Kassel. Ein Richter wollte einem Angeklagten nur zeigen, was ihn erwarten könnte. Eine Minute in einer Zelle veränderte das Leben der beiden.

Es waren höchstens 60 Sekunden Probehaft in einer Zelle – doch sie haben das Leben zweier Menschen verändert. Für den Zelleninsassen, einen wegen Exhibitionismus Angeklagten, war es eine zweite Chance. Für den anderen, einen Proberichter, bedeutete es das Karriereende. Nun, acht Jahre später, ist der Jurist in einem Prozess wegen Rechtsbeugung und Aussageerpressung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.

Wegen seiner ungewöhnlichen Methode steht der 40-jährige Thüringer am Dienstag vor dem Landgericht in Kassel. Dort wird der Vorfall aus dem Jahr 2009 minuziös rekonstruiert. Damals war der Jurist Richter auf Probe in Eschwege im Werra-Meißner-Kreis – und ließ in einer Verhandlung einen Angeklagten in eine Zelle stecken.

Mann hatte Geschlechtsteil baumeln lassen

Die Idee: Der Mann sollte sehen, was ihm blühen könnte. Er hatte sich zuvor auf dem Spielplatz eines Schnellimbisses mit offener Hose und heraushängendem Geschlechtsteil gezeigt. Ein Gutachten bescheinigte hohe Wiederholungsgefahr.

Der Mann sollte eine Therapie machen, doch in den Augen des Proberichters hätte die ohne Einsicht nichts gebracht. Und die fehlte dem Angeklagten: Er habe sich nur nachlässig angezogen, daher habe sein Geschlechtsteil herausgehangen, so die Erklärung.

Der Richter verließ daraufhin den Gerichtssaal mit dem Angeklagten. Protokollantin und Staatsanwalt blieben ratlos zurück – einen Anwalt gab es nicht. Mit einem Wachtmeister ging es in den Keller. Dort waren Zellen. Für maximal eine Minute soll der Mann in einen solchen Raum gebracht worden sein. Die Tür wurde geschlossen. Das machte Eindruck. Der Mann gestand die Tat und willigte in die Therapie ein.

Anzeige gegen Richter kam anonym

Den Aufenthalt in der Zelle sehe der damals Angeklagte heute als großes Unrecht, aber auch zweite Chance, erklärt die Staatsanwältin nun vor dem Kasseler Landgericht. Der Mann erstattete keine Anzeige. Erst eine anonyme Anzeige brachte die Sache ins Rollen. Der damalige Proberichter wurde entlassen, bekam keine Zulassung als Anwalt. Er verdiene sein Geld heute mit Projekten, gibt der Jurist vor Gericht an.

Dabei glaubt auch das Landgericht Kassel, dass er als Proberichter damals das Beste für den Angeklagten wollte. „Und dann kam Ihnen diese fürchterlich schlechte Idee“, sagt der Vorsitzende Richter. Doch auch Eigennutz habe eine Rolle gespielt: „Sie wollten das Verfahren rechtskräftig abschließen, weil einiges nicht so rund gelaufen ist.“ Für das Gericht ist klar: Der 40-Jährige habe damals genau gewusst, was er tat. Er sei schließlich ein guter Jurist.

Jurist privat bereits gestraft

Das Urteil lautet ein Jahr auf Bewährung. Rechtsmittel dagegen sind möglich. Fünf Monate gelten aufgrund der langen Prozessdauer als verbüßt. Man könne nur die Mindeststrafe verhängen, erklärt das Landgericht – auch weil der Vorfall die Karriere des Juristen beendet und seiner Familie geschadet hatte.

Es ist das zweite Urteil in dem Fall. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte 2012 einen Freispruch aufgehoben. Der BGH sah Fehler bei der Bewertung der Beweise. Dem folgt das Landgericht Kassel: „Das Ergebnis war das richtige“, erklärt der Vorsitzende Richter. Trotzdem sei der damals Angeklagte durch den Druck des Proberichters benachteiligt worden (dpa)