Washington/Las Vegas. Ein 64-jähriger Rentner richtete in Las Vegas ein Blutbad an. Wie konnte der Täter mit acht großen Schusswaffen in das Hotel gelangen?
Wer in den oberen Etagen des wie eine riesige Goldschatulle schimmernden Mandalay Bay-Hotels in Las Vegas wohnt, tut dies auch der Aussicht wegen. Aus 120 Metern Höhe sieht die Glitzermetropole Nevada nachts wie ein Perlen-Amulett aus. Stephen Paddock hatte anderes im Sinn: ein Blutbad im Maßstab eines Bürgerkriegs.
Der 64-jährige Rentner legte am Sonntagabend mit mehreren Sturmgewehren aus einem Fenster im 32. Stock der Nobel-Herberge auf eine 22.000 köpfige Menschenmenge an, die sich ganz in der Nähe bei einem beliebten Musikfestival versammelt hatte.
Motiv: völlig unklar. Bilanz: niederschmetternd: 58 Tote, 515 Verletzte. Mindestens. Zwölf Angeschossene liegen in kritischem Zustand in Krankenhäusern. Damit steht Las Vegas für die folgenschwerste Schusswaffen-Tragödie in der jüngeren amerikanischen Geschichte.
Donald Trump kondolierte per Twitter
Präsident Donald Trump twitterte bereits am Montagmorgen den Angehörigen der Opfer mehrfach sein Beileid: „Entsetzliches Ereignis, wärmste Sympathien, Gott sei mit euch.“ Auch der Papst und etliche Staats- und Regierungschefs kondolierten.
Am Mittag trat Trump im Weißen Haus ans Mikrofon, nannte das Geschehen einen „reinen Akt des Bösen“, beschwor die nationale Einheit („unsere Bande können nicht von Gewalt zerrissen werden“), kündigte für Mittwoch seinen Besuch in Las Vegas an, verzichtete aber ausdrücklich auf jede Schuldzuweisung.
Bemerkenswert, hatte doch die Terrormiliz IS in einem Internet-Magazin die geistige Urheberschaft für den Amoklauf beansprucht. Danach sei Stephen Paddock vor kurzem zum Islam konvertiert. Trumps Zurückhaltung geht auf seinen Sicherheitsapparat zurück. Dort spricht man inoffiziell von „perfider Trittbrettfahrerei“.
War der Täter ein „einsamer Wolf“?
Anders als Orlando/Florida, wo ein islamistisch angefixter Einzeltäter 2016 im Nachtklub „Pulse“ 49 Menschen umbrachte, sehen die Ermittler des FBI bisher keinerlei Anbindung an ein terroristisches Netzwerk. Der zuständige Sheriff Joe Lombardo sprach in Bezug auf den Täter früh von einem „einsamen Wolf“.
Was Stephen Paddock getrieben hat, bleibt vorläufig ein Rätsel. Obwohl der Nachname schillernd ist. Sein Vater, Patrick Benjamin Paddock, war ein brutaler Bankräuber. In den 60er Jahren schaffte er es auf die FBI-Liste der meistgesuchten Verbrecher.
Von Stephens Bruder Eric weiß man, dass es sich bei dem pensionierten Buchhalter um einen „weder politisch noch religiös angebundenen“ Hochrisiko-Pokerspieler und zurückgezogen lebenden Countrymusik-Fan gehandelt haben soll, der gern die 130 Kilometer aus seiner Rentner-Siedlung in Mesquite ins Spielerparadies fuhr. Hinweise auf Radikalisierung? Vorboten auf das Massaker? Bisher Fehlanzeige.
Der weißbärtige Mann, der laut Behörden bis auf ein Knöllchen vorher nie polizeiauffällig geworden war, kam am Ende des Massakers durch Selbstmord in seinem bereits am 28. September gebuchten Hotelzimmer einem Sondereinsatzteam zuvor. Neben sich: zehn großkalibrige Waffen und massenweise Munition. Was Paddock anrichtete, wird Tausende Menschen noch auf Jahre um den Schlaf bringen.
„Renn weg so schnell du kannst!“
Die ersten Schüsse halten gegen 22 Uhr Ortszeit über das in Sichtweite des Hotels liegende Gelände des „Route 91“-Musikfestivals. 22.000 Country- und Western-Fans freuten sich nach drei Tagen Programm bei lauen Spätsommer-Temperaturen gerade auf den Schlussakt mit Jason Aldean. Der beliebte Cowboy-Hut-Barde wurde nach den ersten Takten, die von Schüssen unterbrochen wurde, in Windeseile von Sicherheitskräften von der Bühne gezerrt. Im Zuschauerraum begann gleichzeitig der Kampf ums nackte Überleben.
„Renn weg so schnell du kannst!“, riefen sich die Menschen zu, liefen in Panik durcheinander – auf der Freifläche zwischen mehreren Hotels vergeblich auf der Suche nach Schutz vor den gehaltenen Kugeln.
Schüsse im Zentrum von Las Vegas
Väter warfen sich schützend über ihre Kinder
Handy-Videos, die am Morgen das amerikanische Frühstücksfernsehen dominierten, zeigten beispielloses Chaos und Grauen. „Wie die Fliegen fielen die Leute rechts und links von mir um“, sagte der 24-jährige Gary Miller im Sender CBS.
Um ihre Lieben zu schützen, warfen sich Väter über ihre Söhne und Töchter. „Wir wussten ja nicht, von wo genau die Schüsse kamen“, sagte ein 70-Jähriger, der aus Denver angereist war, später unter Tränen, „ich habe mein Leben gelebt, aber meine Kinder sind doch noch so jung.“ Sie blieben unversehrt. Direkt neben ihnen: Tote. Schwerstverletzte. Blutüberströmte Teenager. Alte, die regungslos am Boden lagen. Menschen mit tiefen Schusswunden, die verzweifelt nach Hilfe riefen.
Die Rettungssanitäter wussten nicht, wo sie zuerst zupacken sollten. Polizei-Chef Lombardo lobte den „selbstlosen Einsatz“ vieler Festivalbesucher, die Verletzte versorgten, ihnen bis zum letzten Atemzug die Hand hielten oder sie in Kliniken fuhren.
Nevada hat lockere Waffengesetze
Weil das Mandalay Bay in der Nähe des internationalen Flughafens von Las Vegas liegt, wurde dort der Betrieb zwischenzeitlich unterbrochen. Ob deutsche Staatsbürger unter den Opfern sind, konnte das Auswärtige Amt in Berlin bis Montagabend nicht definitiv sagen. Über Botschaft und Konsulate liefen die Drähte in die USA heiß.
Weil der Todesschütze nicht mehr befragt werden kann, konzentrierten sich die Ermittlungen zwischenzeitlich auf Marilou Danley. Die 62-Jährige soll Paddocks Lebensgefährtin gewesen sein. Die aus Australien stammende Frau wurde nach polizeilicher Vernehmung aber als „entlastet“ freigelassen.
Für Las Vegas, mit jährlich über 45 Millionen Touristen einer der Goldesel im US-Tourismus, ist der Massenmord am Mandalay Bay imagemäßig eine Katastrophe. „Wie kann es sein“, fragte stellvertretend für viele ein Leser der Zeitung Las Vegas Sun, „dass ein einzelner Mann mit schweren Waffen und massenweise Munition unbemerkt einfach in eines der besten Hotels am Ort ziehen kann?“
Eine Antwort kennt man schon, sie ist unbequem: Nevada hat mit die lockersten Waffengesetze in ganz Amerika.