Berlin. Prügelnde Patienten, randalierende Angehörige: Immer häufiger eskaliert Gewalt gegen Mediziner. Kliniken engagieren Sicherheitsdienste.

Es hätte die vielleicht schönste Nacht seines Lebens werden können, doch sie endet für den werdenden Vater in einer Gefängniszelle. Im südbadischen Lörrach will er gegen 0.30 Uhr zu seiner hochschwangeren Freundin, die mit Wehen im Kreißsaal des örtlichen Krankenhauses liegt.

Als der Mann die Geburtsstation betritt, bemerken die Ärzte und Pfleger, dass er ziemlich betrunken und kaum Herr seiner Sinne ist. Also verweigern sie ihm den Zutritt zum Kreißsaal – und der Mann rastet aus. Er randaliert, beleidigt das Personal, schließlich rückt die Polizei an und nimmt den Betrunkenen mit. Zurück bleiben verängstigte Mitarbeiter. Es ist in letzter Zeit nicht der erste Gewaltausbruch in einem deutschen Krankenhaus.

Patient schmiss mit Urinbechern

Tatsächlich ist die Episode aus Lörrach nur eines von vielen Beispielen der vergangenen Wochen. In Mainz drehte ein Betrunkener (27) durch, als eine Notärztin ihm helfen wollte. Völlig verängstigt verbarrikadierte sie sich im Rettungswagen, bis endlich Hilfe kam. In Sachsen-Anhalt ohrfeigte ein Mann seinen Arzt, trat um sich, spuckte und versuchte, die Helfer zu beißen. Und in Villingen-Schwenningen (Baden-Württemberg) flippte ein Patient (30) anscheinend grundlos aus, warf mit Urinbechern um sich und verspritzte Blut.

Übergriffe in Kliniken und Arztpraxen hat es zwar immer schon gegeben. Doch Ärztevertreter schlagen Alarm, dass Gewalttaten gegen medizinisches Personal häufiger vorkommen – und brutaler geworden sind. Bundesweite Zahlen gibt es nicht, doch die Bundesärztekammer (BÄK) fordert mehr Schutz für Ärzte.

Gewaltbereitschaft als Spiegelbild der Gesellschaft

In Notaufnahmen von Krankenhäusern kommt es häufig zu langen Wartezeiten. Das nervt viele Patienten.
In Notaufnahmen von Krankenhäusern kommt es häufig zu langen Wartezeiten. Das nervt viele Patienten. © dpa | Armin Weigel

BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery nennt die „absolute Überlastung“ von Notaufnahmen als eine Ursache. Viele Patienten suchten direkt die Notfallambulanz auf, um schnellere und umfassendere Hilfe zu bekommen. Tatsächlich müssten sie dort aber oft lange warten – „teilweise sechs bis sieben Stunden sitzen sie dort, bevor sie behandelt werden“. Das führe dann häufig dazu, dass die Patienten ungeduldig würden, „vor allem, wenn sie sehen, dass andere Patienten aus medizinischen Gründen ihnen vorgezogen werden“.

Zwischen Migranten und dem Personal sorgten zudem oft sprachliche und kulturelle Barrieren für Spannungen, berichten Ärzte. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft verweist auf eine allgemeine Verrohung der Sitten. „Die Gewaltbereitschaft hat gesamtgesellschaftlich zugenommen“, meint Sprecher Joachim Odenthal. Kliniken seien insofern ein Spiegelbild der Gesellschaft.

Ohne Sicherheitsdienste geht es oft nicht mehr

Besonderes Aufsehen erregte im vergangenen Sommer der Mord an einem Arzt des Berliner Benjamin-Franklin-Krankenhauses: Ein 72 Jahre alter Patient erschoss – mutmaßlich aus Verzweiflung über eine schwerwiegende Erkrankung – einen Kieferorthopäden und tötete sich anschließend selbst.

Immer mehr Krankenhäuser sehen sich gezwungen, ihre Mitarbeiter durch Sicherheitsdienste schützen zu lassen. Eine Vorreiterrolle spielt das Klinikum Nürnberg. Als vor vier Jahren eine Oberärztin von einem Patienten zusammengeschlagen wurde, entschied sich die Klinikleitung zu handeln.

Deeskalationstraining für Klinikpersonal

In der Folge erhielten alle Mitarbeiter ein Training für den Umgang mit Pro­blempatienten. Das Krankenhaus engagierte einen Wachschutz für die Intensivstation, auf der Drogenpatienten behandelt werden, sowie für die Notaufnahme. 30 bis 40 Ausraster von Patienten oder ihren Angehörigen registriert das Klinikum jeden Monat. „Meist sind es verbale Entgleisungen, manchmal aber auch Handgreiflichkeiten“, sagt Sprecher Bernd Siegler. Das Klinikum lässt sich die Maßnahmen gegen Übergriffe jährlich eine halbe Million Euro kosten.

Die Mitarbeiter fühlten sich dadurch sicherer. Ein Problem aber bleibt: Man könne aggressiven Patienten nicht einfach einen Hausverweis erteilen, sagt Michael Wünning, Sprecher der Leitenden Ärzte der zentralen Notaufnahmen in Hamburg. „Wir haben ja einen Versorgungsauftrag.“