Bei Scheidungen bekriegen sich Deutsche immer heftiger
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Von Caroline Rosales
Berlin. Die Zahl hochstrittiger Scheidungsfälle in Deutschland ist laut Familienberatern deutlich gestiegen – fast immer zum Leid der Kinder.
Sie hat vier Jahre investiert, um die drei gemeinsamen Kinder zu Hause zu betreuen, war nächtelang wach, hat Windeln gewechselt, Tonnen von Gemüse weich gekocht und Rotznasen sauber gewischt. Diese Zeit, in der Maria nicht im Büro saß, ist auch Geld wert, findet sie. Und die soll er ihr jetzt im Zuge der anstehenden Scheidung bezahlen. Er heißt Martin und findet dagegen, dass Maria genug profitiert habe. Nun möchte er mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen. Genau die Zeit, in der Maria ihm die Kinder seiner Meinung nach entzieht.
Und damit ist der Rosenkrieg programmiert. Mein Haus, mein Boot, mein Rentenausgleich, mein Unterhalt. Als Druckmittel werden die Kinder eingesetzt, bis der Sorgerechtsvorgang mehr Akten umfasst, als die Kinder zusammen alt sind. So will es das Klischee und leider auch die Realität. In Zeiten, in denen jede dritte Ehe, in Großstädten sogar jede zweite, in die Brüche geht, werden die Scheidungsschlachten härter. Diese Entwicklung macht Experten allerorts Arbeit – und vor allem Sorgen.
In zehn Prozent der Fälle ist Klima vergiftet
So würden extrem streit- und rachsüchtige Paare, die vor der Trennung stehen, bei Familienberatungsstellen in Deutschland immer häufiger vorkommen. In diesen Fällen herrsche ein vergiftetes Klima, sagt die Leiterin der Erziehungsberatungsstelle des Bistums Osnabrück, Birgit Westermann. Bei etwa zehn Prozent der vor der Trennung stehenden Paare handele es sich um solche Extremfälle. Deren Zahl sei deutlich gestiegen.
„Eltern können sich so zerstreiten, weil es um existenzielle Fragen geht“, sagt Westermann. Den Trend bestätigen Experten bundesweit. Fachleute bezeichneten diese extreme Form der Auseinandersetzung als „hochstrittige Konflikte“, sagt dazu die Psychologin Gesine Götting, Vorstandsmitglied der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, dieser Redaktion.
Scheidung hat Folgen für Beziehungen der Kinder
Im Jahr 2015 ließen sich laut Statistischem Bundesamt bundesweit 163.335 Paare scheiden. Von der Trennung ihrer Eltern waren 132.000 Kinder betroffen. Für die sei diese Erfahrung eine schwere Entwicklungsbelastung, sagt Götting. Von Scheidungskindern sei aus der psychologischen Forschung bekannt, dass sie Beziehungen oft zu früh eingingen, zu hohe Erwartungen hätten oder sich gar nicht erst zutrauten, eine Beziehung einzugehen.
Auch nach seinem Eindruck hat die Schärfe bei Streits in den vergangenen Jahren zugenommen, sagt der Berliner Familienrichter Michael Grabow. Die Eltern würden einander nicht den weiteren Umgang mit dem Kind gönnen. Zum Teil werde der Streit um das Umgangsrecht benutzt, um dem anderen das Leben schwer zu machen oder Maximalforderungen zu stellen. Diese würden vor allem dem eigenen Interesse dienen und nicht dem des Kindes. „Das ist sowieso ein Merkmal der Hochstrittigkeit, dass die Perspektive des Kindes keine Rolle mehr spielt, sondern dass man sich total in die Auseinandersetzung mit dem anderen Elternteil hineinsteigert.“
Kinder werden zu Druckmittel oder Komplizen der Eltern
Das andere Extrem kennt Psychologin Gesine Götting: „Wir beobachten auch, dass viele Eltern eine hohe emotionale Abhängigkeit von ihrem Kind verspüren.“ Sehr gekränkte Väter und Mütter erwarteten dann – bewusst oder unbewusst –, dass sich das Kind auf ihre Seite stelle und unterzögen es so einer seelischen Zerreißprobe. Der bekannte Familientherapeut Jesper Juul findet in seinem neuesten Buch „Liebende bleiben“ (Beltz) für solche Machtkämpfe auf Kosten der Kinder sogar noch härtere Worte: „Hässliche Trennungen haben für die Kinder traumatische Auswirkungen“, schreibt er.
Götting rät den betroffenen Ex-Partnern daher, frühzeitig Hilfe zu suchen. Das Elterntraining „Kinder im Blick“ werde mittlerweile bundesweit in Erziehungsberatungsstellen angeboten. Getrennte Väter und Mütter lernen dort in parallelen Gruppen wichtige Grundlagen über Scheidungsfamilien. „Im Übrigen“, betont Götting, „haben auch Kinder und Jugendliche einen eigenen Anspruch auf Beratung.“