Teheran/Berlin. „Es wird spannend”, sagt YouTuber Simon Blessing Anfang Juli vor einem Ausflug im Iran. Dann wurde er als möglicher Spion festgehalten.

Iranische Gefängnisse, sagt Simon Blessing, sollen gar nicht so schlimm sein wie man erwartet. Wenn man das Land wegen Spionagevorwürfen nicht verlassen darf, beschäftigt man sich schon mal mit der Frage. Der 25-jährige YouTuber, der seit Mai 2015 als „BackpackingSimon“ immer mehr Zuschauer mitnimmt auf seine Reise durch die Welt, drohte in die Mühlen der großen Politik zu geraten. Wegen eines verwackelten Videos durfte der Reiseblogger viele Wochen lang den Iran nicht verlassen. Zurück in Deutschland wartete noch eine böse Überraschung.

Dass es ernst werden könnte in dem Land mit den herzlichen Menschen, merkt Simon Blessing Anfang August, als der bislang so nette Richter ihn direkt anfährt: „Geht zum Hauptrichter.” Beim ersten Termin hatte der Mann ihn noch strahlend mit einem irritierenden „Heil Hitler” begrüßt, hatte sich die Geschichte angehört, die Simon Blessing bis heute Dutzende Male erzählt hat – und er hatte ihm einen Freispruch in Aussicht gestellt.

Fall sollte zu seinem Schutz nicht öffentlich werden

Nur noch eine Formsache nach drei Wochen Bangen, so hatte er es seinem Vater nach Deutschland berichtet. Vorher „bitte keine Öffentlichkeit”, erklärten Vater und Sohn unserer Redaktion. Bloß nicht die iranischen Stellen reizen. Die Familie hatte schon Bedenken genug, was Fans mit sorgenvollen Nachfragen im Youtube-Kanal und einer gut gemeinten Petition ans Auswärtige Amt anrichten könnten.

Simon Blessing filmte an einer Raffinerie, von der es Hunderte Fotos im Netz gibt. Trotzdem brachte ihm das Spionageverdacht ein.
Simon Blessing filmte an einer Raffinerie, von der es Hunderte Fotos im Netz gibt. Trotzdem brachte ihm das Spionageverdacht ein. © Shahram Abbasi/Screenshot YouTube, Montage FMG | Shahram Abbasi/Screenshot YouTube, Montage FMG

Doch auch ohne die große Öffentlichkeit entscheidet die Justiz zunächst nicht wie erwartet und wie erhofft. Mal ist der Richter nicht da, dann ist das Urteil noch nicht fertig, dann fehlt die Unterschrift des Anklägers, bis der vertraute Richter sie schließlich pampig zu ihm schickt. Nach stundenlangen Warten vor der Tür dürfen sie zu dem Mann. Sie sind im Büro von Mohsen Kheirmand, einem hochrangigen Mitglied der Anklagebehörde.

Simon Blessing versteht nichts von seinem Geschrei, aber wieder vor der Tür übersetzt ihm sein blass gewordener Gastgeber Mohammad, was der Jurist handschriftlich unter den Freispruch geschrieben hat: „Send them to prison”, „schickt sie ins Gefängnis.”

„Du kommst mit grauen Haaren aus dem Knast“

Dem jungen Deutschen geht vieles durch den Kopf, vielleicht auch die Situation beim Verhör durch die Männer der Revolutionsgarde zwei Wochen zuvor: Aus Teheran angereiste Geheimpolizisten schrien ihn an, er komme erst mit grauen Haaren aus dem Gefängnis, wenn er weiter lüge. Sie sehen in ihm einen Spion, oder zumindest wollen sie in ihm einen Spion sehen. In die Lage gebracht hatten ihn etwas Naivität und eine Verkettung blöder Zufälle in dem Land im Widerspruch zwischen verbohrten Wächtern des autoritären schiitischen Gottesstaats und seinen Freiheit und Unterhaltung liebenden Bewohnern.

