Berlin. Eine neue Studie zeigt: Viele Beschäftigte beklagen Strapazen im Job. Gewerkschaftler bemängeln eine Milliarde unbezahlte Überstunden.

Auf den ersten Blick sind die deutschen Arbeitsmarktstatistiken derzeit eine schöne Sache. Im Juli dieses Jahres etwa waren 44,2 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig. Das ist ein Rekordwert. Eine weitere gute Nachricht: Auch immer mehr Frauen sind in Arbeit. Doch sagen diese Zahlen auch etwas über die Qualität der Arbeit aus? Nein, meint das Statistische Bundesamt und wertete Zahlen des Mikrozensus und einer Arbeitskräfteerhebung qualitativ aus.

Und da erscheinen dann andere Ergebnisse: Termindruck und eine hohe Arbeitszeitdichte belasten nahezu die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland. Rund 40 Prozent der Arbeitnehmer litten im Jahr 2015 unter der hohen Arbeitsintensität. Männer sind mit 44 Prozent davon häufiger betroffen als Frauen mit 36 Prozent. Außerdem arbeitete etwa jeder zehnte Vollzeitbeschäftigte mehr als 48 Stunden pro Woche.

Arbeitszeit

„Am Arbeitsplatz werden viele Stunden des Tages verbracht – oft mehr Zeit, als für Familie und Freizeit zur Verfügung steht“, schreiben die Statistiker in ihrer Einordnung. Dabei präsentieren sie unterschiedliche Einschätzungen der Arbeitszeit: Dem Bericht zufolge arbeiteten Arbeitnehmer 2016 durchschnittlich rund 35 Wochenstunden. Das waren etwa drei Stunden weniger als noch 1991 und zwei Stunden weniger als im europäischen Durchschnitt. Doch Vorsicht: Die 35 Stunden entstehen auch deshalb, weil die Teilzeitbeschäftigung – häufig von Frauen – mit einberechnet wird. Tatsächlich arbeiteten Vollzeitbeschäftigte mit rund 41 Stunden deutlich länger.

Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstands.
Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstands. © imago/Jürgen Heinrich | imago stock&people

Elf Prozent, also mehr als jeder zehnte Vollzeitbeschäftigte, waren mehr als 48 Stunden pro Woche im Job; das wird sogar in der eher technischen Sprache der Statistik als überlange Arbeitszeit bezeichnet. Und die überlangen Arbeitszeiten steigen im Alter an. Nur zwei Prozent der Erwerbstätigen zwischen 15 und 24 Jahren arbeiteten 2016 gewöhnlich mehr als 48 Stunden wöchentlich, bei den 55- bis 64-Jährigen waren es dagegen 14 Prozent. Der Grund: Besonders Führungskräfte haben überlange Arbeitszeiten, das sind oft ältere Arbeitnehmer. Bei den Selbstständigen arbeitet sogar mehr als die Hälfte pro Woche knapp 50 Stunden. „Überlanges Arbeiten ist bei Führungskräften und vor allem Selbstständigen fast normal“, betont der Vizepräsident des Statistischen Bundesamtes, Georg Thiel.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte unserer Redaktion, die Zahlen zeigten, „dass wir es inzwischen mit verkrusteten Problemen bei den Arbeitszeiten zu tun haben“. Die überlangen Arbeitszeiten seien dabei nur die Spitze des Eisbergs. „Fakt ist, dass mehr als die Hälfte der Beschäftigten seit Jahren mehr als 40 Stunden arbeiten und damit deutlich länger als vertraglich vereinbart.“

Der DGB verweist dabei auf die vielen unbezahlten Überstunden: „Der eigentliche Skandal ist, dass von den rund 1,8 Milliarden Überstunden im Jahr 2016 eine Milliarde nicht entlohnt wird. Damit stecken sich die Arbeitgeber einen zweistelligen Milliardenbetrag einfach in die eigene Tasche, der den Beschäftigten zusteht.“ Oft seien auch die Ziele, die vorgegeben werden, „unerreichbar“, betont Buntenbach. Die Gewerkschaft fordert Rechtsansprüche für den Wechsel von Vollzeit und Teilzeit, mehr Mitbestimmung bei Arbeitszeiten und Personalbemessung sowie verbindliche Regeln zum Stressabbau.

