Aleppo. Vor einem Jahr wurde das Haus des vierjährigen Omran im syrischen Aleppo zerstört. Ein Jahr später lebt die Familie noch immer dort.

  • Das Foto des syrischen Kindes ging im vergangenen Jahr durch die Medien
  • Das Bild wurde in kürzester Zeit zum Symbol für das Grauen des Bürgerkrieges
  • Die Familie des Jungen lebt noch immer in Aleppo

Die Aufnahmen des kleinen Omran aus Aleppo gingen vor einem Jahr um die ganze Welt. Ein staubbedeckter und blutender Junge guckt verstört in die Kamera, nachdem sein Haus bei einem Luftangriff zerstört worden ist. Wenige Tage später stirbt sein Bruder Ali. Heute sagt der Fünfjährige: „Ich bin froh, dass ich nächstes Jahr in die Schule gehen werde.“

Omran Daknisch und seine Familie leben nun im syrischen Aleppo in einem von der Regierung kontrollierten Gebiet. Wie es ihm nach den traumatischen Erlebnissen wirklich geht, bleibt unklar.

Der kleine Omran und sein Vater Mohammed Daknisch im September diesen Jahres.
Der kleine Omran und sein Vater Mohammed Daknisch im September diesen Jahres. © dpa | Mohammed Hmeido

Die berühmte Aufnahme fiel in eine Zeit schwerer russischer und syrischer Luftangriffe auf die damals in Rebellenhand befindlichen Teile Aleppos. Viele Zivilisten starben durch die Bombardements. Aktivisten und Helfer hatten auch den Angriff auf Omrans Haus als russischen Luftangriff bezeichnet. Russland, einer der engsten Verbündeten von Syriens Präsident Baschar al-Assad, bestritt die Vorwürfe. Ende 2016 wurde Aleppo komplett von Regierungstruppen erobert.

Interview nur mit behördlicher Genehmigung möglich

Heute sind es andere Bilder von Omran, die durch die Medien gehen: Frisch gekämmt und mit sauberer Kleidung sitzt der Fünfjährige auf dem Schoß seines Vaters. Die Hände gefaltet, umspielen seine Lippen ein Lächeln, während Fotos gemacht werden. Es wirkt fast so, als sei das Leben dieses Jungen auf dem geblümten Sofa vor den geblümten Gardinen ganz normal. Es ist genau die Botschaft, die die Führung in Damaskus verbreitet sehen möchte: Unter ihrer Herrschaft geht es der Familie wieder gut.

Denn die neue Wohnung der Familie befindet sich nicht mehr in den Rebellengebieten, sondern unter Kontrolle der Regierung. Omran sagt, dass er glücklich sei und viel mit seiner Schwester und seinem Bruder spiele. Sein Vater erzählt, dass er seinen Job in der Eisenverarbeitung wieder aufgenommen habe.

Heute lebt die Familie in einem von der Regierung kontrollierten Gebiet in Aleppo.
Heute lebt die Familie in einem von der Regierung kontrollierten Gebiet in Aleppo. © dpa | Mohammed Hmeido

Die syrischen Behörden wissen, wie wertvoll der Junge für ihre Zwecke ist. Sie überlassen den Zugang zu ihm nicht dem Zufall. Die Deutsche Presse-Agentur konnte mit der Familie nicht direkt sprechen. Das Interview mit den Fragen der dpa wurde nach Genehmigung der Behörden von einem von der Regierung akzeptierten Journalisten in Aleppo geführt und aufgezeichnet.

Was Omrans Vater sagt, dürfte der Regierung gefallen. „Ich hörte kein Flugzeug, es war aber ein Geschoss, das in das Haus einschlug, in dem wir lebten“, meint Daknisch. Er suggeriert damit, dass sein Zuhause im Osten Aleppos damals von der Seite der Rebellen angegriffen wurde. So lautet auch die Darstellung der russischen Regierung, für die die Rechercheplattform „Bellingcat“ jedoch keine Belege fand.

Vater beschuldigt Fotografen für „gestellte Aufnahmen“

Von der Nacht des Angriffs hat der Vater eine sehr deutliche Meinung. „Das einzige, was mich interessierte, war, meine Kinder in das Krankenhaus zu bringen.“ Die Helfer beschuldigt er, gestellte Aufnahmen von Omran gemacht zu haben. Dies wird von den Fotografen der Szene und den zivilen Rettungshelfern der Weißhelme, die für ihren Einsatz in Syrien mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurden, jedoch bestritten.

Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie Helfer den blutigen Jungen aus den Trümmern ziehen und in einen Rettungswagen setzen. Die Bilder lassen es sehr unwahrscheinlich wirken, dass die Szene gestellt sein könnte.

Omran erinnert sich nicht mehr richtig an den Angriff

Mehrere internationale Medien besuchten in den vergangenen Monaten die Familie – stets unter Aufsicht des syrischen Informationsministeriums. Zuletzt auch Dirk Emmerich, Reporter der Mediengruppe RTL. Emmerich hatte dabei den Eindruck, Omrans Vater spreche frei und stehe nicht unter dem Druck der Regierung, wie er der dpa sagte. Letztlich zeige die Erfahrung aber, dass sich Zivilisten in einem solchen Konflikt mit ihrem Umfeld arrangierten, um in Ruhe leben zu können.

Omran selbst hat vom Angriff im August 2016 nur Bruchstücke vor Augen. „Ich erinnere mich an Rauch und Stimmen“, sagt er. „Ich wusste nicht, was passiert.“ Auch wenn dem kleinen Jungen diese Nacht nur schemenhaft präsent ist: Die Bilder, die sein Leben veränderten, werden ihn sein Leben lang Opfer des Krieges bleiben lassen. (dpa)