Eigentlich hatte Simon Blessing kurz nach seiner Ankunft nach Isfahan reisen wollen, dann wäre alles anders gelaufen. Doch in dem Couchsurfing-Kanal im Messaging-Dienst Telegram meldete sich nur Mohammad aus Arak, einer Industriestadt auf der Route dorthin. „Eigentlich überhaupt nicht für den Tourismus gedacht”, sagt er in seinem letzten Video.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Zum Zeitvertreib viel Computer gespielt

Mohammad stellt sich als extrem gastfreundlich heraus, bei Mohammad wird Simon Blessing auch die nächsten Wochen Hilfe und Unterkunft finden, bei ihm essen, leben und gegen die Langeweile zocken: Dark Souls. Das Fantasy- und Action-Rollenspiel ist für seine sehr schwierigen Aufgaben bekannt. Aber hier nimmt der Spieler sein Schicksal in die eigene Hand. Der Simon Blessing in der Realität kann nur machtlos warten und immer wieder zum Gericht gehen und dort anrufen.

Mohammad hatte bereits kurz nach der Ankunft ein Programm zusammengestellt, um die Umgebung gemeinsam erkunden. „Die haben ein richtiges krasses Programm geplant”, sagte er. „Es wird richtig spannend.” Spannender, als er ahnt und ihm lieb ist. Sie fahren an dem Tag los, und der Weltreisende macht, was er auf seinen Reisen eben oft macht. Er filmt.

Von gefilmter Raffinerie gibt es Tausende Bilder

Er filmt auch, als sie auf einer Schnellstraße an einer Öl-Raffinerie vorbei fahren. Verwackelte Bilder, er will sie löschen, wenn er sie sich noch mal größer auf dem Laptop angesehen hat. Er weiß von der Sensibilität von Militär- und Atomanlagen, er kennt aber nicht im Detail die Hinweise des Auswärtigen Amtes, wonach auch das Fotografieren von diversen öffentlichen Einrichtungen verboten ist. „Es kann als Straftatbestand der Spionage gewertet und mit entsprechend langen Freiheitsstrafen belegt werden.”

Er fragt seine Gastgeber, die haben hier keine Bedenken. Es gibt auch keine Schilder, die das Fotografieren verbieten. Und im Netz wird Simon Blessing später Tausende gestochen scharfe Fotos der Anlage finden, sie hat eine eigene Homepage. „Ich verstehe nicht, wieso deshalb dann so ein Stress gemacht wurde”, sagt er. Mohammad steht wegen Beihilfe im Fokus.

Denunziant meldete Drohne über privatem Garten

Das Unheil nimmt seinen Lauf, als der Vater seines Gastgebers bittet, doch alle mal in einem privaten Garten bei einer Geburtstagsfeier zu filmen - mit Simons Drohne. Bei den Reisehinweisen des Auswärtigen Amt ist dazu zu lesen: „Als Spionagetätigkeit kann ebenfalls die Benutzung oder auch nur die Einfuhr einer Drohne in bzw. nach Iran gewertet werden”. Ein weitläufiger Bekannter des Gastgebers denunziert sie. „Die Drohne war gerade wieder drei Minuten auf dem Boden, da war die Geheimpolizei da.” Es ist der 14. Juli, und seine komplette Ausrüstung wird ihm abgenommen. Auf dem Chip sind die verwackelten Bilder der Öl-Raffinerie.

Die Polizisten sind Angehörige des Sepah-Pasdaran-Corps, der Polizei der Revolutionswächter. Sie erklären ihm zunächst noch, er bekomme das alles am nächsten Tag wieder. Am nächsten Tag und an vielen weiteren Tag wird Simon Blessing lernen, dass solchen Ankündigungen nicht zu trauen ist. Zunächst hat er gar keinen Kontakt, kann nirgendwo nachfragen, was Stand ist. Als er irgendwann eine Nummer hat und auch die deutsche Botschaft dort anruft, reagieren die Sicherheitsbehörden erzürnt. Wie er dazu komme, diese Nummer weiterzugeben?

Selfie als Lebenszeichen mit Botschaft abgesprochen

Er wird lernen, dass es zwei Lager gibt im Iran. Da sind die Menschen, die ihm sagen, dass sie sich für ihr Land schämen. Da sind Beamte des iranischen Außenministeriums, die ihm Mut machen. „Die waren auf unserer Seite.” Doch da sind die Revolutionsgarden, die im Fall mehr zu wittern scheinen, die ihm immer mehr Gewicht geben. In Simon Blessing wächst zwischenzeitlich die Sorge, er könnte zu einer Schachfigur in einem politischen Ränkespiel werden.

