Bottrop. Sie erhielten nicht richtig wirkende Krebsmedikamente, weil ein Apotheker streckte. Tausende Patienten wissen bis heute nichts davon.

Der Fall der falsch dosierten Krebsmedikamente des Bottroper Apothekers Peter S. betrifft nach Recherchen des gemeinnützigen Recherchezentrums correctiv und des NDR-Magazins „Panorama" weitaus mehr Menschen als bisher bekannt – und viele wissen es nicht. Die Gesundheitsbehörden hatten sich demnach darauf verlassen, dass die Ärzte und Kliniken die mutmaßlich betroffenen Patienten unterrichten.

Mehrere Tausend Patienten in sechs Bundesländern erhielten über Jahre hinweg teils wirkungslose Arzneien. Wie die verantwortliche Staatsanwaltschaft in Essen offiziell bestätigte, gehen die Ermittler bundesweit von rund 3700 Betroffenen aus. 37 Arztpraxen und Kliniken seien demnach in den vergangenen fünf Jahren von dem Bottroper Apotheker mit falsch dosierten Krebsmedikamenten beliefert worden – die meisten davon in Nordrhein-Westfalen.

Fast 62.000 Präparate unterdosiert

Es gab allerdings auch Abnehmer in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Saarland, Sachsen und Niedersachsen. Die Staatsanwaltschaft hatte mitgeteilt, dass in fast 62.000 Fällen die von dem Mann hergestellten Präparate deutlich weniger Wirkstoffe enthalten hatten als verordnet. Sie hatten die eingekauften Wirkstoffmengen mit den angeblich abgegebenen Mengen verglichen.

Die Staatsanwaltschaft hat bislang aber nur den Abrechnungszeitraum der vergangenen fünf Jahre ausgewertet, der für eine Anklage wegen Abrechnungsbetrug relevant ist. Fälle aus der Zeit davor wären strafrechtlich verjährt. Nach Recherchen von "Panorama" und correctiv könnte die Zahl der mutmaßlich betroffenen Patienten weit größer sein: Seit 2005 hat der Apotheker mehr als 7300 Menschen mit den 49 Wirkstoffen beliefert, die sich derzeit auf der Liste der manipulierten Wirkstoffe des Bottroper Gesundheitsamtes finden.

Gesundheitsminister reagiert erschüttert

Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) zeigte sich dem NDR zufolge erschüttert davon, dass auch neun Monate nach Bekanntwerden des Skandals noch immer ein Großteil der betroffenen Patienten nicht unterrichtet ist. Die Dimensionen des Falles seien nicht bekannt gewesen.

„Wir werden uns jetzt sofort darum kümmern, dass wir an die Adressen dieser Menschen kommen und dann werden sie selbstverständlich informiert", sagte Laumann. „Wenn die Behörden die Ärzte und Krankenhäuser, die die Medikamente verabreichten, informiert haben, dann ist es auch deren Aufgabe, ihre Patientinnen und Patienten zu informieren. Ich finde, das ist für einen Behandler schlicht die Pflicht, dieses zu tun."

Apotheker seit November in Haft

Der Bottroper Apotheker Peter S. war im November 2016 festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Apotheker vor, über Jahre Chemotherapien und Antikörper-Infusionen für Krebspatienten zu niedrig dosiert und sogar Therapiebeutel gänzlich ohne Wirkstoff ausgeliefert zu haben. Angeklagt werden neben Betrug auch versuchte Körperverletzung und Verstöße gegen das Arzneimittelgesetzt. Krebspatienten können durch wirkungslose Medikamente schwerer erkrankt oder sogar gestorben sein. (FMG)