Berlin. Soziale Netzwerke erhöhen den Druck auf junge Menschen, stets gut auszusehen. Dieser Druck kann mitunter einschneidende Folgen haben.
Instagram ist vor allem für Jugendliche eine der wichtigsten Inspirationsquellen für den eigenen Look geworden. Nutzer stellen Posen von Stars wie Kylie und Kendall Jenner oder Kim Kardashian nach. Filter komplettieren dabei ein scheinbar perfektes Aussehen, bei dem die Haut weichgezeichnet wird und Augen vergrößert werden. Umfragen zeigen nun, dass vor allem junge Frauen Schönheits-Operationen in Kauf nehmen, um dem Schönheitsideal ihrer Vorbilder zu entsprechen.
Eine Blitzumfrage unter Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) untermauerte den Einfluss von sozialen Medien auf Schönheits-OPs schon im Frühling 2017. Es wurde gefragt: „Haben Trends, die in Massenmedien oder sozialen Medien behandelt werden, einen Einfluss auf die Nachfrage in Ihrer Praxis/Klinik?” 27 Prozent der Ärzte beantworteten die Frage mit Ja, weitere 53 Prozent mit „teils/teils“. Nur 20 Prozent der Chirurgen sahen keinen Einfluss auf die Nachfrage in ihrer Praxis.
Eine neue Umfrage vom Juni 2019 zeigt, dass dieser fragwürdige Trend sogar noch weiter geht: So kommen immer wieder Patientinnen in die Praxen der plastischen Chirurgen mit einem Selfie in der Hand. Der Wunsch: Sie wollen in der Realität so aussehen wie auf einem Foto, das mit Filtern der Social-Media-Apps bearbeitet wurde.
Schönheits-OP: Fördert Instagram den Wunsch nach Operationen?
59,1 Prozent der befragten Chirurgen gaben an, dass bereits vereinzelt Patientinnen mit solch einem Foto in die Praxis gekommen seien. 9,1 Prozent der Befragten gaben sogar an, dass sie dieses Phänomen schon häufig beobachtet haben.
„Bearbeitete Selfies verschieben vor allem bei jungen Patientinnen die Wahrnehmung des eigenen Aussehens, was oft zu unrealistischen Vorstellungen dessen führt, was ein chirurgischer Eingriff an Ergebnissen liefern kann“, erklärt Dr. med. Alexander P. Hilpert, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie. Ein Großteil der befragten Chirurgen (85,7 Prozent) glaubt, dass diese Entwicklung in den kommenden Jahren noch verstärkt wird. Die Umfragen der DGÄPC waren dabei nicht repräsentativ.
US-Patienten wollen auf Instagram und Snapchat gut aussehen
Eine Umfrage der „American Academy of Facial Plastic and Reconstructive Surgery“, einem Verband von US-Chirurgen, brachte ähnliche Ergebnisse hervor. 42 Prozent der Mitglieder gaben an, im Jahr 2016 Patienten behandelt zu haben, die auf Bildern in sozialen Netzwerken besser aussehen wollten.
Doch woher kommt dieser Drang, sich notfalls mithilfe von Schönheitsoperationen besser auf Instagram und bei Snapchat präsentieren zu können? Bert Theodor te Wildt arbeitet als Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Bochumer LWL-Klinik für Psychosomatische Medizin und befasst sich unter anderem mit dieser Frage. Unserer Redaktion sagte er Ende März 2017, dass vor allem die Millennials (Jahrgänge 1980-1999) ihr Leben sowohl digital wie auch analog verstehen. Die Vorbilder vieler Millennials: Kim Kardashian, Ariana Grande und Selena Gomez.
