Washington. Der letzte Überlebende der Katastrophe von Lakehurst der erinnert sich an den Absturz des Luxus-Zeppelins „Hindenburg“ vor 80 Jahren.

Ginge er ins Fernsehen, sie würden ihm Sondersendungen widmen. Schriebe er ein Buch, es würde ein Bestseller. Aber Werner Doehner ist nicht so. Der letzte Überlebende der „Hindenburg“-Katastrophe vom 6. Mai 1937 hat selten einen Blick in sein Innerstes zugelassen. Zu tief war wohl die Verletzung. Zu groß der Verlust, den er als kleiner Junge erlitt.

Am Freitagabend aber wäre der pensionierte Ingenieur, der mit seiner Frau Elin in der 1500-Einwohner-Gemeinde Parachute (zu Deutsch: Fallschirm) in den Bergen von Colorado lebt, zum Gang ins Rampenlicht bereit gewesen. Als im „Clarion Hotel“ in Toms River nahe der Absturzstelle des seinerzeit größten Luftschiffs der Welt in Lakehurst/New Jersey mit einem Fest-Dinner die Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag eingeläutet wurden, hätte Doehner gern mit am Tisch gesessen. „Ich habe mich darauf gefreut, aber was soll’s“, sagte der 88-Jährige.

1937 explodierte die „Hindenburg“

Bis heute ist die „Hindenburg“ das größte Luftfahrzeug, das je gebaut wurde und geflogen ist – ein Prestigeobjekt deutscher Ingenieurkunst. Doch am 6. Mai 1937 verunglückte die „Hindenburg“ bei der Landung in den USA – und die Ära der Luftschiffe war jäh beendet.
Bis heute ist die „Hindenburg“ das größte Luftfahrzeug, das je gebaut wurde und geflogen ist – ein Prestigeobjekt deutscher Ingenieurkunst. Doch am 6. Mai 1937 verunglückte die „Hindenburg“ bei der Landung in den USA – und die Ära der Luftschiffe war jäh beendet. © dpa | Str
Der in Deutschland gebaute Zeppelin fing nach der Transatlantik-Passage beim Lande-Anflug Feuer und stürzte ab.
Der in Deutschland gebaute Zeppelin fing nach der Transatlantik-Passage beim Lande-Anflug Feuer und stürzte ab. © dpa | Murray Becker
Die „Hindenburg“ war nach ...
Die „Hindenburg“ war nach ... © Getty Images | Keystone
... dem deutschen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (r., 1847 bis 1934) benannt, der Adolf Hitler (l., 1889 bis 1945) zum Reichskanzler ernannt hatte.
... dem deutschen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (r., 1847 bis 1934) benannt, der Adolf Hitler (l., 1889 bis 1945) zum Reichskanzler ernannt hatte. © Getty Images | Hulton Archive
Sie galt als die „Titanic der Lüfte“, als das größte und schönste Luftschiff der Welt.
Sie galt als die „Titanic der Lüfte“, als das größte und schönste Luftschiff der Welt. © dpa | ---
Der Mitte des 19. Jahrhunderts in Konstanz geborene Graf Ferdinand von Zeppelin hatte die Luftschiffe marktreif gemacht, sie galten als deutsche Spezialität und wurden weltweit bewundert.
Der Mitte des 19. Jahrhunderts in Konstanz geborene Graf Ferdinand von Zeppelin hatte die Luftschiffe marktreif gemacht, sie galten als deutsche Spezialität und wurden weltweit bewundert. © imago | teutopress
Die erste „Werkstattfahrt“ absolvierte der Zeppelin LZ 129 im März 1936. Eine Fahrt mit der „Hindenburg“ war Luxus pur.
Die erste „Werkstattfahrt“ absolvierte der Zeppelin LZ 129 im März 1936. Eine Fahrt mit der „Hindenburg“ war Luxus pur. © Getty Images | General Photographic Agency
Die „Hindenburg“ verfügte über großzügig gestaltete Räume, festlich gedeckte Tische, bequeme Polsterstühle, Piano und Rauchersalon.
Die „Hindenburg“ verfügte über großzügig gestaltete Räume, festlich gedeckte Tische, bequeme Polsterstühle, Piano und Rauchersalon. © imago | United Archives International
Und natürlich Fenster mit unvergleichlichem Panoramablick.
