Berlin/Rom. Er trägt einen Titel, den es eigentlich gar nicht gibt: Papst im Ruhestand. Am 16. April, Ostersonntag, wird Benedikt XVI. 90 Jahre.

Es sind ruhige Tage im Kloster Mater Ecclesiae in den vatikanischen Gärten. Der prominente Bewohner liest in der Bibel oder schreibt kurze Predigten für Gottesdienste, die er mit der Handvoll Mitbewohner feiert. Gelegentlich empfängt er Besucher und manchmal schaut auch sein Nachfolger vorbei, so wie letzten November, als Papst Franziskus mit 17 neu ernannten Kardinälen erschien. Der Gastgeber im Kloster, so wird berichtet, soll sich sehr gefreut haben.

Benedikt XVI., seit seinem Rücktritt am 11. Februar 2013 der „Papa emeritus“ der katholischen Kirche, der am Ostersonntag 90 Jahre alt wird, hatte sich Mater Ecclesiae als Domizil für seinen Ruhestand auserwählt. Seit gut vier Jahren lebt er nun im Vatikan, dem Herzen der katholischen Kirche, und doch in weitgehender Abgeschiedenheit vom permanenten Trubel auf dem Petersplatz.

Acht Jahre an der Spitze der Kirche

Ob er etwas vermisse fragte ihn der Journalist Peter Seewald in seinem kürzlich veröffentlichten Interview-Buch „Letzte Gespräche“ (Droemer Verlag, ca. 20 Euro). „Überhaupt nicht, nein!, lautete die Antwort. Er sei „Gott dankbar, dass diese Verantwortung, die ich nicht mehr tragen könnte, nicht mehr auf mir lastet“.

Acht Jahre lang, von seiner Wahl im Konklave am 19. April 2005 bis zu seinem Rücktritt, dem ersten eines Papstes seit tausend Jahren, hatte Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. diese „Last“ an der Spitze des Vatikans getragen. Er war in dieser Zeit ein Bewahrer – der dann mit einem einzigen Satz das Papstamt revolutionierte.

Benedikts spektakuläre Rücktrittserklärung, als er erklärte, „mit voller Freiheit auf das Amt des Bischofs von Rom, Nachfolger Petri zu verzichten“, ist nicht der einzige Widerspruch in der Karriere eines Mannes, der vom Kaplan in der Münchner Heilig Blut Pfarrei zum Oberhaupt der Katholischen Kirche aufstieg.

Von Marktl am Inn in den Vatikan

Treffen zweier Päste: Benedikt XVI. (re.) mit seinem Nachfolger Franziskus im November 2016.
Treffen zweier Päste: Benedikt XVI. (re.) mit seinem Nachfolger Franziskus im November 2016. © imago/Independent Photo Agency Int. | imago stock&people

Die Karriere des Joseph Ratzinger, sein Weg von Marktl am Inn in den Vatikan, ist gezeichnet von Brüchen und Kurswechseln; manche davon hat er gezielt angestrebt, gegen andere, wie die Wahl zum Papst am 19. April 2005, hat er sich gewehrt.

Als Papst Benedikt XVI. war er kein Menschenfischer, wie sein Nachfolger Franziskus einer ist. Joseph Ratzinger, der Gelehrte, der „Philosoph Gottes“ (Seewald), der die Bücher liebt, fremdelte sichtlich mit dem Papstamt. Und sein Rücktritt war für ihn gleichsam eine Erlösung.

Joseph Ratzinger, geboren am 16. April 1927, ein Karsamstag, wuchs in einem erzkatholischen-bayerischen Elternhaus auf. „Religion war ganz zentral“, sagte er einmal selbst über seine Kindheit. Das gemeinsame Gebet zu den Mahlzeiten, das Lesen im Gebetbuch, der sonntägliche Kirchgang. Auch die liturgischen Feste faszinierten ihn früh. Doch schon bald habe sich gezeigt, „dass mich von Anfang an alles, was in der Religion gesagt wurde, eben auch rational interessiert hat“. Ratzinger spricht im Rückblick deshalb auch von einem „rationalen Abenteuer“.

