Berlin. Senioren werden zunehmend Opfer brutaler Raubüberfälle in ihrem Zuhause. Die Polizei registriert eine zunehmende Gewaltbereitschaft.

Das Ehepaar war völlig arglos, als es nach Hause kam. Eine ruhige Frankfurter Wohnstraße, gegen halb zehn an einem dunklen Oktoberabend: Im Hausflur treffen die beiden Besitzer eines Schmuckgeschäfts auf ein Einbrecher-Trio.

Später nimmt die Polizei drei junge Männer fest, sie sind 19 bis 25 Jahre alt und stammen aus Osteuropa. Im Hausflur prügeln sie sofort auf das Rentnerpaar ein. Mit Schlägen und Tritten verletzen sie den 78-Jährigen und seine gleichaltrige Frau schwer, anschließend fesseln sie sie. Als Nachbarn laute Hilfeschreie hören, rufen sie die Polizei, doch für den Mann kommt die Rettung zu spät: Er stirbt noch in der Nacht im Krankenhaus.

Lange Liste trauriger Raubüberfälle

Sein Tod reiht sich ein in eine lange Liste trauriger Raubüberfälle, bei denen die Täter es offenbar gezielt auf ältere Opfer abgesehen hatten: In Haan bei Düsseldorf wurde kürzlich ein 82-Jähriger bei seiner Heimkehr überwältigt und gefesselt – die Einbrecher drohten ihm mit dem Tod, sollte er nicht verraten, wo seine Wertsachen versteckt sind.

In Kassel wurde die Leiche eines 77-Jährigen entdeckt, der in seiner Wohnung durch „Gewalt gegen den Körper“ getötet wurde, wie die Polizei mitteilt. In Essen überrumpelten Räuber einen Mann (93) und dessen Frau (86) an der Tür, drangen in deren Haus ein und fügten dem alten Herren schwere Gesichtsverletzungen zu. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Besorgt fragen sich nun viele, ob die Brutalität gegen Senioren eine neue Dimension erreicht.

Tatsächlich werden Menschen über 60 nicht öfter überfallen als vor zehn Jahren, wie ein Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt. Polizei, Justiz und Opferverbände beobachten jedoch, dass es keine Hemmschwelle mehr gibt, hilflosen Senioren Gewalt anzutun. Arnold Plickert von der Polizeigewerkschaft GdP stellt fest: „Wir leben in einer älter werdenden Gesellschaft. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass diese Zielgruppe noch stärker in den Fokus von Tätern rückt.“

Polizei warnt vor organisierten Banden

Die Polizei registriert bereits seit einigen Jahren eine zunehmende Gewaltbereitschaft. Immer häufiger begnügen sich Einbrecher nicht damit, das Haus nach Wertgegenständen zu durchsuchen, heißt es.

Stattdessen versuchen sie, von den Bewohnern die EC-Kartennummern zu erpressen. Erst im Juli standen fünf Männer wegen Raubes mit Todesfolge vor Gericht. Sie hatten einen 81-Jährigen in Tönisvorst am Niederrhein mit Stromschlägen und Fausthieben malträtiert, um an dessen Tresorschlüssel zu gelangen. Laut Staatsanwältin gingen sie „absolut skrupellos und brutal“ vor.

Die GdP warnt vor organisierten osteuropäischen Banden , die es gezielt auf Rentner abgesehen haben. „Sie foltern das Opfer so lange, bis es die Information preisgibt. So ein Vorgehen ist nicht an der Tagesordnung, aber es kommt vor“, sagt Plickert.

Banden suchen in Telefonbüchern nach Opfern

Häufig suchen die Kriminellen in Telefonbüchern nach alten Vornamen und den dazugehörigen Adressen. Oder sie überfallen Menschen, von denen sie sicher sind, dass sie Geld haben. So wie im September 2016: Damals drangen Räuber ins Haus eines bekannten niedersächsischen Agrar-Unternehmers ein und töteten den 78-Jährigen – zuvor hatte der Mann für Schlagzeilen gesorgt, weil er einen Teil seines Vermögens beim Hamburger SV investierte. Seniorenberater von der Polizei raten, keine Fremden in die Wohnung zu lassen und Türen durch Ketten und Kasten-Bügel-Schlösser zu sichern.

Natürlich handelt es sich bei diesen Beispielen um Einzelfälle, nicht jeder Raub endet tödlich. Doch die häuslichen Überfälle führen oft dazu, dass die Opfer jegliche Lebensqualität verlieren. „Bei Raubüberfällen entwickeln etwa 20 bis 30 Prozent der Betroffenen eine posttraumatische Belastungsstörung“, sagt Anna Ferdinand von der Opferschutzorganisation Weißer Ring.

Ältere Menschen hätten es besonders schwer, dies zu verarbeiten, weil viele kaum Gelegenheit hätten, darüber zu sprechen. „Es kommt auf die Persönlichkeit des Einzelnen und die Begleitumstände an, wie jemand als Mensch damit umgeht“, sagt Ferdinand. „Manche brauchen nur wenige Therapiestunden, andere verwinden es gar nicht.“