Berlin. Kein Menschen hat Dinosaurier je gesehen. Doch Paläokünstler zeigen mit Fantasie und Wissenschaft, wie sie ausgesehen haben könnten.

Das Wasser im Glas erzittert, ein blutiges Ziegenbein klatscht auf das Autodach, dann reißt ein riesiger Tyrannosaurus rex den Zaun seines Geheges ein und stapft mit lautem Gebrüll heraus. Diese dramatisierte Darstellung aus dem 1993er Kinoklassiker „Jurassic Park“ sollte auf Jahrzehnte das Bild des mächtigen Dinosauriers prägen – und Wissenschaftler hatten daran großen Anteil.

Es war wohl das erste Mal, dass eine Gemeinschaftsarbeit von Kreativen und Paläontologen eine derart große Öffentlichkeit erreichte und eine ganze Generation an Echsenenthusiasten hervorbrachte. Abseits der Kinoleinwand kreuzten sich die Wege von Kunst und Knochengräbern schon deutlich früher und begründeten das Genre der Paläokunst.

Das 1830 entstandene Aquarell „Duria Antiquior“ des Geologen Henry Thomas de la Bèche gilt als eines der ersten Werke, das auf tatsächlichen fossilen Funden beruht. Mehrere großäugige Fischsaurier gehen sich darauf an die Gurgel. Nur anhand von uralten Knochen und versteinerten Hinterlassenschaften ersann der Brite die Wesen, die nie ein Mensch gesehen hatte.

Über Hautstruktur und Farbe ist fast nichts bekannt

„So viel Freiheit hat man bei keiner Art, die noch lebt“, sagt der promovierte Paläontologe Frederik Spindler, „der Betrachter weiß nie, wie weit die Wissenschaft geht und wo die Fantasie des Künstlers anfängt – das gilt auch heute noch.“ Spindler ist wissenschaftlicher Leiter des Dinosaurier-Parks Altmühltal und freiberuflicher Paläoartist – einer von sehr wenigen Deutschen, die mit der Dinokunst Geld verdienen. Heißt: Er malt Dinosaurier für Bücher oder Museen, modelliert Skulpturen für Ausstellungen. Wie einst De la Bèche nutzt er sein Fachwissen, um darzustellen, wie die Urzeitechsen mit Schuppen, Schild oder Stacheln aussahen, wie sie standen, fraßen, kämpften.

„Über die Haltung der Tiere lässt sich oft viel schließen, je nachdem wie viel von dem Skelett gefunden wurde“, sagt Spindler, „die Hautstruktur ist nur in Teilen bekannt, über die Farbe weiß man meist gar nichts“. Auch hierfür ist der Tyrannosaurus rex ein prominentes Beispiel. Waren die reptilienartigen Schuppen in den 90ern, als der Riese panische Menschen durch den Jurassic Park jagte, noch wissenschaftlicher Konsens, gehen einige Forscher heute davon aus, dass der Saurier Federn trug.

