Berlin. Am Südpol hat sich ein Billionen Tonnen schwerer Eisberg gelöst. Das Naturschauspiel könnte weitreichende Folgen für die Umwelt haben.

Es gab weder ein lautes Krachen noch eine große Welle: Nahezu geräuschlos ist in der Westantarktis ein gigantischer, etwa eine Billion Tonnen schwerer Eisberg abgebrochen, der zuletzt nur noch an einer schmalen Verbindung hing. Er sei von dem Eisschelf Larsen C abgebrochen und treibe nun im Meer, teilten Wissenschaftler der britischen Universität von Swansea am Mittwoch mit. Das Naturereignis fernab der Zivilisation war mit Spannung erwartet worden.

Schelfeise sind auf dem Meer schwimmende Eisplatten, die von Gletschern gespeist werden und mit ihnen noch verbunden sind. Der jetzt entstandene Eisberg zählt nach Angaben des Alfred-Wegener-Instituts (Awi) für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven zu den fünf größten Eiskolossen, die Wissenschaftler in den letzten drei Jahrzehnten registriert haben. Mit 5800 Quadratkilometern ist er fast siebenmal so groß wie Berlin. Er habe sich in der Zeit zwischen Montag und Mittwoch gelöst.

Wind spielt eine Rolle

Nach Angaben des britischen Antarktisprojekts Midas wird er vermutlich den Namen A68 erhalten. Wohin der Berg driftet, hängt von mehreren Faktoren ab. „Er schwimmt mit der Meeresströmung, aber auch der Wind spielt eine Rolle“, sagt Awi-Glaziologin Daniela Jansen, die am Midas-Projekt der Universität Swansea beteiligt ist. Sie vermutet, dass der Eisberg – so wie andere zuvor – entlang der antarktischen Halbinsel zunächst gen Norden und dann nach Osten ziehen wird. „Es kann aber dauern, bis er aus dem Meereis raus ist“, sagt Jansen. Erfahrungsgemäß driftet er zunächst zehn Kilometer pro Tag.

Sollte die Eismasse nicht vorher in mehrere Teile zerfallen, wird es Jansens Angaben zufolge wohl zwei, drei Jahre dauern, bis sie geschmolzen ist. „Der Eisberg befindet sich schon weit im Norden und kommt deshalb bald in wärmeres Gewässer.“ Sie gehe davon aus, dass er sich vor der Inselgruppe Südgeorgien, etwa 1400 Kilometer östlich der argentinischen Küste, vollständig auflösen werde. Eine Gefahr für Menschen geht von dem Giganten nicht aus.

Neu entstandene Eiskante

„Er schwimmt in einem sehr abgelegenen Teil der Erde“, erläutert die Wissenschaftlerin. „Und einen Eisberg dieser Größe kann man per Satellit super verfolgen.“ Schiffe wüssten immer, wo er sich gerade aufhalte. Kollisionen seien nicht zu erwarten. Jetzt, wo der Eisberg abgebrochen ist, ist er für die Wissenschaftler eigentlich nicht mehr ganz so spannend. „Uns interessiert mehr, wie es an der Kalbungsfront des Larsen-C-Schelfeises weitergeht“, betont Jansen.

Das Larsen-C-Schelfeis ist das viertgrößte Schelfeis der Antarktis. Es hat eine Fläche von fast 50.000 Quadratkilometern und ist damit etwa so groß wie Niedersachsen. Wissenschaftler befürchten, dass sich mit dem Abbruch des Eisbergs die neu entstandene Eiskante durch permanentes Krümeln weiter zurückzieht und das Schelfeis in absehbarer Zeit komplett zerfällt. Diesen Prozess haben Forscher schon mehrfach beobachtet: In den letzten 20 Jahren sind sieben Schelfeise an der Antarktischen Halbinsel zerfallen oder stark zurückgegangen.

Großer Eisverlust

In der Folge können die Eisströme der Gletscher ungebremst ins Wasser fließen, was letztlich zur Erhöhung des Meeresspiegels führt.Wenn alle von Larsen C aufgefangenen Gletscher ins Meer flössen, würde der weltweite Meeresspiegel um etwa zehn Zentimeter steigen, warnen die Wissenschaftler. Modellrechnungen zufolge werde sich Larsen C von dem großen Eisverlust nicht mehr erholen – sicher sei das aber nicht, so Awi-Expertin Jansen. „Das ist ein komplexes System, und wir arbeiten noch daran, es zu entschlüsseln.“

2015 hatte die Glaziologin den Riss im Larsen-C-Schelfeis anhand von Satellitenbildern entdeckt. Dieser hatte sich in den vergangenen Jahren immer weiter vorgearbeitet und machte gerade in den letzten Monaten große Sprünge. Zuletzt trennten nur noch wenige Kilometer die Rissspitze von der Schelfeiskante. „Der Eisberg hängt am seidenen Faden“, sagte Midas-Projektleiter Adrian Luckmann Anfang des Jahres. Dass der Prozess sich derart beschleunigte, überraschte die Forscher. Sie halten es für möglich, dass der Klimawandel den Abriss des Eisgiganten gefördert habe.