Los Angeles. Der Komponist Hans Zimmer hat die Melodien der größten Kino-Erfolge geschrieben. Nun geht der Star mit deutschen Wurzeln auf Tour.
Wenn man in seinem weinroten Sofa versinkt, fühlt man sich wie im Wohnzimmer: barocke Möbel, edle Bücherregale, moderne Skulpturen – nur die kalifornische Sonne wird ausgesperrt. Fenster sind in Hans Zimmers Studio in Los Angeles, 14 Blocks vom Strand entfernt, überflüssig. Sie wären längst mit breiten Synthesizer-Modulen verbaut worden, die sich hier bis zur Decke stapeln.
Der berühmte Filmmusikkomponist, der die Filmmelodien zu Filmen wie „Inception“, „Fluch der Karibik“ oder „The Dark Knight“ lieferte, hält nicht viel vom Tageslicht. Er braucht keine Sonne, er arbeitet gern bis tief in die Nacht. Momentan ist es die musikalische Untermalung zu Christopher Nolans Kriegsdrama „Dünkirchen“, das ihn um den Schlaf bringt. „Wenn ich um vier Uhr morgens nach Hause fahre, habe ich ein schlechtes Gewissen.“
Im stillen Kämmerlein
In den Regalen glitzern Golden Globes und Grammys. Sein Oscar für die Musik von „Der König der Löwen“ ist ihm aus der Hand gerutscht. Seitdem ziert eine kleine Delle den wichtigsten Filmpreis der Welt, den er nun lieber in eine Glasvitrine stellt. Der 59-Jährige gilt als Star-Komponist, der die musikalische DNA von mehr als 150 bedeutsamen Kinofilmen geliefert hat. Doch seitdem er vor zwei Jahren Besuch von guten Freunden bekommen hat, ist er nicht mehr nur der Musiker, der im stillen Kämmerlein vor sich hin komponiert.
Zu Gast in seinem weichen Sofa waren die Musiker Johnny Marr, Gitarrist der Indie-Legende The Smiths („Bigmouth strikes again“) und Popsänger Pharrell Williams („Happy“). „Du kannst dein Leben nicht von deinem Lampenfieber bestimmen lassen und dich hinter der Leinwand verstecken“, zitiert Hans Zimmer die Worte seiner befreundeten Kollegen. Sie sagten: „Du musst jetzt deinem Publikum ins Gesicht schauen.“
70-Mann-Orchester
Und Zimmer nahm den Gedanken auf, wagte seine erste Konzerttournee. Vor wenigen Wochen spielte der scheue Maestro umringt von Zehntausenden Fans beim Riesenfestival Coachella in Kalifornien – nach Lady Gaga und Radiohead. Nun will er mit seinem 70-Mann-Orchester zwei große Stadien in Deutschland füllen – und das als Filmmusikkomponist.
Es klingt nach Hollywood und seinen manchmal kitschigen Heldengeschichten. Bodenständigkeit nimmt man dem vierfachen Familienvater aber ab, wenn er an seinem verwaschenen beigefarbenen Sakko zupft. Seine deutsche Aussprache hat der Alltag in der Traumfabrik mit einem englischen Akzent verformt. „Den deutschen Akzent habe ich dafür in der Musik.“
Rock ‘n’ Roll entdeckt
Zimmer zieht seine Regenbogen-Ringelsocken hoch – und holt aus: „Als Kind habe ich Klassik gehört, aber meinen Klavierlehrer zur Verzweiflung gebracht, bis er einen Stuhl nach mir geworfen hat.“ Im Alter von zwölf Jahren zog die Familie von einem kleinen Dorf im Taunus nach London. Die Mutter war Opernsängerin. Der Vater ein Ingenieur – er starb früh. Zimmer entdeckte den Rock ‘n’ Roll. Er hörte progressive Bands wie Khan und Neu, Kraftwerk und Tangerine Dream.
Schlug sich als Jingle-Komponist durch. Und schrieb nebenbei Musikgeschichte. „Nicht jeder hat im ersten Musikvideo mitgespielt, das bei MTV gesendet wurde“, erzählt er beinahe beiläufig. Mit den britischen New-Wave-Pionieren The Buggles schuf Zimmer Ende der 1970er-Jahre am Synthesizer den letztlich nicht prophetischen Hit „Video Killed the Radio Star“. „Es ging mir nicht um die Platte. Das Gesamtkunstwerk aus Musik und Bildern hat mich interessiert.“
Eine schöne Melodie
Zimmer, der sich immer noch als Deutscher fühlt, denkt jedoch auch an die Misserfolge zu Beginn seiner Karriere: „Ich wollte zumindest einmal die Musik für den Tatort schreiben – aber die haben mich damals nicht durch die Tür gelassen.“ Seine ersten Jobs sicherte sich der junge Zimmer stattdessen auf der britischen Insel. „In Deutschland hat man dich sofort für einen Idioten gehalten. In England musstest du es erst beweisen.“
Heute ist er einer der einflussreichsten Deutschen in Hollywood. „Es reicht nicht, eine schöne Melodie zu schreiben, die Musik muss mit der Geschichte des Films verwurzelt sein“, sagt er.
Kunst und Unterhaltung
Nicht alle stehen auf seine Kompositionen, die wie Klangteppiche wirken. Strenge Puristen kritisieren die Synthetik in seinen Werken. „Leute, die meinen, dass ich damit das Orchester zerstöre, verstehen nicht, dass ich nur etwas hinzufüge. Der Computer ist ein Instrument, genauso wie ein Klavier, eine Orgel oder eine Violine.“ Kunst und Unterhaltung seien kein Widerspruch, so Zimmer. „Die Tafelmusik von Mozart – auch das war letztlich Popmusik.“
Hans Zimmer schaut auf die Uhr. Und dann sofort auf seine Keyboards. Christopher Nolan wartet noch auf eine Partitur. „Ich sitze nicht um sieben Uhr beim Abendessen. Um sieben Uhr fangen die guten Ideen an.“
• Hans Zimmer tritt am Mittwoch, 24. Mai, in Leipzig auf und am Freitag, 9. Juni, in Frankfurt.