Venedig. Schauspielerin Judi Dench leidet unter einer Netzhauterkrankung und wird langsam blind. Trotzdem: Ihren Humor hat sie nicht verloren.

Judi Dench sitzt im Dämmerlicht. Irgendjemand fand es eine gute Idee, dass dieses Interview in einer schummerigen Halle auf der venezianischen Insel Giudecca stattfindet. Leider passt das Ambiente auch zu ihrem persönlichen Zustand, denn die 82-jährige Oscar-Gewinnerin aus Großbritannien, die lange als James Bonds Chefin „M“ zu sehen war, verliert ihr Augenlicht. Aber so wie bei der alten Königin, die sie in ihrer aktuellen Komödie „Victoria und Abdul“ spielt, spürt man auch in diesem Gespräch ihren starken Lebensgeist.

Frau Dench, Königin Victoria ist gegen Ende ihres Lebens von ihrer Regentschaft ziemlich gelangweilt. Ist Ihnen das jemals bei Ihrem Job passiert?

Judi Dench: Langeweile erlebe ich nur, sobald ich alleine bin. Ich komme mit mir nicht klar. Meine eigene Gesellschaft langweilt mich.

Wieso das denn?

Dench: Weil ich nichts zu tun habe. Und jetzt habe ich auch noch diese Netzhauterkrankung, durch die ich mein Augenlicht verliere. Ich kann nicht mehr lesen. Das ist sehr langweilig. Sehr langweilig!

Wie ist es mit Filmeschauen?

Dench: Das geht auch nicht mehr so richtig. Wie bei der Premiere von „Victoria und Abdul“, wenn da mein Gesicht in Nahaufnahme erschien, habe ich nur irgendetwas gesehen, das wie eine pelzige Masse wirkte. Aber am schlimmsten ist, dass ich nicht mehr Auto fahren kann.

Sie sind eine begeisterte Fahrerin?

Dench: Und wie! Bis ich 50 war, fuhr ich einen alten MG, obwohl ich gar keinen Führerschein hatte. Danach besorgte ich mir ein BMW-Sportauto. Und ich werde nie vergessen, welche Überraschung mir mal mein Ehemann bereitete. Er ging los, um eine Flasche Milch zu kaufen. Die Milch vergaß er, aber stattdessen kam er mit einem Jaguar zurück.

Gibt es eine Chance, dass sich Ihr Zustand wieder bessert?

Dench: Leider nein.

Da kann man dem Älterwerden sicher nichts Positives abgewinnen.

Dench: Am Alterungsprozess ist nichts Interessantes. Im Gegenteil, er ist furchtbar. Aber ich glaube, ich bewege mich jetzt wieder in der Zeit zurück. Vor ein paar Tagen wurde ich mit einem Handy fotografiert, auf dem war eine App, die sagt, wie alt die Person ist. Bei mir meinte sie, ich sei 63. Plötzlich war der Tag wie verwandelt, es war grandios.

Königin Victoria geht auf eine spirituelle Suche. Tun Sie das auch?

Dench: Das versuche ich immer. Ich möchte immer herausfinden, woran andere Menschen glauben und was sie bewegt. Es gibt so viele Dinge, die ich noch nicht weiß und herausfinden möchte. Deshalb versuche ich, jeden Tag etwas Neues zu lernen.

Was haben Sie heute gelernt?

Dench: Ein neues Wort. Und zwar „Anatidaephobie“. Es beschreibt die irrationale Angst vor etwas – Sie werden es nicht erraten, selbst wenn wir hier zwei Millionen Jahre sitzen –, und zwar die Angst, von einer Ente angestarrt zu werden.

Mit Enten haben Sie vermutlich keine Probleme. Aber haben Sie andere Ängste?

Dench: Oh ja. Ich habe immer vor der Premiere eines Stücks geweint. Denn ich dachte mir immer: Es wird schiefgehen. Das ist das letzte Mal, dass ich diese Rolle spielen darf.

Vor sieben Jahren haben Sie mit Ihrer Beziehung zu David Mills noch einmal die große Liebe gefunden.

Dench: Was ich absolut nicht erwartet hatte. Ich hatte das schon mit meinem Mann erlebt. Wir hatten die perfekte Beziehung, bis er dann 2001 Krebs bekam. Nach seinem Tod hatte ich nicht für eine Minute daran gedacht, dass es noch einmal jemanden in meinem Leben geben würde.

Was macht diese Liebe denn aus?

Dench: Es ist großartig, jemanden zu haben, der fürsorglich ist. Ganz entscheidend ist es, gemeinsam mit ihm zu lachen. Eigentlich ist das das Wichtigste überhaupt.

Können Sie auch über Ihr eigenes Leiden lachen?

Dench: Und ob. Vor ein paar Wochen feierten wir in einem Restaurant den Geburtstag von Davids Enkel, der 14 wurde. Ich ging zu seinem Tisch und meinte: „Alles Gute zum 14. Geburtstag.“ Dann erklärte mir meine Tochter: „Mama, da sitzt nicht Dein Enkel, sondern ein fremdes Ehepaar.“ Alles krümmte sich vor Lachen. So musst du damit umgehen.