Hautfetzen widerlegen die These vom gefiederten T. rex

Paläokünstler prägen Dinosaurier-Bild

Das Aquarell „Duria Antiquior“ von Henry De la Bèche gilt als erstes Werk aus dem Genra der Paläokunst. Es zeigt Fischsaurier im urzeitlichen Dorset – einer Grafschaft in England. Wir zeigen eine Bandbreite dieser Kunst.
Das Aquarell „Duria Antiquior“ von Henry De la Bèche gilt als erstes Werk aus dem Genra der Paläokunst. Es zeigt Fischsaurier im urzeitlichen Dorset – einer Grafschaft in England. Wir zeigen eine Bandbreite dieser Kunst. © Henry De la Beche
„Tyrannosaurus und Edmontosaurus“ entstand 1976. Die Kanadierin Ely Kish zählt zu den wenigen einflussreichen Frauen unter den Paläokünstlern. Ihre Gemälde prägten das Bild der Dinosaurier des 20. Jahrhunderts.
„Tyrannosaurus und Edmontosaurus“ entstand 1976. Die Kanadierin Ely Kish zählt zu den wenigen einflussreichen Frauen unter den Paläokünstlern. Ihre Gemälde prägten das Bild der Dinosaurier des 20. Jahrhunderts. © Eleanor Kish, © Canadian Museum of Nature
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, mithilfe derer Charles R. Knight 1897 Brontosaurus und Diplodocus malte, gelten heute als veraltet. Die Schwänze der langhalsigen Saurier hingen nach heutigem Stand nicht auf dem Boden und sie lebten nicht nicht im Wasser.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, mithilfe derer Charles R. Knight 1897 Brontosaurus und Diplodocus malte, gelten heute als veraltet. Die Schwänze der langhalsigen Saurier hingen nach heutigem Stand nicht auf dem Boden und sie lebten nicht nicht im Wasser. © Charles R. Knight
Auch Alexei Petrovich Bystrow gehörte zu den prägenden Paläokünstlern des vergangenen Jahrhunderts. Sein Inostrancevia – ein urzeitliches Raubtier –, der einen Pareiasaurus verspeist, entstand 1933.
Auch Alexei Petrovich Bystrow gehörte zu den prägenden Paläokünstlern des vergangenen Jahrhunderts. Sein Inostrancevia – ein urzeitliches Raubtier –, der einen Pareiasaurus verspeist, entstand 1933. © Borrissiak Paleontological Institute RAS
Konstantin Konstantinovich Flyorov malte seine Vision eines Tarbosaurus, ein Verwandter des Tyrannosaurus rex, im Jahr 1955. Er legte besonderen Wert auf die Farbgebung seiner Werke und stach damit hervor.
Konstantin Konstantinovich Flyorov malte seine Vision eines Tarbosaurus, ein Verwandter des Tyrannosaurus rex, im Jahr 1955. Er legte besonderen Wert auf die Farbgebung seiner Werke und stach damit hervor. © Borrissiak Paleontological Institute RAS
Der Paläontologe und Paläokünstler Frederik Spindler erstellt Skulpturen für Ausstellungen, sein Fachwissen kommt ihm dabei zugute.
Der Paläontologe und Paläokünstler Frederik Spindler erstellt Skulpturen für Ausstellungen, sein Fachwissen kommt ihm dabei zugute. © BM | Frederik Spindler
Auch Gemälde zählen zum Repartoir von Paläokünstler Frederik Spindler.
Auch Gemälde zählen zum Repartoir von Paläokünstler Frederik Spindler. © BM | Frederik Spindler
Ein kleiner, primitiver Ceratopsier (Horndinosaurier) aus Nordamerika – kreiert vom deutschen Paläokünstler Joschua Knüppe.
Ein kleiner, primitiver Ceratopsier (Horndinosaurier) aus Nordamerika – kreiert vom deutschen Paläokünstler Joschua Knüppe. © BM | Joschua Knüppe
Als im August 2017 im Landesmuseum Hannover eine neue Art in der Sammlung entdeckt wurde, erstellte Paläokünstler Joschua Knüppe die erste Zeichnung des  Plesiosauriers Lagenanectes richterae.
Als im August 2017 im Landesmuseum Hannover eine neue Art in der Sammlung entdeckt wurde, erstellte Paläokünstler Joschua Knüppe die erste Zeichnung des Plesiosauriers Lagenanectes richterae. © BM | Joschua Knüppe
Joschua Knüppe beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit marinem Leben im steinzeitlichen Sachsen. Hier umkreisen schwarzweiße Polycotyliden, Schildkröten, Haien und andere Fische und Schalentiere einen toten Elasmosaurus.
Joschua Knüppe beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit marinem Leben im steinzeitlichen Sachsen. Hier umkreisen schwarzweiße Polycotyliden, Schildkröten, Haien und andere Fische und Schalentiere einen toten Elasmosaurus. © BM | Joschua Knüppe
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Dafür gebe es ebenso viele Belege wie für die These, dass Menschenvorfahren wie der Australopithecus Fell hatten, erklärten chinesische Forscher 2012 nach dem Fund eines Tyrannosaurus-Vorfahren. Dessen Körper sei von Kopf bis Schwanz mit Daunen bedeckt gewesen, schrieben sie im Fachblatt „Nature“. Paläokünstler griffen die neuen Erkenntnisse auf und kreierten Abbildungen eines vogelähnlichen T. rex – nur um sie im Juni dieses Jahres wieder zu verwerfen.

Paläontologen der kanadischen University of New England hatten in den USA gut erhaltene Hautfetzen der Echse geborgen. Zumindest Hüfte, Brust, Nacken und Schwanz der Tiere waren demnach schuppig. T. rex hatte das Federkleid der Vorfahren evolutionsbedingt wieder abgeworfen, mutmaßten die Forscher. Doch während solche Nachrichten erst spät und vereinfacht an die Öffentlichkeit dringen, steigt der Paläokünstler teils schon ein, wenn die Wissenschaftler noch an ihrer Publikation arbeiten.

