Berlin. Im Herbst fliegen Millionen Vögel in ihre Winterquartiere. Um die Tausenden Kilometer zurückzulegen, haben sie Strategien entwickelt.

Raues Schnattern hoch am Himmel, eine Pfeilformation, unruhige Flügelschläge: Graugänse sind das untrügliche Zeichen für den Herbstbeginn. Jedes Jahr machen sie sich mit Millionen anderen Vögeln aus Deutschland, mit Milliarden aus ganz Europa, auf den Weg Richtung Süden. Sie fliegen Tausende Kilometer, einige in den charakteristischen Formationen, andere im Schwarm oder allein. In diesen Tagen erreicht der Zug seinen Höhepunkt.

Wann es Zeit wird für Zugvögel

Der Beginn der Reise kündigt sich mit der Zugunruhe an. „Die Tiere merken innerlich, dass sie sich auf den Weg machen müssen“, sagt Eric Neuling, Referent für Vogelschutz beim Naturschutzbund (Nabu) Deutschland. Denn mit dem abnehmenden Licht sinken auch die Temperaturen, das Nahrungsangebot wird schmaler. Die ersten Vögel machen sich bereits im August auf den Weg, die letzten im November.

Doch nicht jedes Wetter eignet sich für die Reise. Besonders größere Vögel wie der Kranich warten auf nördliche Winde, um sich von ihnen tragen zu lassen. „Kommt der Wind von Süden, den Tieren also auf ihrer Route entgegen, kostet sie das unnötig viel Energie“, sagt Günter Nowald, Leiter des Kranich-Informationszentrums in Groß Mohrdorf bei Stralsund.

„Wir hatten schon Jahre, in denen die Kraniche bis Dezember bei uns in Mecklenburg-Vorpommern geblieben sind, weil die Reisebedingungen nicht optimal waren.“ Forscher vom Max-Planck-Institut für Ornithologie haben sogar herausgefunden, dass Zugvögel ihre Flugrouten nicht unbedingt nach der kürzesten Strecke, sondern vor allem nach den besten Windströmungen auswählen – und so mehr als ein Viertel ihrer Reisezeit sparen können.

Wo das Ziel liegt

Grundsätzlich werden Zugvögel eingeteilt in die Länge der im Herbst zurückgelegten Strecke: „Es gibt die Lang-, Mittel- und Kurzstreckenzieher“, sagt Neuling. Zur ersten Kategorie gehören Rauchschwalbe, Kuckuck, Nachtigall oder Weißstorch. Sie ziehen bis südlich der Sahara, die Reiseroute des Weißstorchs zum Beispiel ist bis zu 11.000 Kilometer lang.

Er fliegt auf seiner Westroute von Deutschland über die Schweiz, Frankreich und Spanien nach Marokko, Mauretanien bis in den Senegal, nach Süd-Mali oder Burkina Faso. Einige Küstenmeerschwalben, die auch an der Nordseeküste brüten, ziehen sogar um die halbe Erde – wenn sie in der Arktis brüten und zu ihren Winterquartieren in die Antarktis fliegen.

Besonders größere Vögel wie der Kranich warten auf nördliche Winde, um sich von ihnen tragen zu lassen.
Besonders größere Vögel wie der Kranich warten auf nördliche Winde, um sich von ihnen tragen zu lassen. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Ralf Hirschberger

Den Rekord des längsten Non-Stop-Flugs hält der Mauersegler: Zehn Monate verbrachten einige der von schwedischen Biologen mit Sensoren ausgestatteten Tiere ohne jeglichen Bodenkontakt in der Luft. Dagegen nimmt sich die Flugleistung der Mittel- und Kurzstreckenzieher wie Feldlerche, Singdrossel, Kranich oder Star eher bescheiden aus: Sie stoppen ihren Zug schon am südlichen Rand Europas oder in Nordafrika.

Was Zugvögel leitet

Wie Zugvögel die für sie richtige Route finden, ist nicht abschließend erforscht. Wissenschaftler glauben, dass sie sich am Magnetfeld der Erde orientieren. Was man weiß: Die Vögel orientieren sich am Stand der Sterne, der Sonne und an Landmarken wie Flüssen oder Gebirgen. „Aber auch menschengemachte Landmarken wie Kirchtürme und Straßen dienen einigen der Vögel als Orientierung“, sagt Vogelexperte Neuling vom Nabu.

Arten wie der Kranich oder die Graugans lernen die Route in den Süden von ihren Eltern. Nach der Brut ist die erste Reise also ein Familienausflug. „Unterwegs trifft man sich natürlich auf den Rastplätzen: die Familien, aber auch die Alleinreisenden“, sagt Neuling. Sie tun sich zusammen und setzen die Reise dann in immer größeren Trupps fort. Auch die Informationen zu den besten Rastplätzen mit dem besten Futterangebot werden vererbt.

Was passiert, wenn die Eltern das Wissen nicht weitergeben, haben britische Forscher an Kranichen untersucht. Es passierte: nichts. Die von Hand aufgezogenen und ausgewilderten Vögel zeigten zwar eine Zugunruhe, überwinterten jedoch dort, wo sie auch den Rest des Jahres verbrachten. „Im Gegensatz zu den Kleinvögeln scheint ihnen ein Instinktprogramm zu fehlen“, sagt Günter Nowald. Bei anderen Vögeln gehen Wissenschaftler von einer genetischen Komponente aus, dass also die Präferenz für eine Route angeboren ist.

Wie sie ziehen

Je nachdem, ob ein Vogel ein Segel- oder Ruderflieger ist, nutzt er die Gesetze der Physik für sich auf andere Art. Segelflieger wie der Weißstorch nutzen die Thermik, also warme Aufwinde, für ein möglichst rasches und energiesparendes Vorankommen. Er lässt sich mit der warmen Luft in die Höhe treiben „und segelt kilometerweit ohne nur einmal mit den Flügeln zu schlagen“, sagt Neuling. Diese Art der Fortbewegung beeinflusst auch seine Reiseroute: Große Gewässer kann der Weißstorch wegen der fehlenden Thermik nicht überqueren – er würde das andere Ufer nicht erreichen.

Für Ruderflieger ist die Reise in den Süden kräftezehrender: Sie müssen immerfort mit den Flügeln schlagen, um sich in der Luft zu halten. Da hilft der Flug in Formationen – im Pfeil, Keil, W oder in der Reihe – wie es etwa Wildgans, Kormoran oder Kranich tun. Denn so werden Kräfte geschont. Ein Vogel setzt sich an die Spitze und „muss dann auch richtig arbeiten“, sagt Nowald, „aber die anderen sparen bis zu einem Drittel ihrer Energie.“

In Gruppe gegen Feinde gewappnet

Ist der führende Vogel erschöpft, lässt er sich zurückfallen, der nächste rückt nach. Auch gegen Feinde ist der Flug in einer Gruppe eine bewährte Strategie – gut zu beobachten beim Star. Millionen Vögel können sich in einem Schwarm zusammentun und es Fressfeinden sehr schwer machen, eines der Tiere zu erhaschen.

Wie die beeindruckenden Choreografien der wogenden Starenschwärme zustandekommen, haben Wissenschaftler herausgefunden: Jedes Tier orientiert sich an sieben anderen, die nicht seine direkten Flugnachbarn sein müssen. Zu diesen Sieben hält ein Star immer den gleichen Abstand ein.