Nürburg. Terroralarm sorgte für eine Unterbrechung des Musikfestivals in der Eifel – doch die fast 90.000 Musikfans lachen Angst einfach weg.

Hendrik Wichmann hat eine Sprachnachricht seiner Mutter auf dem Mobiltelefon. „Ich würde an deiner Stelle meine Haut retten. Was da alles im Fernsehen kommt, ist überhaupt nicht gut“, sagt die aufgeregte Stimme. Nach einer Pause kommt die Warnung: „Ich sag’ dir, der nächste Angriff ist dann auf dem Zeltplatz!“

Es ist Samstagmorgen, der Morgen nach dem Anti-Terror-Einsatz auf dem Gelände des Musikfestivals Rock am Ring. Hendrik lacht etwas verlegen, er ist immerhin schon 18 Jahre alt und eben kein Kind mehr. Aber dann ruft er seine Mutter sofort zurück. Als sie fragt, wie die Stimmung ist, sagt er nur: „Alle betrunken, Mama, alles gut.“

Gegen drei Männer aus der Salafistenszene wird ermittelt

Das ist ein Satz, der in der Nacht zum Sonnabend in viele Telefone gesprochen wurde, auf dem Nürburgring, in der idyllischen hügeligen Landschaft bei Koblenz. Tausendfach wurde sie erzählt, die Geschichte von der lachenden Festgemeinde, jene knapp 90.000 Besucher, die in nur 15 Minuten das Konzertgelände komplett geräumt haben, ohne einen einzigen Panikvorfall. Alle haben gleichzeitig Lieder angestimmt, um sich zu beruhigen, um zu feiern, trotz allem. „Eisgekühlter Bommerlunder“, „Die Lust am Leben“ und einmal ganz leise: „Always look on the bright side of life.“

Peter Herbick hat seiner Frau die Tickets für Rock am Ring zu Weihnachten geschenkt. „Es ist mein erstes Festival“, sagt Sabine Herbick. „Dass es gleich mit so einer unangenehmen Erfahrung beginnt, ist schade, aber wir lassen uns davon die Stimmung nicht verderben.“ Peter Herbick pflichtet ihr bei: „Die Angst feiert bei uns jedenfalls nicht mit.“

Sicherheitskräfte waren im Vorfeld verstärkt worden

Festivalbesucher stehen mit einem selbstgeschriebenen Schild „Mama uns geht es gut
Festivalbesucher stehen mit einem selbstgeschriebenen Schild „Mama uns geht es gut" in der Menge. © dpa | Thomas Frey

So denken viele. „Party!“, rufen sie, und „Jetzt erst recht!“. Nur selten kommen nachdenkliche Worte. Ein junges Mädchen hatte Beklemmungen, als sie das Gelände verließ, weil es so dunkel war und es ja auch hätte anders kommen können. Wie etwa bei dem Popkonzert in Manchester vor zwei Wochen, wo 22 Menschen von einem Selbstmordattentäter getötet worden waren.

Das Sicherheitskonzept wurde in diesem Jahr noch einmal verstärkt. 1240 Ordnungskräfte waren im Einsatz. Der Anschlag von Manchester sei eine Art Warnschuss gewesen, heißt es aus Polizeikreisen. Jessy und Jenni aus Göppingen in Baden-Württemberg wurde etwas mulmig, als sie die Polizisten am Eingang zum Festivalgelände sahen. „Die hatten ihre Maschinenpistolen im Anschlag, den ganzen Abend.“ An die Kontrolle von Taschen habe man sich inzwischen gewöhnt, sagt Jenni. „Aber dass selbst nach so einer Drohung die Stimmung noch so gut ist, hätte ich nicht gedacht.“ Es ist das erste Festival der beiden 18-Jährigen.

Auslöser war Festnahme von drei Verdächtigen

Am Freitagabend gegen 21 Uhr hatten die Veranstalter die knapp 90.000 Fans aufgefordert, das Gelände wegen Terroralarms zu verlassen. Danach durchkämmten die Ordnungskräfte die Veranstaltungsfläche, fanden jedoch keine verdächtigen Gegenstände. Organisator Marek Lieberberg sagte, er habe die Entscheidung mitgetragen. Zugleich polterte er gegen Polizei, gegen zu laschen Umgang mit Gefährdern und gegen fehlende öffentliche Zeichen von Muslimen.