Und natürlich Fenster mit unvergleichlichem Panoramablick. © Getty Images | Fox Photos
Im Inneren der „Hindenburg“.
Im Inneren der „Hindenburg“. © Getty Images | Fox Photos
Die Führerkabine des deutschen Luftschiffes.
Die Führerkabine des deutschen Luftschiffes. © Getty Images | Fox Photos
Die „Hindenburg“ konnte bis zu 131 Kilometer pro Stunde zurücklegen, war mit rund 245 Metern fast so lang wie ein Ozeandampfer und nahm 72 Passagiere auf.
Die „Hindenburg“ konnte bis zu 131 Kilometer pro Stunde zurücklegen, war mit rund 245 Metern fast so lang wie ein Ozeandampfer und nahm 72 Passagiere auf. © Getty Images | Keystone
Als Traggas wurde Wasserstoff verwendet, denn Helium wollten die USA nicht an Hitlers Deutsches Reich liefern.
Als Traggas wurde Wasserstoff verwendet, denn Helium wollten die USA nicht an Hitlers Deutsches Reich liefern. © imago | Leemage
Ab dem ersten Probeflug im März 1936 legte die „Hindenburg“ auf 63 Fahrten insgesamt 337.129 Kilometer zurück und beförderte 7305 Menschen und 8869 Kilogramm Post. Sie fuhr insgesamt acht Mal nach Südamerika und zurück, elf Mal nach Nordamerika.
Ab dem ersten Probeflug im März 1936 legte die „Hindenburg“ auf 63 Fahrten insgesamt 337.129 Kilometer zurück und beförderte 7305 Menschen und 8869 Kilogramm Post. Sie fuhr insgesamt acht Mal nach Südamerika und zurück, elf Mal nach Nordamerika. © Getty Images | Hulton Archive
Am 6. Mai 1937 verunglückte die „Hindenburg“.
Am 6. Mai 1937 verunglückte die „Hindenburg“. © dpa | Murray Becker
Sie explodiert in Lakehurst im US-Bundesstaat New Jersey – ganz in der Nähe der Metropole New York – beim Lademanöver, nachdem im hinteren Teil ein Feuer ausgebrochen war.
Sie explodiert in Lakehurst im US-Bundesstaat New Jersey – ganz in der Nähe der Metropole New York – beim Lademanöver, nachdem im hinteren Teil ein Feuer ausgebrochen war. © imago | United Archives International
Innerhalb von Sekunden ging das gewaltige Luftschiff nach der Transatlantik-Passage komplett in Flammen auf.
Innerhalb von Sekunden ging das gewaltige Luftschiff nach der Transatlantik-Passage komplett in Flammen auf. © dpa | Murray Becker
Die „Hindenburg“ stürzt ab.
Die „Hindenburg“ stürzt ab. © imago | United Archives International
Die Katastrophe wurde live im Radio übertragen. „Es brennt. Es brennt und es stürzt ab“, schrie Radioreporter Morrison ins Mikrofon. „Das ist so furchtbar, die schlimmste Katastrophe der Welt“, schluchzt er. „Oh, the humanity (Oh, Menschheit).“
Die Katastrophe wurde live im Radio übertragen. „Es brennt. Es brennt und es stürzt ab“, schrie Radioreporter Morrison ins Mikrofon. „Das ist so furchtbar, die schlimmste Katastrophe der Welt“, schluchzt er. „Oh, the humanity (Oh, Menschheit).“ © Getty Images | Central Press
36 Menschen starben: 13 Passagiere, 22 Crewmitglieder und ein Mitglied der Bodenmannschaft.
36 Menschen starben: 13 Passagiere, 22 Crewmitglieder und ein Mitglied der Bodenmannschaft. © dpa | Str
Kapitän Ernst A. Lehmann war als Beobachter der Geschäftsführung auf der Fahrt der LZ 129 an Bord. Er erlag einen Tag nach der Katastrophe seinen Verletzungen.
Kapitän Ernst A. Lehmann war als Beobachter der Geschäftsführung auf der Fahrt der LZ 129 an Bord. Er erlag einen Tag nach der Katastrophe seinen Verletzungen. © imago | United Archives International
Die „Hindenburg“ wird völlig zerstört.
Die „Hindenburg“ wird völlig zerstört. © dpa | Murray Becker
Es war weder das erste noch das schwerste Unglück der Luftschifffahrt – aber das Ende einer Ära.
