Berlin. Erste Langzeitstudien haben ergeben, dass die Trennung der Eltern die betroffenen Kinder anfälliger für bestimmte Krankheiten macht.

Die Familienfeste sind für Katharina Strittmayer (37) nicht die schönen, sondern die schwierigen Tage. An diesen kommt alles wieder hoch: warum ihr Vater zwei Stunden später kommt, wenn die Mutter schon gegangen ist. Warum ihr Bruder kein Wort mit dem Vater spricht. Die Eltern von Strittmayer trennten sich, als sie 13 Jahre alt war. Heute hat sie eine Tochter, einen Freund und somit ihre eigene Familie gegründet. Und dennoch hat sie die Wut auf ihre Eltern und ein Gefühl der Schuld nie losgelassen.

„Es ist unlogisch“, sagt die gelernte Schneiderin aus Köln. „Aber ich fühle mich nach wie vor, als hätte ich als Kind etwas falsch gemacht.“ Dabei gehe es doch immer um ihre Eltern. Dazu kommen für Strittmayer oft Gefühle unerklärlicher Wut- und Verlustängste auf, wenn es um ihre Partnerschaft geht. „Wenn ich mit meinem Freund streite, ist das oft sehr schlimm für mich, weil mich immer das Gefühl begleitet, dass er weg sein könnte.“

Passiv-aggressiver Umgang ist meist das schlimmste

Erst heute macht sie eine Therapie, reflektiert langsam, was die ganze Zeit unterschwellig in ihr grummelte – die nicht sauber verarbeitete Scheidung ihrer Eltern. Die Berliner Psychologin Miriam Junge kennt Katharina Strittmayers Fall nur zu gut. „Es kommen mittlerweile viele mit einem Therapie-Anliegen zu mir, die nach einer Trennung oder in einer Beziehung unter Motivationsverlust oder sogar Depressionen leiden.“ In der Anamnese stelle Miriam Junge dann oft fest: Die Eltern haben sich in der Kindheit getrennt und haben im schlimmsten Fall nicht offen gestritten, sondern immer einen passiv-aggressiven Umgang miteinander gepflegt.

Tatsächlich ist die Verarbeitung der elterlichen Scheidung eine lebenslange Aufgabe. Die Generation der heute 30- bis 40-Jährigen ist die erste, in der die Zahl der Scheidungen der eigenen Eltern laut Statistischem Bundesamt in die Höhe schnellte. Ließen sich im Jahr 1954 noch rund 50.000 Paare in der DDR und in Westdeutschland scheiden, waren es im Jahr 1994 im gesamtdeutschen Raum schon dreimal so viele – rund 150.000. Heute liegt die Zahl der jährlichen Scheidungen konstant bei um die 200.000, die Zahl der erwachsenen Scheidungskinder in Deutschland bei rund 15 Millionen.

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    Die Angst, in seiner Beziehung zu scheitern, ist oft sehr groß

    Eine Gruppe, die zunehmend auch die Wissenschaft beschäftigt. So fand eine aktuelle US-Studie der Carnegie-Universität in Pittsburgh heraus, dass sich das unterschwellige Leiden vieler erwachsener Scheidungskinder anhand klinischer Studien sogar nachweisen lässt. Sie leiden vermehrt unter psychosozialen und gesundheitlichen Problemen. Sie entwickeln häufiger Allergien und haben selbst als Erwachsene noch ein höheres Risiko für grippale Infekte und Herzinfarkte. Innerhalb der Auswertung spricht Studienleiter Michael Murphy von „lebenslang anhaltenden Immunbeeinträchtigungen.“

    Und auch hierzulande schlagen sich die möglichen lebenslangen Symptome von erwachsenen Scheidungskindern in Untersuchungen nieder. Laut einer Langzeitstudie des Scheidungsforschers Ulrich Schmidt-Denter ist dabei die Trennungsphase der eigenen Eltern für Kinder besonders prägend. In den 90er-Jahren interviewte der Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Köln 60 Scheidungsfamilien.

    „Ständiges dumpfes Gefühl der Traurigkeit um das Thema Familie“

    Dabei forschte er auch gezielt über die Frage: Schaffen es die Eltern danach wieder, eine harmonische Beziehung aufzubauen, oder mündet die Scheidung in jahrelangen Streitereien, die das Kind belasten? Letzteres hat Jan Fürst erlebt, aber, wie er sagt, „bis zum 40. Lebensjahr erfolgreich verdrängt“. Als er selbst Vater wurde, bemerkte er erst ein „ständiges dumpfes Gefühl der Traurigkeit um das Thema Familie“ in sich, obwohl von außen alles okay war. „Wir hatten ein gesundes Kind bekommen, wir verstanden uns gut“, sagt der Rechtsanwalt aus Hamburg. In einer Therapie fand Fürst heraus: Seine Angst zu scheitern, jetzt, wo er eine eigene Familie hatte, beherrschte ihn plötzlich.

    „Meine Beobachtung ist, dass immer mehr erwachsene Scheidungskinder heutzutage ein Problem bei sich erkennen, das sie auf einmal einholt, und dann eine Therapie beginnen“, weiß Psychologin Miriam Lange. Sie arbeitet dann mit sogenannten schematherapeutischen Interventionen. Was bedeutet, dass man versucht, das innere Kind zu sehen, das leidet und sich stellvertretend für seine Eltern schuldig fühlt. „Und diese Schuld spürt der Patient dann häufig im Erwachsenenalter. Nur dass er sie nicht einordnen kann und mit Eifersucht oder Wut reagiert“, erklärt sie. Es gehe dann darum, den erwachsenen Anteil in sich anzuregen. Zu sehen, dass es keinen Grund zur Sorge gibt.

    Katharina Strittmayer ist in einer ähnlichen Therapie wie Fürst in ihrer Heimat Köln. „Meine Sorge war, dass meinem Freund und mir das auch passiert.“ Langsam, so sagt sie, habe sie gelernt, mit dieser Angst umzugehen. Und dennoch: Genießen können wird sie Familienfeste wohl nie.