Houston. Wirbelsturm „Harvey“ bringt Texas den dritten Tag in Folge gewaltige Regenmengen. Besonders betroffen ist die Metropole Houston.
Das erste Wort, das auf dem Mond gesprochen wurde war „Houston“. Der Apollo-11-Astronaut Neil Armstrong sprach es nach erfolgreicher Landung am 20. Juli 1969. Die Bodenstation der Weltraumagentur Nasa, die in der texanischen Metropole ihre Heimat hat, jubelte. Ein Jahr später machte die viertgrößte Stadt Amerikas erneut Schlagzeilen. Der Hilferuf der um ein Haar gescheiterten Apollo-13-Mission wurde zum geflügelten Wort: „Houston, wir haben ein Problem.“
Heute ist alles anders. Heute hat Houston ein Problem.
Der Stadt, die durch Hurrikan „Harvey“ im Zentrum einer der größten Naturkatastrophen der vergangenen 50 Jahre in den USA liegt, steht das Wasser bis zum Hals. Nie dagewesene Niederschläge von 70 Zentimetern und mehr haben seit Freitagabend weite Teile der Metropole in eine braun-grüne Seenlandschaft verwandelt.
Über 60.000 Notrufe eingegangen
Das öffentliche Leben ist zum Erliegen gekommen. Die Öl-Industrie stockt. Flug- und Seehäfen sind geschlossen, viele Straßen nur noch mit Booten zu befahren. Vereinzelt kämpfen sich Menschen per pedes durch die Katastrophe, bis zur Schulter im schmutzigen Nass. Inzwischen ist die Zahl der Toten in Houston und Umgebung auf acht gestiegen.
Polizeichef Art Acevedo berichtet von über 60.000 Notrufen – Tendenz steigend. Viele Bewohner haben sich auf die Dächer ihrer Häuser geflüchtet. Rettungshubschrauber sind im Dauereinsatz. Hilfsdienste und Freiwillige holen immer wieder Alte und Kranke aus ihren Häusern. Schlauchboote, Kanus, Jet-Skis, Luftmatratzen und Surfbretter dienen als Transportmittel. Ein Krankenhaus musste geräumt werden. Die lokalen Sicherheitskräfte sind durch Staatspolizei und Nationalgarde verstärkt.
Texas versinkt in „Harvey’s“ Fluten
Experten rechnen mit weiterem Regen
Zehntausende Einwohner stehen vor der Zwangsevakuierung. Für 30.000 Menschen sollen Notlager eingerichtet werden; bis hin ins 350 Kilometer nördliche gelegene Dallas. Bürgermeister Sylvester Turner hofft auf einen geordneten Rückzug. Im Großraum Houston sind rund 6,5 Millionen Menschen potenziell betroffen. Als Hurrikan „Rita“ vor 12 Jahren wütete, kam es zu tragischen Szenen, als Hunderttausende in Panik gleichzeitig gen Norden zu fliehen versuchten.
Weil „Harvey“ unablässig Wasser ablässt, warnen der Nationale Wetterdienst und die Katastrophenschutz-Behörde Fema im Stundentakt, dass es in den nächsten Tagen „noch schlimmer wird“. Der Starkregen, der das Gebiet zwischen San Antonio und New Orleans im Nachbarbundesstaat Louisiana überzieht (knapp 900 Kilometer), bleibt voraussichtlich bis Samstag. „Epochal, unvergleichlich, kein Adjektiv wird dem gerecht, was hier geschieht“, sagte Fema-Chef Brock Long, „das ist ein Jahrhundertereignis.“
Vergleiche mit „Katrina“ 2005
Um den Wassermassen halbwegs Herr zu werden, wurden gestern vor Houston die ersten Flutbecken geöffnet, um eine kontrollierte Überflutung von Stadtteile zu ermöglichen.
Obwohl das Ausmaß der Naturkatastrophe noch gar nicht zu übersehen ist, ziehen Experten bereits Vergleiche zu „Katrina“. Der Hurrikan hatte 2005 in Louisiana und Mississippi Schäden von weit über 15 Milliarden Dollar erzeugt. Manche Stadtteile in New Orleans haben sich bis heute nicht davon erholt. Damals bot das George R. Brown-Kongress-Zentrum in Houston heimatlos gewordenen Menschen aus „Big Easy“ Unterschlupf an. Diesmal ist es umgekehrt. Bürgermeister Mitch Landrieu: „Wir helfen unseren Freunden in Texas, wo immer wir können.“
Rettung in Rollstühlen
Auch außerhalb Houstons machte der Sturm viele Häuser dem Erdboden gleich. Verschmutztes Trinkwasser wurde mehr und mehr zum Problem. Die Behörden riefen die Bevölkerung auf, Trinkwasser abzukochen.
Die Fernsehsender zeigten Bilder aus Altenheimen, aus denen Menschen in Rollstühlen gerettet werden mussten. Senioren wurden in Schlauchboote gehievt, Eltern wateten mit weinenden Kindern durch den nächtlichen Regen. Kirchen öffneten ihre Tore als Herbergen für Flutopfer. Die Stadt Dallas stellte ihr Kongresszentrum bereit.
Am Dienstag will Trump kommen
Und was tut Washington? Die Antwort fliegt an diesem Dienstag in Gestalt von Donald Trump persönlich ein. Der Präsident will sich vor Ort ein Bild machen. Das wird von dem Mann im Weißen Haus erwartet. Solange es nicht die Rettungsarbeiten behindert.
Für Trump, der sich noch nie als Krisenmanager im Innern beweisen musste, ist der Besuch heikel. Seine teils themenfremden Twitter-Kommentare am Sonntag (er bewarb unter anderem das neue Buch eines für Menschenrechtsverletzungen bekannten Sheriffs) ließen nach Ansicht von US-Kommentatoren „Empathie“ für das Schicksal der Menschen vermissen, „die über Nacht alles verloren haben“.
Die Messlatte für Trump in Texas liegt hoch. Seelentrost zu spenden und glaubhaft mit Finanzmitteln Beistand zu leisten, das gelang zuletzt niemandem so gut wie Barack Obama und Gattin Michelle vor fünf Jahren an der Küste von New Jersey. Damals trug der Hurrikan den Namen „Sandy“.