben kann“. Auf Anfragen unserer Redaktion hat er nicht reagiert, in Szene-Magazinen finden sich aber einige Interviews mit ihm.

Prognose: Graffiti werden durch Druck schlechter

Der Umgang mit den Sprayern habe sich seit seinen Anfängen geändert, erzählt er dort etwa: Vor 20 Jahren habe eine Soko Sprayern das Leben schwer gemacht, sagte er dem „Down by law“-Magazin , „heute versucht man, Graffiti direkt vor Ort mit Wachschutz und sofortiger Reinigung zu bekämpfen“. Man müsse jetzt sehr viel Zeit, Kosten und Lebensenergie investieren und das „Trainwriting wirklich sehr lieben, um solche Strapazen auf sich zu nehmen“. Weil illegale Graffiti immer mehr erschwert würden, erwartet er, dass die Qualität der Graffitis an den Zügen und Wänden schlechter wird.

Razor gilt als sehr vorsichtig, nur wenigen Menschen in der Szene soll seine Identität bekannt sein. Er sagte mal: „Die Familie darf es nicht wissen, die Leute in der freien Wirtschaft dürfen es nicht wissen, sonst ist deine Karriere im Arsch.“ Noch ein Grund, es ihm nicht nachzutun. Er wolle auch gar „nicht als Vorbild für illegales Graffiti stehen. Die Leute sollen die Bilder feiern und nicht die Aktion.“

Eine Probefahrt mit dem neuen ICE 4

Mitte September wurde der neue ICE von der Deutschen Bahn offiziell in Berlin vorgestellt. Tags zuvor ruhte er noch in einem Bahnbetriebswerk in der Hauptstadt.
Mitte September wurde der neue ICE von der Deutschen Bahn offiziell in Berlin vorgestellt. Tags zuvor ruhte er noch in einem Bahnbetriebswerk in der Hauptstadt. © dpa | Maurizio Gambarini
Der ICE der vierten Generation soll ab 2017 den Regelbetrieb aufnehmen. Unsere Redaktion war jetzt schon zu einer Probefahrt eingeladen.
Der ICE der vierten Generation soll ab 2017 den Regelbetrieb aufnehmen. Unsere Redaktion war jetzt schon zu einer Probefahrt eingeladen. © Jörg Krauthöfer
So heißen die neuen Screens im ICE 4 die Bahn-Gäste willkommen.
So heißen die neuen Screens im ICE 4 die Bahn-Gäste willkommen. © Jörg Krauthöfer
Seltener Blick in den Führerstand: So sieht es aus, wenn man einen ICE 4 steuert.
Seltener Blick in den Führerstand: So sieht es aus, wenn man einen ICE 4 steuert. © Joerg Krauthoefer
Blick durch einen Passagierwaggon.
Blick durch einen Passagierwaggon. © Jörg Krauthöfer
Etwas geräumiger sind die Gäste-Waggons geworden. Die Sitznummern findet man nicht mehr oben an der Gepäckablage.
Etwas geräumiger sind die Gäste-Waggons geworden. Die Sitznummern findet man nicht mehr oben an der Gepäckablage. © Jörg Krauthöfer
Man kann sie nun am seitlichen Kopfteil der Sitzbänke ablesen.
Man kann sie nun am seitlichen Kopfteil der Sitzbänke ablesen. © Jörg Krauthöfer
In der ersten Klasse warten auf Bahnkunden unter anderem in die Sitze integrierte Leselampen.
In der ersten Klasse warten auf Bahnkunden unter anderem in die Sitze integrierte Leselampen. © Jörg Krauthöfer
Im ICE 4 soll (endlich) auch das Wlan funktionieren – und das für alle Fahrgäste sogar kostenlos. Auf unserer Probefahrt gab es nichts zu meckern.
Im ICE 4 soll (endlich) auch das Wlan funktionieren – und das für alle Fahrgäste sogar kostenlos. Auf unserer Probefahrt gab es nichts zu meckern. © Jörg Krauthöfer
Fehlte in den älteren ICE-Generationen gänzlich: Platz für Fahrräder.
Fehlte in den älteren ICE-Generationen gänzlich: Platz für Fahrräder. © Jörg Krauthöfer
Ein Wagen der 2. Klasse mit neu gestalteter Gepäckablage.
Ein Wagen der 2. Klasse mit neu gestalteter Gepäckablage. © Jörg Krauthöfer
Auch das Bordrestaurant hat sich verändert.
Auch das Bordrestaurant hat sich verändert. © Jörg Krauthöfer
Zum Beispiel im Sitzbereich.
Zum Beispiel im Sitzbereich. © Jörg Krauthöfer
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