Es war weder das erste noch das schwerste Unglück der Luftschifffahrt – aber das Ende einer Ära. © dpa | ---
Die Ursache ist bis heute nicht vollständig geklärt. Die meisten Experten gehen von einer elektrostatischen Entladung aus, die das Gas entzündete.
Die Ursache ist bis heute nicht vollständig geklärt. Die meisten Experten gehen von einer elektrostatischen Entladung aus, die das Gas entzündete. © dpa | Anthony Camerano
Werner Doehner (88) ist der letzte noch lebende Passagier von damals. Er saß mit seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Schwester an Bord des Luftschiffes.
Werner Doehner (88) ist der letzte noch lebende Passagier von damals. Er saß mit seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Schwester an Bord des Luftschiffes. © screenshot/youtube/phoenix
Werner Doehner (r.) war acht Jahre alt, als er gemeinsam mit Bruder Walter (10, M.), Schwester Irene (14) und den Eltern Hermann und Matilde am 3. Mai 1937 in Frankfurt am Main den Zeppelin LZ 129 bestieg. Die wohlhabende Familie wollte über New York nach Mexiko-City, wo der Vater als General-Direktor des Pharmazie-Handelsunternehmens Beick tätig war.
Werner Doehner (r.) war acht Jahre alt, als er gemeinsam mit Bruder Walter (10, M.), Schwester Irene (14) und den Eltern Hermann und Matilde am 3. Mai 1937 in Frankfurt am Main den Zeppelin LZ 129 bestieg. Die wohlhabende Familie wollte über New York nach Mexiko-City, wo der Vater als General-Direktor des Pharmazie-Handelsunternehmens Beick tätig war. © privat | privat
Werner Doehner überlebt die Katastrophe, weil seine Mutter ihn und seinen Bruder aus dem brennenden Luftschiff warf. Beim Sprung hinterher brach sie sich das Becken. Der Vater und die Schwester überleben nicht.
Werner Doehner überlebt die Katastrophe, weil seine Mutter ihn und seinen Bruder aus dem brennenden Luftschiff warf. Beim Sprung hinterher brach sie sich das Becken. Der Vater und die Schwester überleben nicht. © New York Daily News/Getty Images | Getty Images
2014 starb mit Werner Franz der letzte Überlebende der Crew. Als 14-Jähriger hatte er im Zeppelin als Kabinenjunge gearbeitet. Als das Feuer ausbrach, spürt er einen heftigen Ruck, sah Flammen, sprang aus dem Luftschiff und rannte. Sein Leben lang sei Franz, der nach dem Unglück für die Luftschiff-Reederei Besucher durch eine Zeppelin-Halle führte, von der „Hindenburg“-Katastrophe traumatisiert gewesen, sagte seine Witwe einmal. „Mein Mann hat mir erzählt, dass er jedes Mal, wenn starkes Licht in die Halle fiel, erschrak und Panik bekam.“
2014 starb mit Werner Franz der letzte Überlebende der Crew. Als 14-Jähriger hatte er im Zeppelin als Kabinenjunge gearbeitet. Als das Feuer ausbrach, spürt er einen heftigen Ruck, sah Flammen, sprang aus dem Luftschiff und rannte. Sein Leben lang sei Franz, der nach dem Unglück für die Luftschiff-Reederei Besucher durch eine Zeppelin-Halle führte, von der „Hindenburg“-Katastrophe traumatisiert gewesen, sagte seine Witwe einmal. „Mein Mann hat mir erzählt, dass er jedes Mal, wenn starkes Licht in die Halle fiel, erschrak und Panik bekam.“ © imago | teutopress
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In akzentfreiem Deutsch erzählt er am Telefon, dass er zu der Gala zunächst ein- und dann wieder ausgeladen wurde. Er vermutet, dass finanzielle Probleme dahinterstecken und verhehlt seine Irritation über die Ausladung nicht. Die Organisatoren der Gala waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. So oder so: Den Gästen in Toms River entgeht der letzte Augenzeuge einer der bewegendsten Geschichten des 20. Jahrhunderts.