„Durch gezielte Fragen kann er sogar noch Wesentliches beitragen“, sagt Spindler: „Konnte das Tier mit dieser Schädelform wirklich jagen? Bewegte es sich mit diesen Füßen durch Sumpf oder doch auf Sand?“ Die Kenntnis der wissenschaftlichen Materie sei dabei unumgänglich. Trotzdem sind bei Weitem nicht alle Paläokünstler auch Paläontologen.

Wunschtraum wissenschaftliche Genauigkeit

„Wissenschaftler und Künstler stehen sich in diesem Feld gleichberechtigt gegenüber“, sagt Joschua Knüppe. Er studiert freie Kunst an der Kunstakademie Münster und hat gemeinsam mit Forschern schon zahlreiche neu entdeckte Arten auf dem Papier wieder zum Leben erweckt. „Letztlich definiert Paläokunst sich nicht über wissenschaftliche Genauigkeit – das ist nur ein Wunschtraum. Sie definiert sich über den Versuch dazu und dafür braucht es viel Kreativität“, erklärt der 25-Jährige.

Er selbst stieg 2009 über die Onlineplattform „Deviantart“ ein, auf der zahlreiche Künstler ihre Stücke hochladen. „Da sind auch viele Wissenschaftler unterwegs, die Arbeiten kommentieren oder auf Studien verweisen“, so Knüppe. Doch ab einem gewissen Punkt müsse man sich auch selbst in der Wissenschaft zurechtfinden, wenn man professioneller werden wolle, stimmt er Spindler zu.

Eine Hand voll Profis teilt deutschen Markt unter sich auf

„Ich habe mir das Wissen nach und nach angelesen, Kongresse besucht, Kontakte geschlossen“, so bekam er seine ersten Aufträge. Einen geregelten Weg zum Paläo-Artist gibt es bislang nicht, keine Ausbildung, kein Studium. Es gibt einige wenige Programme, die in diese Richtung gehen, „zum Beispiel gibt es an der Universität Zürich den Bachelor Scientific Visualization“, erklärt Spindler, sie seien aber die Ausnahme und behandelten nicht speziell die Paläontologie.

Ohnehin ist die Gemeinschaft professioneller Paläokünstler in Europa klein im Vergleich zu den USA, Russland oder Japan. Vier bis fünf bekanntere Profis teilen den deutschen Markt unter sich auf, schätzt Knüppe. Oft arbeiten sie gemeinsam mit Wissenschaftlern an Knochenfunden auf deutschem Boden, Knüppe selbst befasst sich etwa verstärkt mit marinem Leben im urzeitlichen Sachsen.

Heute sind viele Dinos digital

Charles R. Knights „Brontosaurus“ entstand 1897.
Charles R. Knights „Brontosaurus“ entstand 1897. © Charles R. Knight

„Nicht mitgezählt sind dabei Paläokünstler, die zum Beispiel 3-D-Modelle und Skulpturen für Parks oder Filme bauen – die vergisst man häufig“, ergänzt er. Auch Animatoren fielen oft aus dem Raster. Denn während einige seiner künstlerischen Vorbilder wie Charles R. Knight, Douglas Henderson und Ely Kish – eine der wenigen Frauen, die das Bild der Dinosaurier im 20. Jahrhundert wesentlich mitbestimmte – zu Öl, Wasserfarben, Kreide oder Bleistift griffen, entstehen heute viele Illustrationen an Tablet und Computer. „Das macht Änderungen einfacher“, sagt Knüppe. Er selbst bevorzuge Aquarelle, während sein Kollege Spindler überzeugt ist, „an Öl kommt nichts heran“.

Für Computerspiele, Filme, und zunehmend auch für Museen spielen digitale Dinos mittlerweile die wichtigere Rolle. Merklich ausgefeilter als noch bei „Jurassic Park“ donnern die Urzeittiere heute über die Bildschirme. Der wissenschaftliche Anspruch fällt dabei allerdings bisweilen hinter lauten Effekten zurück. So waren viele Paläontologen und -künstler von der 2015 veröffentlichten Jurassic-Park-Fortsetzung „Jurassic World“ enttäuscht.

„Die Filme kopieren sich nur noch selbst, die Anatomie der Saurier hat nichts mehr mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu tun“, sagt Knüppe. Ob der mittlerweile fünfte Teil der Reihe „Jurassic World 2: Das gefallene Königreich“, der im nächsten Jahr ins Kino kommt, einen T. rex mit Federn zeigt? Bleibt abzuwarten.

Buch-Tipp: Bildband „Paleo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“, ZoeёLescaze,
Taschen-Verlag, 292 Seiten, 75 Euro