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    Schon mit 30 Jahren Professor

    Der somit vorgezeichnete Weg in die Theologie führte den jungen Ratzinger denn auch bald nach seiner Priesterweihe 1951 in die Wissenschaft. Nach nur 14 Monaten seelsorgerischer Tätigkeit als Kaplan erfolgte ein Ruf an das Freisinger Priesterseminar. Ratzinger stürzte sich begeistert in die Arbeit, über das Thema „Volk und Haus Gottes in Augustinus Lehre von der Kirche“. Schon mit 30 hatte er sich habilitiert, lehrte in der Folge als Universitäts-Professor in Bonn, Münster und Tübingen. Der Gelehrte war in seinem Element. Seine Vorlesungen waren überfüllt. Ratzinger wurde zum theologischen Star.

    Er galt als progressiver Theologe. So beklagte er, die Kirche habe „zu straffe Zügel, zu viele Gesetze, von denen viele dazu beigetragen haben, das Jahrhundert des Unglaubens im Stich zu lassen, anstatt ihm zur Erlösung zu helfen“. Es war ein Vorgriff auf das Zweite Vatikanische Konzil ab 1962, an dem Ratzinger als offizieller Konzilstheologe und enger Vertrauter des Kölner Kardinals Josef Frings mitwirkte. Das Konzil öffnete sich der modernen Welt – und Ratzinger trieb diesen Wandel voran.

    Schock durch die 68er-Bewegung

    Doch der vorsichtig liberale Kurs des Konzil-Teilnehmers wurde schnell beendet, als der Uni-Theologe mit der Studentenrevolte konfrontiert wurde. Der respektlose Umgang der Studenten mit der Kirche kränkte den Geistlichen, der sich in der Folgezeit vom Liberalen immer mehr zum Konservativen wandelte. Es war nur konsequent, dass konservative Papst Johannes Paul II. den Kardinal Ratzinger zum Präfekten der Glaubenskongregation machte – und damit zum obersten Glaubenshüter des Katholizismus.

    Der Pole Wojtyla und der Deutsche Ratzinger – sie wurden „zur Speerspitze eines Rollback in der Kirche“, wie es der „Spiegel“ einmal formulierte. Alles, was nach Modernisierung aussah, wurde kleingehalten; marienfromm und treu zu Rom, so sollte der Katholik sein. Da befand sich Ratzinger ganz auf der Linie von Johannes Paul II.

    „Der Druck der Gottlosigkeit“

    19. April 2005: Aus Joseph Kardinal Ratzinger wird Papst Benedikt XVI.
    19. April 2005: Aus Joseph Kardinal Ratzinger wird Papst Benedikt XVI. © imago/ZUMA Press | imago stock&people

    Trotzdem war es eine große Überraschung, als Joseph Ratzinger am 19. April 2005 als erster Deutscher seit 482 Jahren zum Papst gewählt wurde. Er hatte sich nie nach dem Amt gedrängt und als Benedikt XVI. tat er sich denn auch schwer – nicht nur weil die Nachfolge des Jahrtausendpapstes Johannes Paul II. eine schier unlösbare Aufgabe darstellte.

    Benedikt buhlte lange um die Holocaust-Leugner der Piusbruderschaft und fand erst spät die richtigen Worte, als die zahlreichen Fälle von Missbrauch durch katholische Priester bekannt wurden. Verzweifelt kämpfte er gegen den Zeitgeist, den „Druck der der Gottlosigkeit heute, den Druck der Abwesenheit des Glaubens bis tief in die Kirche hinein“, wie er einmal klagte.

    Mit seinen drei Enzykliken setzte Benedikt keine Maßstäbe, das gleiche gilt für seine Auslandsreisen, die ihn nur auf sicheres Terrain führten. Bei seinem Deutschland-Besuch enttäuschte er Hoffnungen auf neue Impulse in der Ökumene. Seine dreibändigen Jesus-Biografie war zwar theologisch wichtig – eine breite Leserschaft dürfte die gelehrte Trilogie trotz hoher Auflagen aber nicht erreicht haben.

    „Ich habe mein Werk getan“

    Seit seinem Einzug in Mater Ecclesiae hat sich Benedikt weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Auf einem Auge ist er fast blind, das Gehör ist auch schwach geworden. Benedikt arbeitet inzwischen auch nicht mehr an neuen Büchern. Seinem Gesprächspartner Seewald verriet er: „Ich habe mein Werk getan.“