Von den düsteren Gedanken ist nichts zu sehen auf dem Foto, das er am 6. August auf Instagram veröffentlicht. Ein Selfie mit Mohammad, dessen Großmutter und einem Verwandten Mohammads, alle lächeln. Es ist ein Foto, das er mit der deutschen Botschaft genau so besprochen hat: Fans beruhigen, und eine positive Botschaft aussenden an die iranischen Stellen. Das Bild erzählt nicht die Wahrheit über Simons Blessings Gemütszustand.

Vater des Gastgebers bürgt für ihn mit Geld

Die Hoffnung, dass es ausgestanden ist, und alles irgendwie doch nur ein Missverständnis hatte sich in diesen Tagen erledigt. Der freundliche Richter mit dem irritierenden Hitler-Gruß hat sein Urteil nicht durchbekommen, das war der „Send them to prison”-Moment.

Die nächste Instanz ist jetzt zuständig. Am 19. August bekommt Simon Blessing die Nachricht, sein Fall sei jetzt bei diesem Gericht registriert. Inzwischen wohnt er bereits fast sechs Wochen bei Mohammad. Sein Gastgeber gibt ihm nie das Gefühl, eine Belastung zu sein. „Ich habe im Iran auch die herzlichsten Menschen getroffen, die man sich vorstellen kann.“ Mohammads Vater bürgt mit 5000 Euro für den Deutschen.

Besuch bei der Familie gefährdet

Bei Gericht erfährt Simon, dass es völlig offen ist, wann er einen Termin bekommt. Der Weltenbummler hat am 25. September Geburtstag, er will eigentlich seine Familie überraschen und erstmals seit Anfang 2015 wieder nach Deutschland. Am 3. Oktober soll sein nächster Trip beginnen, der Flug über den Atlantik ist lange gebucht.

„Das schlimmste an der Situation ist, Du glaubst nichts mehr. Du kannst nichts auf die Aussagen setzen.” Als er – wieder ohne eine öffentliche Verhandlung – auch in der nächsten Instanz freigesprochen wird, traut er der Entscheidung nicht. Auch dieses Urteil landet wieder auf dem Schreibtisch bei Mohsen Kheirmand, Blessing weiß nicht, welche Handhabe der Ankläger hat. Er erfährt,dass das Verfahren wegen der Drohne fortgeführt wird, an dem Freispruch wegen des verwackelten Filmchens aber nicht zu rütteln ist. Die Drohne muss da bleiben, er darf das Land verlassen. Nach mehr als zwei Monaten.

Mutter stößt Freudenschrei aus

Wenn er denn ein gültiges Visum hätte. Die Behörden haben es nicht ein zweites Mal verlängert, er muss jetzt nach Teheran, um die Formalitäten zu regeln. Simon Blessing will einfach nur noch schnellstens zurück. Er könne wirklich einen Flug für den nächsten Tag buchen, wird ihm in Teheran versichert. Auf dem Rückweg nach Arak spricht er mit einem Sepah-Polizisten: In zehn Minuten könne er seine immer noch sichergestellte Kameraausrüstung abholen. Er ist noch zwei Autostunden von Arak entfernt und trifft dann niemanden an, der sie ihm gibt. „Mohammad wird mir das jetzt per Post schicken.”

Es ist Donnerstag, 14. September, als im schwäbischen Holzgerlingen Freudenschreie einer Frau ertönen: Simon Blessings Mutter schließt ihren Sohn in die Arme. Überraschung gelungen, Abenteuer Iran beendet.

Wenig später waren möglicherweise Flüche zu hören. Aus dem Iran war noch ein böser letzter Gruß gekommen: „Mohammad hat sich bei mir gemeldet. Er hat meine Ausrüstung, aber alle Daten sind gelöscht.“ Die iranischen Behörden haben seine Speicherkarten und zwei Festplatten formatiert. Wegen ein paar Sekunden Aufnahme der Raffinerie sind jetzt die Roh-Videos von andersthalb Jahren Weltreise unwiederbrindlich weg.

Am Sonntagabend will Simon Blessing gegen 20.30 Uhr ein Video hochladen, in dem er seine Geschichte selbst noch einmal erzählt.