Stress

Stress ist ein großes Thema: Hohes Arbeitstempo und Termindruck belasten viele Arbeitnehmer. Im Jahr 2015 litten 40 Prozent der Erwerbstätigen unter Stress und Druck. Insbesondere der hohe Termindruck macht mehr als der Hälfte aller Führungskräfte deutschlandweit zu schaffen, arbeitete das Statistische Bundesamt heraus. Das Problem sei unabhängig von Stellung und Branche: Angestellte in der Anlagen- und Maschinenbedienung sowie im Handwerk leiden ähnlich stark unter einer zu hohen Termindichte. Im Mittelfeld befinden sich hier Akademiker und Bürokräfte. Dienstleistungsberufe fühlen sich am wenigsten betroffen. Doch nicht nur das: Ein Viertel der Beschäftigten ist am Arbeitsplatz auch körperlichen Belastungen ausgesetzt, insbesondere Männer. Damit sind schwierige Körperhaltungen gemeint, das Tragen von schweren Lasten, das Hantieren mit Chemikalien oder einfach Lärm.

Befristete Verträge

Der Anteil der befristet Beschäftigten in Deutschland ist binnen zehn Jahren nahezu konstant geblieben. 2016 hatten insgesamt 2,8 Millionen Arbeitnehmer ab 25 Jahren laut Statistischem Bundesamt solche Verträge. Zehn Jahre zuvor waren es zwar nur 2,4 Millionen. Doch da in der Zwischenzeit auch die Gesamtzahl der Erwerbstätigen gestiegen ist, blieb die Quote nahezu unverändert und pendelte sich zwischen acht und neun Prozent ein.

Etwas lässt allerdings aufhorchen: Die Zahl der befristeten Neuanstellungen nahm 2016 zu, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf Fragen der Grünen-Fraktion hervorgeht. Demnach bekam fast jeder zweite neu eingestellte Arbeitnehmer nur eine befristete Stelle. Arbeitsministerin Andrea Nahles betonte, die sachgrundlose Befristung gehöre abgeschafft. Sie nütze niemandem, stattdessen schaffe sie große Unsicherheiten. „Vor allem junge Menschen könnten ihr Leben nicht vernünftig planen, kein Auto kaufen, finden keine Wohnung und kriegen keinen Kredit, weil sich bei ihnen eine sachgrundlose Befristung an die nächste reiht“, sagte die SPD-Politikerin.

Fehlzeiten

2016 waren Arbeitnehmer in Deutschland im Schnitt einen Tag mehr krank als noch im Vorjahr.
2016 waren Arbeitnehmer in Deutschland im Schnitt einen Tag mehr krank als noch im Vorjahr. © imago/blickwinkel | imago stock&people

Arbeitnehmer waren 2016 in Deutschland durchschnittlich 10,8 Arbeitstage krankgemeldet. Das war etwa ein Tag mehr als im Jahr zuvor und fast drei Tage mehr als 2007, wo mit durchschnittlich 8,1 Krankheitstagen der niedrigste Stand gemessen wurde. Die Experten führen das auf die konjunkturelle Schwächephase, die Wirtschaftskrise, 200//2008, zurück.

Weg zum Arbeitsplatz

Stau, ausfallende Busse oder Straßenbahnen – der Weg zum Job ist auf jeden Fall ein Stressfaktor. Doch für viele ist er recht kurz: 70 Prozent der Berufstätigen brauchten 2016 weniger als 30 Minuten zum Arbeitsplatz. Immerhin fünf Prozent benötigten aber länger als eine Stunde. Der Anteil der Pendler, die länger als eine Stunde zur Arbeit unterwegs sind, ist seit 1991 nahezu konstant geblieben. Interessanterweise sind Teilzeiterwerbstätige kürzer zur Arbeit unterwegs als Erwerbstätige in Vollzeit.

Frauen

Den Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern, den sogenannten Gender Pay Gap, beziffert das Bundesamt auch für 2016 mit 21 Prozent. Seit 2002 ist dieser Unterschied damit trotz aller politischer Bemühungen fast konstant. Auffällig: Die Unterschiede fielen in Westdeutschland (und Berlin) mit 23 Prozent deutlich höher aus als im Osten (sieben Prozent).