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    Am Sonnabend gegen 11 Uhr kam die befreiende Nachricht: Das Konzert kann weitergehen. Auslöser der Polizei-Aktion war die Festnahme von drei Verdächtigen aus Hessen, die nach Angaben aus Ermittlerkreisen Rock am Ring besucht hatten und der Salafistenszene zugehören. Unter Salafismus versteht man eine ultrakonservative Strömung des Islams, von der eine Minderheit mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sympathisiert. Zumindest einer der drei habe Verbindungen zum islamistischen Terrorismus, erklärte die Polizei. Gegen ihn sei in der Vergangenheit ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat eingeleitet worden.

    Keine Indizien für konkrete Straftat am Ring

    Weder bei ihm noch bei den beiden Mitverdächtigen habe es jedoch Indizien oder Beweise gegeben, die auf eine konkrete Straftat am Nürburgring hingewiesen hätten, betonten Ermittler. Deshalb seien alle drei am Sonnabend freigelassen worden. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz ein Ermittlungsverfahren wegen der Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlenverbrechens eingeleitet. Die Ermittlungen dauern an. Die Polizei durchsuchte die Wohnungen der Verdächtigen und beschlagnahmte Gegenstände wie Laptops oder Handys.

    Alle drei Männer seien ausländischer Herkunft, bestätigten Ermittlerkreise. Ihre Verortung in der Salafisten­szene bedeute nicht unbedingt, dass sie einer gewissen Organisation angehörten. Es genüge, dass sie bestimmte salafistische Moscheen besuchten oder Kontakt mit einschlägig bekannten Predigern hätten.

    Mindestens zwei der drei Verdächtigen hätten Zugang zum Sicherheitsbereich des Festivals gehabt, teilte die Polizei mit. Ihnen seien von Firmen sogenannte Backstage-Karten zugewiesen worden, um Arbeiten auf dem Konzertgelände auszuführen wie etwa das Errichten von Zäunen oder das Aufstellen von Lautsprechern. Die von den Unternehmen eingereichten Namen hätten nicht mit den Namen der Verdächtigen übereingestimmt.

    Innenminister de Maizière: Sicherheit an erster Stelle

    Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz bei „Rock am Ring“.
    Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz bei „Rock am Ring“. © dpa | Thomas Frey

    Die rheinland-pfälzische Landesregierung rechtfertigte die Unterbrechung des Konzerts mit der Abwehr einer potenziellen Gefahr. Nach dem Terroralarm sei damit zu rechnen gewesen, dass die Festgenommen möglicherweise eine Bombe auf dem Festivalgelände deponiert hatten. „In einer solchen Bewertungssituation dürfen wir keine Risiken einbauen“, sagte Innenminister Roger Lewentz (SPD).

    Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der zuvor informiert worden war, sah es genauso: „So bitter es ist, die Sicherheit der Festivalbesucher muss an erster Stelle stehen.“ Konzertveranstalter Marek Lieberberg lobte die verständnisvolle Reaktion der Musikfans, die die Unterbrechung ohne Murren akzeptiert hätten: „Wir haben hier auch ein Zeichen für unsere Kultur und unsere Zivilisation gesetzt.“ Zunächst hatte er jedoch Unverständnis geäußert. „Ich glaube, dass wir hier büßen müssen, was im Fall Amri oder anderen zu wenig getan wurde.“

    Rammstein-Verzicht trifft viele

    Rock am Ring 2017: Am Ende bleibt das Gefühl großer Erleichterung. Sebastian aus Stuttgart wohnt auf der „Acht“, einem Zeltplatz abseits der großen Menschenmengen. Er hat sich noch am Abend ein Lied ausgedacht. Er hält eine Dose Bier in der Hand und versucht, seine Freunde dazu zu bringen, den Song mitzusingen. Das Wort „Terror“ kommt darin häufig vor, meist in Verbindung mit Fäkalsprache. Auf „kleiner Sack“ reimt sich „Terroristenpack“.

    Über eine Sache sind alle am „Ring“ enttäuscht: Der Auftritt der Kultband Rammstein, der als Höhepunkt des Festivals eigentlich am Freitag hätte stattfinden sollen, fällt aus. Egal, Sebastian will duschen und dann mehr Bier holen. „Muss ja“, sagt er und geht in Richtung der schwer bewaffneten Polizisten. Hinter ihnen sind E-Gitarren zu hören. Es dämmert langsam, gleich kommen die Toten Hosen. Sollten sie „Eisgekühlter Bommerlunder“ spielen, dann ist das ab jetzt auch ein Lied, das Mut macht.