Berlin. Sie hausen unter einem Dach mit Hunderten von Katzen, Hunden oder anderen Haustieren: Immer mehr Tiermessies beschäftigen die Behörden.

Für die Handwerker war es ein ganz normaler Auftrag, der sie kürzlich in ein unscheinbares Haus nach Esslingen vor den Toren Stuttgarts führte. Als sie jedoch den Keller betraten, stießen sie unvermittelt auf einen besonders schlimmen Fall von Tierverwahrlosung: Mehr als 100 Widderkaninchen kauerten dort in Unmengen von Exkrementen. Helfer des Veterinäramts berichteten später von einem unbeschreiblichen Gestank.

Die meisten Tiere waren krank und halb blind, bis zu ihrer Rettung hatten sie noch nie das Tageslicht gesehen. Die Enge des Kellerraums und die schlechte Versorgung machten sie zu Kannibalen, manche hatten abgefressene Ohren. Der Besitzer war mit der Haltung völlig überfordert. Trotzdem zeigte er sich gegenüber dem Veterinäramt uneinsichtig: Den Tieren gehe es doch gut bei ihm, was man eigentlich von ihm wolle?

Betroffene wenden sich von Menschen ab

Überall in Deutschland können Tierärzte von solchen Fällen erzählen. „Betroffen sind vor allem alleinstehende Frauen ab 50. Es ist ein gesellschaftliches Problem geworden“, sagt Daniela Rickert von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) und meint das Phänomen „Animal Hoarding“ (Tierhortung). Dieser Fachbegriff beschreibt Menschen, die einen zwanghaften Tiersammeltrieb ausleben. „Die Betroffenen haben in ihrer Vergangenheit seelische Verletzungen erlebt. Sie wenden sich von Menschen ab, die Tiere bieten ihnen ersatzweise Trost und Liebe.

Irgendwann eskaliert das Ganze, und die Tiere leiden darunter“, berichtet die Akademie für Tierschutz. Zahlen gibt es kaum, „die Dunkelziffer ist hoch“, so TVT-Expertin Rickert. In den Vereinigten Staaten, wo es einige Forschungsarbeiten zum Thema gibt, gehen Wissenschaftler von bis zu 3000 aufgedeckten Fällen pro Jahr aus – Tendenz steigend. Eine neue US-Studie empfiehlt, Animal Hoarding als psychische Krankheit anzuerkennen.

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    Zwang beginnt oft ganz harmlos

    Fest steht, dass die Betroffenen mehr Tiere halten, als sie versorgen können. Oft beginnt der Zwang ganz harmlos, etwa mit ein paar Straßenhunden, die die Betroffenen aus dem Spanien-Urlaub mitbringen. Ein extremer Fall spielte sich vor einigen Jahren in Duisburg ab. Dort stürmte die Polizei ein Einfamilienhaus – Nachbarn hatten sich über Gebell und Gestank beschwert.

    Was sie fanden, erinnerte sie an eine Tierhölle: Die Bewohnerin lebte zusammen mit 239 Hunden. Das Haus habe sich in einem „unbeschreiblichen Zustand“ befunden, erklärte später ein geschockter Stadtsprecher. „Die Situation sprengte das Vorstellungsvermögen der Beamten.“

    Situation wächst Haltern über den Kopf

    Weil den Haltern die Situation über den Kopf wächst, tragen Veterinäre regelmäßig unterernährte, verdreckte und kranke Tiere aus viel zu engen Wohnungen. Daniela Rickert, die als Amtstierärztin in Nürnberg arbeitet, erinnert sich an mehrere Fälle, in denen sie in Käfigen oder hinter Schränken auf skelettierte Kadaver stieß.

    „Einmal kam ich in eine völlig verschmutzte Wohnung, in der unzählige Hunde, Reptilien, Fische und Vögel eingesperrt waren. Die Hunde waren angebunden, die Katzen in einem fensterlosen Badezimmer eingeschlossen. Das war so ein eklatanter Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, die haben wir sofort mitgenommen.“

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      Die Rückfallquote ist enorm

      Das Problem bei solchen Beschlagnahmungen: Für die Unterbringung der Tiere muss das Veterinäramt aufkommen – bei Hunderten Tieren liegen die Kosten schnell im fünfstelligen Bereich. Den Tieren ist damit kaum geholfen, denn wegen ihres schlechten Zustands sind sie häufig unvermittelbar.

      Eine Horterin aus Hessen war so verzweifelt, dass sie versuchte, die Störenfriede mit einem Jeep zu überfahren, als Veterinäre ihre Tiere beschlagnahmen wollten. Werden sie nicht kontrolliert, schaffen sich Betroffene einfach neue Schützlinge an. „Wenn ihnen die Tiere weggenommen werden, werden sie zu 100 Prozent rückfällig“, warnt eine Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes.

      Tierärzte fordern Einführung eines Sachkundenachweises

      Die Tierärztliche Vereinigung fordert daher eine Art Führerschein für Halter von Vierbeinern. Wer im Zoogeschäft Kaninchen kaufen wolle, müsste einen Sachkundenachweis vorzeigen. „Animal Hoarder quälen die Tiere nicht, weil sie böse sind“, sagt Daniela Rickert, „sondern weil sie keine Ahnung haben, wie sie sich kümmern müssten.“