Kiel. Eine Eritreerin wird auf ihrer Flucht vergewaltigt. In Deutschland lässt sie ihr Kind sterben. Nun verurteilte ein Gericht die Frau.

Monatelang verbirgt sie ihre Schwangerschaft, dann die Geburt und den Tod ihres Babys. So sehr will die 23 Jahre alte Angeklagte verdrängen, was sie während ihrer Flucht von Eritrea nach Deutschland erlebt: Gefangennahme, Misshandlungen und wochenlange Vergewaltigungen durch libysche Männer. Die als Muslime, so stellt es das Kieler Landgericht am Mittwoch fest, umso grausamer sind, weil sie sie als Christin wegen des Kreuzes an ihrer Halskette erkennen.

Wie immer, wenn ihr Martyrium zur Sprache kommt, verbirgt die zierliche Angeklagte schluchzend ihr Gesicht hinter ihren Armen, den Kopf auf den Tisch vor der Anklagebank gesenkt. So auch während der Vorsitzende Richter Jörg Brommann fast zwei Stunden lang das Urteil gegen sie verkündet: Drei Jahre Gefängnis wegen Totschlags durch Unterlassen. Das sei der Schuld angemessen, sagt er.

Tochter stirbt nach 30 Minuten in der Kälte

Sie ließ Mitte Oktober ihr gerade allein unter freiem Himmel geborenes Baby unversorgt liegen, ohne sich weiter um den Säugling zu kümmern oder Anzeichen für eine Totgeburt zu haben, sagt Brommann. Die völlig gesunde Tochter überlebt in der feuchten Kälte nur maximal 30 Minuten, dann stirbt sie an Unterkühlung.

Das Baby wickelt die junge Mutter in ihre Kleidung und legt es laut Urteil in zwei Plastik-Einkaufstüten verpackt am Straßenrand ab. Am 15. Oktober 2015 wird der Leichnam dann im Papierkorb einer Bushaltestelle in Sülfeld (Kreis Segeberg) gefunden. Eine ahnungslose Fahrradfahrerin brachte die Tüten dorthin. Das kleine Mädchen wird von der Kirchengemeinde auf den Namen Teresa getauft und unter großer Anteilnahme beigesetzt.

Erst mehr als ein Jahr später, so berichtet der Vorsitzende weiter, haben die Ermittler der Mordkommission Erfolg: Sie finden die Mutter im nahegelegenen Asylbewerberheim in Seth. Die Frau offenbart sich aber noch immer nicht, erst eine Speichelprobe bringt Gewissheit. „Ihr gelang es wegen der Vergewaltigung nicht, eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen“, sagt Brommann.

Frau ist schwer traumatisiert

Sie verbirgt demnach die Schwangerschaft, geht nicht zum Arzt, trifft keinerlei Vorbereitungen und lässt die Dinge auf sich zukommen. Weder ihrer ebenfalls geflüchteten Schwester noch den Mitbewohnerinnen des Flüchtlingsheims oder ihrer Kirchengemeinde in Hamburg gibt sie Einblick in ihre Situation. Auch zwei junge Männer, mit denen sie sich befreundet und auch sexuellen Kontakt hat, ahnen nichts vom Schicksal der schwer traumatisierten Frau.

Sie selbst äußert sich nach Feststellungen des Gerichts widersprüchlich zur Tat. Ihre Angaben entfernen sich im Verlaufe des Prozesses immer weiter von der Realität, schließlich leugnet sie sogar die Geburt. Sie sei mehr als drei Stunden bewusstlos gewesen und habe danach kein Kind gesehen, sagt sie. Das Gericht weist dies als „unvorstellbar und eine Schutzbehauptung“ zurück.

Indem sie das Kind nicht versorgt habe, habe die 23-Jährige „den Tod des Kindes billigend in Kauf genommen“, begründet der Vorsitzende das Urteil weiter. Dass das „Kind die Frucht einer Vergewaltigung ist, gerade dieser Umstand stellt das Schutzbedürfnis des Kindes nicht in Frage“ – auch wenn es „das Verhalten der Angeklagten in gewissem Umfang verständlich“ mache.

Verteidigerin kündigte Revision an

Mit dem Urteil billigt die Kammer, der nur eine Frau als Richterin angehört, der Angeklagten mildernde Umstände zu. Sie erkennt auf einen minder schweren Fall und schließt eine erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit nicht aus. Die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der Tat sei aber vorhanden, sagt Brommann.

Er legte der Angeklagten dringend eine Posttraumatherapie nahe – trotz Kommunikationsschwierigkeiten. Die junge Frau spricht kaum Deutsch und hat einen Dolmetscher an ihrer Seite. „Sie sollte sich endlich der erlittenen Erlebnisse stellen und sie bearbeiten. Andernfalls droht sie daran zu zerbrechen.“

Der Staatsanwalt hatte wegen Totschlags durch Unterlassen fünf Jahre Haft gefordert, die Verteidigerin Freispruch. Ihre Mandantin sei zur Tatzeit schuldunfähig gewesen. Sie will Revision gegen das Urteil prüfen. (dpa)