Paris/Berlin. Trotz Ankündigung vieler Luxuslabels, keine Models unter Größe 34 anzunehmen: Die Modebranche unterstützt noch immer den Magerwahn.

Sie trägt Minirock und durchsichtige Overknee-Gummistiefel, die eher nach Fetischkleidung aussehen als nach tatsächlichem Regenschutz – und erntet brausenden Applaus bei der Chanel-Show in Paris. Kaia Gerber ist neues Lieblingsmodel von Karl Lagerfeld und Star der Stunde.

Alle großen Häuser haben sich bei den gerade zu Ende gegangenen Prêt-à-porter-Schauen um sie gerissen: Valentino, Yves Saint Laurent (YSL), Burberry, Versace oder Alexander Wang.Kaia Gerber, die Tochter von Supermodel Cindy Crawford (51) und Unternehmer Rande Gerber (55), ist vergangenen Monat 16 Jahre alt geworden und gehört schon jetzt zur Model-Aristokratie.

Gerber führt Mode für erwachsene Frauen vor

Zwar trägt sie den Nachnamen ihres Vaters, doch rein optisch ist sie ganz und gar eine Crawford: aufgeworfene, volle Lippen, hohe Wangenknochen, schimmernder Teint und tiefbraune Augen. Selbst ihr Laufstil ist ähnlich. Das Problem: Sie ist auffallend dünn, wie Modeprofis nicht müde werden zu betonen.

Nicht unbedingt ungewöhnlich für Teenager, aber: Gerber führt Mode für erwachsene Frauen vor. Die Branche konnte es kaum abwarten, Crawfords Nachwuchs ausgiebig zu beklatschen. Die Begeisterung für sie in Paris und weltweit zeigt: Schlanke, sehr schlanke Figuren sind nach wie vor Trumpf.

Karl Lagerfeld hält nichts von fülligeren Models

Dabei sollte doch alles anders werden: Kurz vor den Herbstschauen erst hatten die beiden größten französischen Luxuskonzerne LVMH und Kering angekündigt, ab sofort auf die Beschäftigung von Magermodels mit einer Kleidergröße unter 34 zu verzichten. In der Sieben-Punkte-Charta wiesen die Unternehmen außerdem die zu ihnen gehörenden Modelabels wie Gucci, Saint-Laurent, Vuitton oder Dior an, künftig nur noch Mannequins einzusetzen, die älter als 16 sind.

Der Vorstoß der Branche ist eher Reaktion als Innovation. Zwar sagte Kering-Chef François-Henri Pinault, es sei der Wille, für den „Respekt und die Würde aller Frauen“ einzutreten. Doch tatsächlich beugen sich die Unternehmen damit nur dem Druck des Gesetzgebers. Denn seit Mai müssen Models, die in Frankreich arbeiten wollen, sich zuvor vom Arzt bescheinigen lassen, dass sie nicht untergewichtig sind. Wer Models ohne Attest beschäftigt, dem drohen 75.000 Euro Strafe oder sechs Monate Gefängnis. Somit gelten die Auflagen auch für Häuser wie Chanel, die nicht zu den Konzernen der Charta gehören.

Claudia Schiffer kritisierte Magertrend

Auf das neue Gesetz reagierte Chanel-Chefdesigner Lagerfeld bereits verschnupft. Seine Models ernährten sich gesund und hätten eben von Natur aus einen schlanken Körperbau. „Es sind die dicken Mütter mit ihren Chipstüten vor dem Fernseher, die sagen, dünne Models seien hässlich“, ätzte er. Starmodels halten sich auffällig aus der Diskussion raus. Nur Claudia Schiffer hatte vor zehn Jahren einmal den Mut, den Magertrend zu kritisieren: „Es sieht einfach nicht mehr gut aus“, sagte sie damals in „Bunte“.

Ein Star ist Angèle (Name geändert) nicht. Aber seit sechs Jahren gehört die Französin zu dem Kreis der dauerhaft beschäftigten Models in Paris. 23 Jahre alt ist sie, 1,79 Meter groß, über ihr Gewicht schweigt sie. Ihren Taillenumfang gibt sie mit 60 Zentimetern an, 80 sind der Durchschnitt.

„Ich zähle weiterhin jede Kalorie, die ich zu mir nehme“

Die Erklärung der Modehäuser hat sie „überrascht“ zur Kenntnis genommen. Dass plötzlich fülligere Models gefragt sind, glaubt sie nicht. „Ich zähle weiterhin jede Kalorie, die ich zu mir nehme“, gibt die Kettenraucherin zu. Und sie erzählt von den Tricks, die ihre Kolleginnen anwenden, um ihr „Idealgewicht“ zu halten. Täglich literweise Mineralwasser gehört dazu, eine Diät aus Kaffee und Obst, manchmal ein Finger im Hals. Oder aber es werden Wattebäuschchen geschluckt, die das Hungergefühl dämpfen.

Petra Pfaller, Modechefin der „Bunten“, ist gerade aus Paris zurück. Die neuen Gesetze oder die Charta seien dort kein großes Thema gewesen, sagt auch sie. Auch die superschlanke Angèle glaubt nicht, dass sich mit dem Gesetz für sie etwas ändert. Zunächst einmal habe sie das erforderliche Normalgewichtsattest. Sollten sich molligere Models tatsächlich einmal durchsetzen, „esse ich einfach meine erste Pizza seit sechs Jahren“, sagt sie.