Berlin/Paris. Vor allem in Frankreich betätigen sich immer mehr Menschen als Exozisten. Die Motive für die Austreibungen sind dabei sehr vielfältig.

In Anbetracht der Tatsache, dass Jean Clément (60) regelmäßig den Kampf mit bösen Dämonen aufnimmt, ist der Beamte aus dem Pariser Umland eigentlich ein ganz vernünftiger Typ. In wenigen Monaten wird er in Rente gehen, für seinen Ruhestand hat er vorgesorgt. Denn Jean Clément ist Exorzist – und wie viele seiner Mitbewerber ein viel gefragter Geschäftsmann. Drei bis vier Mal in der Woche macht er Hausbesuche. Für eine Sitzung nehmen seine Kollegen und er 100 bis 500 Euro.

Kaum zu glauben, aber längst Alltagsrealität: In Frankreich boomt das Geschäft mit dem Exorzismus. Alessandra Nucci, italienische Journalistin und Korrespondentin im Vatikan, berichtete jüngst von der steigenden Zahl der Laien-Exorzisten überall in Europa, insbesondere in Frankreich. Über 100 Exorzisten seien durch die vom Vatikan anerkannte „Internationale Vereinigung der Exorzisten“ von der katholischen Kirche allein in Frankreich registriert. Die meisten seien jedoch laut Alessandra Nucci nicht aktiv.

Exorzist reist landesweit mit mobilem Altar umher

Ein spirituelles Vakuum, das sich Jean Clément und seine Mitstreiter zunutzen machen. „Viele Menschen sind heutzutage gestresst und verängstigt. Sie leiden an psychischen Krankheiten und suchen nach religiöser Orientierung“, sagt der französischen Exorzist unserer Redaktion. Mittlerweile, erzählt er, werde seine Webseite rund 360-mal pro Tag aufgerufen. Daraus würden sich mindestens drei Termine pro Woche ergeben. Für einige Anfragen reise er auf Kosten der Kunden durch ganz Frankreich.

Exorzismus, das klingt für viele nach düsterem Mittelalter und gruseligen Beispielen aus Film und Literatur. Bei Jean Clément geht eine Sitzung relativ nüchtern über die Bühne. So empfiehlt der Pensionär in spe, der immer mit eigenem Altar anreist, seinen Kunden, 24 Stunden vor dem Exorzismus enthaltsam zu sein und kein rotes Fleisch zu essen.

Privatpersonen wollen Häuser von Geistern befreien

Die Zeremonie selbst besteht dann laut Beschreibung aus Gebeten und der Lossagung von „negativen Energien und Schwingungen“. Meistens gehe er zu Privatpersonen, die ihr Haus von bösen Geistern reinigen lassen wollten, manchmal sogar in Botschaften oder öffentliche Gebäude in Paris. In solchen Fällen sei laut Jean Clément die Gewinnspanne deutlich höher.

In Deutschland ist die freie Berufsbezeichnung „Exorzist“ weniger geläufig, Heilungsrituale oder Geisteraustreibung aber durchaus gefragt. Das berichtet ein Pastor einer Berliner Freikirche, der einen sogenannten Befreiungsdienst anbietet, aber namentlich nicht genannt werden möchte. Das Thema sei heikel, da durch Filme und viele tragische Extremfälle negativ besetzt.

Katholische Kirche geht offen mit dem Thema um

Zu groß, so hört man hinter vorgehaltener Hand, sei die Angst vor erneuten Skandalen wie dem Fall der Anneliese Michel aus dem Jahr 1976. Damals starb die 23-jährige Studentin im unterfränkischen Klingenberg. Zwei katholische Priester hatten über mehrere Wochen versucht, ihr einen Dämon auszutreiben. Sie starb langsam an Unterernährung. Der preisgekrönte Film „Requiem“ handelt von ihrem Schicksal. Auch deshalb, so der Priester, wollten viele Gemeindemitglieder ihre Anfragen nach einem Exorzismus anonym behandelt wissen.

Das obwohl die katholische Kirche in Deutschland und auch der Papst völlig offen mit dem Thema umgehen. Erst im März hatte Papst Franziskus den Einsatz von Exorzisten als unverzichtbar bezeichnet. Zur Beichte erschienen bisweilen Menschen mit „spirituellen Störungen“. Sofern diese nicht, wie in den meisten Fällen, psychische Ursachen hätten, dürften Seelsorger „nicht zögern, sich an diejenigen zu wenden, die in den Bistümern mit diesem sensiblen und notwendigen Dienst betraut sind“, sagte Franziskus.

Exorzismus nur bei „Besessenheit“ erlaubt

Laut dem Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz gehen die deutschen Bischöfe verantwortlich mit den Anfragen von Menschen um, die sich als „besessen“ empfinden oder bezeichnen. „Der Diözesanbischof entscheidet, wem er die Erlaubnis für einen Exorzismus gibt. Es gibt in den Diözesen Priester und andere Ansprechpartner, die kompetent für die Begleitung solcher Menschen sind“, erklärt Matthias Kopp. Zu dieser Kompetenz gehöre es auch zu erkennen, ob „Besessenheit“ wirklich vorliege. Nur dann sei ein Exorzismus überhaupt erlaubt. Laut Kopp gebe es Möglichkeiten medizinischer Behandlung in Kombination mit seelsorglicher und liturgischer Begleitung.

Auf Nachfrage in den Gemeinden bekommt man allerdings in den seltensten Fällen einen Pfarrer vermittelt, der bereit ist, als Exorzist eine Dämonenaustreibung zu vollziehen. Viele verweisen auf die Seelsorge innerhalb der Gemeinden.

Dass das langfristig nicht ohne Folgen bleiben wird, dessen ist sich die Vatikan-Korrespondentin Alessandra Nucci sicher: „Die katholische Kirche hat lange das Thema Exorzismen vernachlässigt, obwohl es eine hohe Nachfrage aus der Bevölkerung gab.“ Erst dadurch sei die Szene der freien Exorzisten, die im Verborgenen floriert, europaweit entstanden.