Mönchengladbach. Sein Vater erstach die Mutter und verletzte ihn schwer: Darüber kam Marc S. nie hinweg. Nun starb der 17-Jährige einsam auf einem Baum.

Wochenlang verbargen die Zweige einer alten Eibe die Leiche des jungen Mannes, wochenlang hing er dort, vier Meter hoch über den Wegen des Mönchengladbacher Wohnviertels Am Wasserturm, so verborgen, wie er zuletzt gelebt hatte.

Polizei und die Verwaltung der nordrhein-westfälischen Stadt glauben nun zu wissen, wer der Tote war, auch wenn eine DNA-Analyse noch aussteht: Marc S. war 17 Jahre alt und auf der Flucht vor seinen dunklen Erinnerungen. Das Verbrechen seines Vaters trieb ihn aus der Gesellschaft und hinauf auf Bäume und Dächer, wo er übernachtete, auf der Flucht vor dem Jugendamt und der Polizei.

Er versuchte, die Mutter zu retten

Drei Jahre ist es her, dass der Vater, ein Trinker, die Mutter mit dem Küchenmesser tötete. Sie hatte sich trennen wollen, wollte gerade mit Marc S. das Haus verlassen, doch ihr Mann fing sie ab. So wurde es im Prozess um diese Tat deutlich. Ins Schlafzimmer konnte die halbseitig gelähmte Mutter sich noch flüchten, da stach ihr der Ehemann in den Rücken. Der 14-jährige Sohn warf sich dazwischen, da stach der Vater auch auf ihn ein, traf Lunge und Herz. Marc S. konnte sich blutüberströmt auf die Straße retten, rief um Hilfe, überlebte, doch das Trauma sollte ihn verfolgen. Der Vater tötete sich ein Jahr später im Gefängnis selbst.

Ende April blickte ein Spaziergänger nach oben und erblickte die Leiche des Jugendlichen im Baum auf einem Privatgrundstück. Die Feuerwehr musste zahlreiche Äste abtrennen, um den Toten zu bergen. Am Dienstag machte die Polizei den Fall öffentlich, die Obduktion hatte „keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden“ ergeben, Marc S. könnte erfroren oder an Drogen gestorben sein. Wenn die Identität des Toten eindeutig geklärt sei, werde man die Ermittlungen wohl einstellen, sagt Polizeisprecherin Cornelia Weber.

Junge wurde straffällig

Nach der Attacke seines Vaters war Marc S. dem Tod näher als dem Leben. Lange kämpften die Ärzte um ihn, dann die Mitarbeiter eines Jugendheims. Seine zwei Jahre jüngere Schwester soll noch immer dort leben. Doch der Junge, so formuliert es die Stadt, „entwich immer öfter und bevorzugte es, auf der Straße zu übernachten.“ Er konnte sich einfach nicht mehr in geschlossenen Räumen aufhalten.

Offenbar beging er auch Straftaten, welcher Art ist nicht bekannt. Im November 2016 jedoch entließ man Marc S. aus der Jugendhaft, schreibt die Stadt, „mit der Auflage, sich wieder in einer Jugendhilfeeinrichtung aufzuhalten und in psychiatrische Behandlung zu begeben“. Der Junge hielt sich nicht daran.

Hilfsangebote blieben letztlich fruchtlos

Immer wieder sollen seine Betreuer vom Jugendamt ihn aufgesucht haben, sollen Streetworker versucht haben, eine Beziehung aufzubauen. Ein paar Mal kam er zu den vereinbarten Treffen, berichtet Mönchengladbachs Stadtsprecher Dirk Rütten, zum Schluss nicht mehr. Im Januar entdeckten seine Betreuer Marc S. auf einem Flachdach, wo er sich eingerichtet hatte. Es war das letzte Mal, dass sie mit ihm sprechen konnten. Die Betreuer hatten die Polizei hinzu gerufen, doch Marc S. weigerte sich ins Auto zu steigen. Er entwischte. Ja, er verschwand.

Auch weil er gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hatte, suchte die Polizei ihn darauf mit Sicherungshaftbefehl – vergeblich. Den Nachbarn im Stadtteil Am Wasserturm soll der Junge bekannt gewesen sein, heißt es von der Polizei. Doch auch sie sahen ihn lange gar nicht mehr. Die Stadt schreibt nun, dass die Nachricht von seinem tragischen Ende die Mitarbeiter des Jugendamtes sehr betroffen mache. Alle Hilfsangebote seien letztlich fruchtlos geblieben. Marc S. wäre in drei Monaten volljährig geworden.

Dieser Text ist zuerst auf waz.de erschienen.