Vancouver. Die Kanadierin Maggie MacDonnell unterrichtet als Lehrerin in der Arktis. Statt Latein zu pauken, bringt sie ihre Schüler zum Angeln.

Lineare Gleichungen, Latein oder Gedichtanalysen gehören nicht zum Repertoire der kanadischen Pädagogin Maggie MacDonnell. Dass sie dennoch zur „besten Lehrerin der Welt“ gekürt worden ist, liegt daran, dass sie Schülern praktische Hilfe anbietet. MacDonnell hat in den vergangenen sechs Jahren in dem Inuit-Dorf Salluit unterrichtet, das nur aus der Luft erreicht werden kann.

Salluit ist ein entlegener Ort hoch im arktischen Norden von Kanada. Eine befestigte Straße dorthin gibt es nicht, nur eine Flugpiste aus Schotter mitten in der Tundra. Auch sonst ist das Leben harsch für die rund 1400 Bewohner. Die Temperaturen fallen im Winter auf minus 25 Grad. Viele Familien leben zusammengepfercht in kleinen Holzhütten oder Containern. Weil es nicht genügend Betten für alle gibt, übernachten manche Kinder auf dem Küchentisch. „Wenn meine Schüler morgens ins Klassenzimmer kommen, sind sie oft sehr mitgenommen. Also sind erstmal Entspannungsübungen angesagt“, erzählt Maggie MacDonnell.

Preis von einer Stiftung aus Dubai vergeben

Die Selbstmordraten unter Jugendlichen in Salluit sind hoch, bis zu elfmal höher als sonst in Kanada. Viele Ureinwohner trinken, nehmen Drogen. Sie könne nicht alle Probleme aus der Welt schaffen, aber sie könne es versuchen, sagt MacDonnell, 36, die aus der kanadischen Provinz Nova Scotia stammt und lange in Afrika gearbeitet hatte. Der renommierte Preis wurde vor drei Jahren von der in Dubai ansässigen Varkey-Stiftung ins Leben gerufen. MacDonnell wurde unter 20.000 Bewerbern aus 179 Ländern als Beste ausgezeichnet.

In die Arktis gekommen war MacDonnell 2011. Eine Außenstehende, die um Akzeptanz der Dorfgemeinschaft kämpfen musste. „Das hat lange gebraucht.“ Erst fremdelten die Bewohner, doch dann, als sie merkten, wie begeistert die Kinder in die Schule gingen, änderten sie ihre Meinung. Wobei Schule nicht das ist, was viele unter Schule verstehen. Praxis statt Theorie ist die Strategie der Lehrerin. Taucht ein Wal in der Bucht auf, fällt der Unterricht selbstverständlich aus. MacDonnell geht mit den Kindern zur Jagd oder zum Fischen oder lädt den Dorfältesten in die Schule ein.

Ihr Ziel: Die Jugendlichen sollen lernen, wieder stärker an die Traditionen ihrer Eltern anzuknüpfen. „Die soziale Misere in der Arktis hat auch viel mit der Suche nach einer eigenen kulturellen Identität zu tun“, so MacDonnell. Viele Inuit-Familien leiden bis heute unter der kulturellen Entwurzelung durch weiße Missionare. Bis vor einigen Jahren mußten Ureinwohner Internate besuchen, in denen ihre Sprache verboten war.

Fahrrad mit Generator und elektrischem Quirl

Ein großes Problem der Inuit sind die Mangelernährung und fehlende Bewegung. Weil gesunde Lebensmittel teuer sind, hat Donnell ein Schulessen-Projekt ins Leben gerufen. Besonders gut kam ihre Fitnessidee an: Sie kaufte ein Fahrrad mit einem Generator und verband ihn mit einem elektrischen Quirl. Seitdem können ihre Schüler sich per Muskelkraft ihren Fitnessdrink mixen – und gleichzeitig ihre Kondition trainieren. Weil die Rolle des Lehrer umfassender sei, habe sie schon sieben Pflegekinder bei sich aufgenommen, manche für ein paar Tage, manche für länger.

Unter den Inuit war es bis zur Ankunft der Weißen durchaus üblich, dass Eltern, die ihre Kinder nicht ernähren konnten, diese zur Erziehung an andere Familien weitergaben. In Kanada ist das heute zwar nicht mehr erlaubt, in der Arktis wird es aber weitgehend toleriert. „Manche Schüler sehen mich nicht nur als Lehrerin, sondern als Mentorin oder Mutter“, erzählt MacDonnell und berichtet von ihren Erfolgen: Einer ihrer Jungen hat gerade seine erste Platte aufgenommen. Eins ihrer Mädchen wird zur Zahnarzthelferin ausgebildet – als erste Inuk aus Salluit, die das je geschafft hat.