Werner Doehner ist acht Jahre alt, als er gemeinsam mit Bruder Walter (10), Schwester Irene (14) und den Eltern Hermann und Matilde am 3. Mai 1937 in Frankfurt am Main den Zeppelin LZ 129 besteigt. Die wohlhabende Familie will über New York nach Mexiko-Stadt reisen, wo der Vater als Generaldirektor des Pharmazie-Handelsunternehmens Beick tätig ist.

Werner Doehner mit seinen Geschwistern.
Werner Doehner mit seinen Geschwistern. © privat | privat

245 Meter lang, 118 Tonnen schwer, 41 Meter hoch, bis zu 130 km/h schnell, vier Dieselmotoren, Platz für 72 Passagiere, die jeweils 1000 Reichsmark für die einfache Fahrt zahlen, alle Kabinen mit fließend warmem Wasser, vergoldetes Geschirr. Vater Hermann filmt die vorbeiziehenden Eisberge und in New York das Empire State Building. Für den Knirps ist die Reise in dem fliegenden Luxushotel, das die Nazis als Propaganda-Werbeträger einsetzen, ein Spektakel ohne Beispiel.

Reporter schlichen sich ins Krankenzimmer

Dann passiert nach 77 Stunden circa 100 Meter über dem Landeplatz in Lakehurst, 80 Kilometer südlich von New York, bei schwerem Gewitter das bis dahin Undenkbare: „Die ganze Luft war plötzlich wie ein Feuer“, erinnert sich Doehner. Binnen Sekunden, eine elektrostatische Aufladung soll die Ursache gewesen sein, geht das mit 200.000 Kubikmeter Wasserstoff gefüllte Luftschiff in Flammen auf und stürzt wie ein brennender Riesen-Lampion ab.

36 Tote. 62 Menschen kommen mit teils schwersten Verbrennungen davon. Herbert Morrison, der Radioreporter des Senders WLS Chicago, kann bei seiner Livereportage die Tränen nicht unterdrücken. „Oh, Menschheit. Das ist eine der schlimmsten Katastrophen der Welt.“ Werner Doehner überlebt, weil seine Mutter ihn und seinen Bruder Walter in letzter Sekunde aus dem brennenden Riesen wirft. Beim Sprung hinterher bricht sie sich das Becken. Hermann Doehner bleibt in den Flammen, Schwester Irene erliegt am Tag danach ihren schweren Verletzungen.

Der Zeppelin
Der Zeppelin "Hindenburg" am Tag der Katastrophe bei seinem Flug über Manhattan am Nachmittag des 6. Mai 1937. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / UPI

In diesen Stunden wächst Doehners bis heute ausgeprägte Reserviertheit den Medien gegenüber. Im Krankenhaus von Point Pleasant, wo er über 90 Tage verbringt und mehrfach operiert wird, schleichen sich Foto-Reporter in die Krankenzimmer. „Sie waren sehr aggressiv. Dabei hat meine Mutter versucht, uns so gut es geht abzuschirmen.“

Keine Albträume mehr durch die „Titanic der Lüfte“

Über seine Erlebnisse bleibt Doehner über Jahrzehnte fast stumm. Erst 1998 öffnet er sich gegenüber dem Filmemacher Peter Bardehle. In dessen großartiger Dokumentation „Titanic der Lüfte“ sieht man ihn gemeinsam mit Werner Franz, dem 2014 verstorbenen letzten Mitglied der Kabinencrew.

An die Stelle öffentlich inszenierter Trauer hat Werner Doehner das stille Gedenken gesetzt. Bis 2016 war er regelmäßig am Grab seiner Eltern in Mexiko-Stadt. Heute würde er sich dem Katastrophenjubiläum stellen. „Ich habe keine Albträume und auch keine Technikfeindlichkeit“, sagt der frühere Ingenieur, „die Hindenburg ist Teil meiner Biografie, das werde ich nie vergessen.“

Seit klar ist, dass Lakehurst bei den bis Sonnabendabend dauernden Feierlichkeiten auf seine Anwesenheit verzichtet, hat Doehner noch mehr Zeit, sich auf ein wichtigeres Jubiläum zu konzentrieren. „Ich feiere in diesem Jahr Goldene Hochzeit.“