Das sind die Kardashians und Jenners
Belohnungssystem der Netzwerke löst Druck aus
Die Motivation zur eigenen Selbstdarstellung ergebe sich auch aus dem System der Netzwerke, die mit Likes und Kommentaren als eine Art Belohnungssystem arbeiten. Unter dem Druck, auch digital gut performen zu wollen, folgten Menschen auch ästhetischen Vorbildern und Verhaltensmustern, die Außenstehende schwer nachvollziehen können. „Irgendwann ist nicht mehr klar: Was ist noch authentisch? Was ist gefühlt, echt, lebendig?“, so te Wildt.
Genau auf diesen Punkt verweist auch Torsten Kantelhardt, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie und Präsident der DGÄPC. „Man muss beim Patienten abklopfen, ob er nur einem Hype oder einer Mode folgt. Es muss klar sein, dass der Patient einen Eingriff wirklich will und ihn nicht nach wenigen Wochen bereut“, sagte Kantelhardt im Gespräch mit unserer Redaktion.
Zwar nutzten auch viele seiner Kollegen selbst soziale Netzwerke zur Eigenwerbung, doch wenn es um Aufklärung geht, ersetze nichts das persönliche Gespräch.
Wenn der „Selfie-Hals“ zum vermeintlichen Problem wird
In diesen Gesprächen werde deutlich, dass die Technik hinter sozialen Netzwerken auch Fragen der plastischen und ästhetischen Chirurgie berührt. „Es gibt durchaus eine Art Trend wegen des so genannten ‘Selfie-Halses’“, so Kantelhardt.
Hintergrund sei, dass viele Nutzer bei Selfie-Aufnahmen oder Video-Chats nach unten schauen und so oft ein Doppelkinn oder Falten am Hals zu sehen sind. Mit Schönheitsoperationen versuchten Patienten diesem Effekt entgegenzuwirken. Solche Anfragen seien jedoch aus Sicht des Mediziners die absolute Ausnahme – so wie auch Patienten, die konkrete Schnappschüsse eines Stars als Blaupause mit zur Beratung bringen.
Was Prominente aber zum Thema Schönheits-Operationen selbst mitteilten, sei heutzutage wesentlich präsenter als in der Zeit vor Facebook und anderen Netzwerken. Als Beispiel nennt Kantelhardt Berichte über die Moderatorin Sophia Thomalla, die sich einer Brustverkleinerung unterzogen hatte. „Die Akzeptanz gegenüber plastischer Chirurgie ist größer geworden, weil sich Menschen dazu öffentlich bekennen – eben auch über soziale Medien“, so die Einschätzung von Torsten Kantelhardt.
Ariana Grande hat die meisten Fans auf Instagram
Nicht alle prominenten Vorbilder der Millennials gehen so offen mit plastischer Chirurgie um wie Sophia Thomalla. Gemein ist ist ihnen aber, wie sich auf Instagram präsentieren. Von scheinbar jeder Lebenslage gibt es Fotos, die Promis wirken dabei immer perfekt.
In Bildunterschriften steht dann zwar, dass ein Foto direkt nach dem Aufstehen entstanden sei, doch wer hinter die Kulissen blickt, dürfte erfahren, dass auch solche Fotos aufwendig geplant sind und nicht immer nur mit dem Smartphone, sondern von professionellen Fotografen gemacht wurden.
Wie die Mechanismen auf Instagram funktionieren hat wohl am besten eine US-Sängerin verstanden. Ariana Grande ist die Frau mit den meisten Instagram-Fans. Sie hat mehr als 146 Millionen Follower. In Deutschland ist Cathy Hummels eine der präsentesten Instagram-Persönlichkeiten - mit über 470.000 Abonnenten. Zuletzt stand Cathy Hummels vor Gericht - es geht um unerlaubte Werbung.
Ganz andere Probleme als Cathy Hummels hat die Influencerin Annisophie: Wie ein Paar-Foto bei Instagram zu rechter Propaganda wurde.
Nicht immer geht es bei Instagram im übrigen um die Optik und ums Geld verdienen, sondern auch um harte Politik. Bundeskanzlerin Angela Merkel schloss ihre Facebook-Seite und ist seitdem nur noch bei dem Foto-Netzwerk aktiv.