Essen. Kulturwissenschaftler aus aller Welt treffen sich in Essen, um über die Liebe zu reden. Sie pflegen einen nüchternen Blick auf Gefühle.

Wenn sich Kulturwissenschaftler treffen, um über Liebe zu reden, wird die Herzenssache zur Kopfsache. Aber der Blick in die Geschichte zeigt auch, dass unser Empfinden keineswegs selbstverständlich ist. Die Germanistin Elke Reinhardt-Becker und der Historiker Frank Becker wollen mit einer Tagung in Essen erkunden, wie wir die Leidenschaft erfunden haben. Ein Interview mit dem Forscher-Paar.

Was ist Liebe – und warum braucht sie eine Tagung?

Elke Reinhardt-Becker: Liebe ist kein Gefühl, das es immer schon gab. So wie sich die Gesellschaft verändert, verändert sich auch das, was wir unter Liebe verstehen.

Frank Becker: Es gibt einen emotionalen Kern, der auch biologische Grundlagen hat. Das Gefühl der Liebe scheint spontan zu kommen. Darum erweckt es den Eindruck, dass es Menschen zu allen Zeiten einfach widerfahren ist. Aber dieses körperlich erzeugte Gefühl wird immer kulturell überformt und muss gedeutet werden.

Wie wirkt sich das heute aus?

Becker: Durch eine große Unübersichtlichkeit. Wir können wählen aus vielen Möglichkeiten: von der klassischen Ehe über das partnerschaftliche Zusammenleben bis zur Fernbeziehung. Das wäre vor 50 Jahren undenkbar gewesen.

Reinhardt-Becker: Es gibt zwei vorherrschende Leitmodelle. Das klassisch-romantische ist in der Literatur der Romantik um 1800 erfunden worden. Darin suchen die Liebenden den einzig richtigen Partner fürs Leben, der sie wirklich versteht. Die Liebe ist hier der Zufluchtsort, wo man als ganzer Mensch wahrgenommen wird.

Dagegen ist die „partnerschaftliche Liebe“ ein kühleres Konzept. Wer es genießt, dass man heute so viele Identitäten haben kann, der braucht vielleicht nur eine Liebe, die nicht so eng ist, in der man Spaß hat und Sport macht und sich im Alltag unterstützt. Dann ist es auch keine Katastrophe, wenn sie mal endet. Diese Vorstellung geht auf die Neue Sachlichkeit in den Zwanziger Jahren zurück.

Wir folgen also Liebeskonzepten aus vergangenen Jahrhunderten?

Becker: Leidenschaft gab es auch schon vor der Romantik, aber sie wurde anders gedeutet: als etwas Gefährliches. Es war selten so, dass sie passte zu dem, was den Eltern und dem Herrn Pfarrer vorschwebte. Die Ehe forderte Respekt, Fürsorge und Kinder zu bekommen, aber nicht unbedingt Leidenschaft. Liebe war eine Aufgabe. Die Funktionen waren getrennt.

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    Reinhardt-Becker: Daneben gibt es noch viele weitere Leitmodelle. Ihre Konkurrenz produziert Konflikte. Wenn ich jemanden kennenlerne, weiß ich nicht: Welche Vorstellungen hat er eigentlich im Hinterkopf?

    Die Rolle der Medien steht im Mittelpunkt Ihrer Tagung.

    Reinhardt-Becker: Ich habe 17 TV-Serien untersucht. Es gibt zwar in jeder unterschiedliche Liebeskonzepte, zum Beispiel in „How I Met Your Mother“ tritt der kühle Verführer Barney auf, der Erzähler Ted ist der unverbesserliche Romantiker, und für die taffe Robin ist die Karriere wichtiger als die Männer. Aber am Ende der sieben Staffeln sind sie alle zum romantischen Modell konvertiert. Barney und Robin heiraten natürlich. Und so ist es in allen Serien und in der Trivialliteratur, ob es um Vampire geht wie in „Twilight“ oder um Sadomasochismus wie in „50 Shades of Grey“.

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      Was haben Sie als Paar gelernt aus der Forschung?

      Becker: Wir trennen das. Aber Reflexion steht der Romantik nicht im Wege. Die romantische Liebe soll viel leisten: das Verstehen, die Leidenschaft und die Alltagsbewältigung. Das zu haben und zu pflegen, ist ein hohes Gut.

      Reinhardt-Becker: In der romantischen Liebe gibt es ja den Anspruch des Dauerverstehens: Der Partner kommt nach Hause und möchte von seinem Tag erzählen. Aber es ist auch sehr anstrengend, immer die Perspektive des Anderen zu übernehmen. Das kann viele Paare überfordern. Wenn man aber versteht, dass dies ein kulturelles Idealbild ist, dann kann man es vielleicht auch besser ertragen, wenn der andere mal Stress hat oder so stark mit seinen Dingen beschäftigt ist, dass er die eigene Perspektive eben nicht nachvollziehen kann.

      Dieser Text erschien zuerst auf www.waz.de.