Port Douglas. Das Great Barrier Reef stirbt vor unseren Augen, sagen Wissenschaftler. Ein einheimischer Journalist schildert seinen Tauchgang.

Es ist kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist ein Verbrechen, durchgeführt von Menschen. Wir haben die größte lebende Struktur auf dem Planeten zum Tode verurteilt: das Great Barrier Reef. Das Urteil wird langsam und schmerzlich vor unseren Augen vollzogen. Die Medien haben über die katastrophale Korallenbleiche im Sommer 2015/16 berichtet. Der Sommer 2016/17 aber war für das Riff noch schlechter. Nicht wegen dem, was passiert ist.

Aber wegen dem, was nicht passiert ist. Es gab keine erkennbare Erholung, nun wurden auch bislang nicht betroffene Gebiete gebleicht. Weichkorallen hat es nun in größerer Anzahl getroffen. Ich bin kein Wissenschaftler und ich bin kein Great-Barrier-Reef- Experte. Als Journalist, Seemann und häufiger Taucher kann ich nur berichten, was ich sehe. Ich kombiniere es mit dem, was ich lese und was mir meine Gesprächspartner sagen.

Geschäft mit dem Riff

Es gibt mehrere Gründe dafür, warum dieses grausame Ereignis heruntergespielt wird. Die Touristen werden zu den Stellen am Riff gebracht, die am wenigsten betroffen sind. So glauben sie, dass ihnen der Reiseveranstalter für ihr Geld den versprochenen touristischen Gegenwert geboten hat. Und so tragen sie es weiter: „Das Riff sah meiner Meinung nach gut aus.“

Unternehmen, die mit dem Riff Geld verdienen, wollen, dass das Geschäft wie gewohnt weitergeht. Politiker wollen nicht für ihre kriminelle Untätigkeit verantwortlich gemacht werden. Den Einheimischen, die täglich in das Riff gehen, ergeht es wie Fröschen im Wasser, das langsam zum Kochen gebracht wird. Eine passende Metapher in diesem Fall. Sie bemerken die Veränderungen nicht, bis es zu spät ist.

Maßnahmen zum Klimaschutz

Das 2300 Kilometer lange Riff beschert der australischen Wirtschaft pro Jahr Einnahmen von 6,5 Milliarden Australischen Dollar (4,16 Mrd Euro). Es gibt 70.000 Menschen Arbeit. Viel hängt also direkt von einem gesunden Riff ab. Wir sollten daher alles uns Mögliche tun, auch wenn unsere Maßnahmen zum Klimaschutz nur ein kleiner Beitrag zum notwendigen globalen Handeln sein können.

Das Great Barrier Reef ist in Gefahr

Die Hiobsbotschaften mehren sich seit Monaten: Etliche Korallenbänke am Great Barrier Reef haben ihre lebensspendenden Algen verloren.
Die Hiobsbotschaften mehren sich seit Monaten: Etliche Korallenbänke am Great Barrier Reef haben ihre lebensspendenden Algen verloren. © dpa | Tory Chase/Arc Centre Of Excelle
Das Great Barrier Reef in Australien ist das größte Korallen-Ökosystem der Welt. Es besteht aus rund 3000 einzelnen Riffen und 900 Inseln und zieht sich über 2300 Kilometer entlang der Ostküste Australiens. Es hat in diesem Jahr die schlimmste je erfasste Korallenbleiche zu verkraften.
Das Great Barrier Reef in Australien ist das größte Korallen-Ökosystem der Welt. Es besteht aus rund 3000 einzelnen Riffen und 900 Inseln und zieht sich über 2300 Kilometer entlang der Ostküste Australiens. Es hat in diesem Jahr die schlimmste je erfasste Korallenbleiche zu verkraften. © REUTERS | REUTERS / DAVID GRAY
Das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens muss bereits das zweite Jahr in Folge eine Korallenbleiche verkraften.
Das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens muss bereits das zweite Jahr in Folge eine Korallenbleiche verkraften. © REUTERS | HANDOUT
In einer 700 Quadratkilometer großen Region im nördlichen Teil des mehr als 2300 Kilometer langen Riffs seien zwei Drittel der Korallen abgestorben, manche Korallenbänke hätten gar keine lebenden Korallen mehr, bilanzieren Wissenschaftler der James-Cook-Universität.
In einer 700 Quadratkilometer großen Region im nördlichen Teil des mehr als 2300 Kilometer langen Riffs seien zwei Drittel der Korallen abgestorben, manche Korallenbänke hätten gar keine lebenden Korallen mehr, bilanzieren Wissenschaftler der James-Cook-Universität. © dpa | -
Diese Aufnahme stammt von der Nasa – fotografiert von der ISS am 15. Oktober 2015.
Diese Aufnahme stammt von der Nasa – fotografiert von der ISS am 15. Oktober 2015. © dpa | Nasa
Bislang lagen zwischen den Bleichen am Great Barrier Reef immer einige Jahre, in denen sich das Riff erholen konnte. Nach Angaben von Experten sind dazu normalerweise fünf Jahre erforderlich.
Bislang lagen zwischen den Bleichen am Great Barrier Reef immer einige Jahre, in denen sich das Riff erholen konnte. Nach Angaben von Experten sind dazu normalerweise fünf Jahre erforderlich. © dpa
Im Great Barrier Reef gibt es mehr als 600 Korallenspezies und Tausende Fischarten,Weichtiere und Schwämme, Seeschlangen, Wale, Delfine, Haie und Dugongs (Seekühe).
Im Great Barrier Reef gibt es mehr als 600 Korallenspezies und Tausende Fischarten,Weichtiere und Schwämme, Seeschlangen, Wale, Delfine, Haie und Dugongs (Seekühe). © dpa | Dan Peled
Als Bleiche wird ein Verblassen der farbenprächtigen Steinkorallen bezeichnet: Bei zu hohen Wassertemperaturen stoßen die Nesseltiere die für die Färbung sorgenden Algen ab, mit denen sie sonst in einer Gemeinschaft zu gegenseitigem Nutzen leben. Ohne die sogenannten Zooxanthellen können sie aber auf Dauer nicht überleben – sie sterben ab, wenn sich die Algen nicht binnen einiger Wochen oder Monate wieder ansiedeln.
Als Bleiche wird ein Verblassen der farbenprächtigen Steinkorallen bezeichnet: Bei zu hohen Wassertemperaturen stoßen die Nesseltiere die für die Färbung sorgenden Algen ab, mit denen sie sonst in einer Gemeinschaft zu gegenseitigem Nutzen leben. Ohne die sogenannten Zooxanthellen können sie aber auf Dauer nicht überleben – sie sterben ab, wenn sich die Algen nicht binnen einiger Wochen oder Monate wieder ansiedeln. © dpa | Greg Torda/Arc Centre Of Excelle
Klimawandel, Schifffahrt, Fischerei, Erosion, Stürme und der Abfluss von Dünger und Pestiziden aus intensiver Landwirtschaft bedrohen das Riff. Die Korallendecke ist seit 1985 um die Hälfte geschrumpft.
Klimawandel, Schifffahrt, Fischerei, Erosion, Stürme und der Abfluss von Dünger und Pestiziden aus intensiver Landwirtschaft bedrohen das Riff. Die Korallendecke ist seit 1985 um die Hälfte geschrumpft. © dpa | Greg Torda/Arc Centre Of Excelle
Das Great Barrier Reef steht seit 1981 auf der Liste der Weltnaturerbestätten der UN-Kulturorganisation Unesco, es ist eine der größten Touristenattraktionen Australiens.
Das Great Barrier Reef steht seit 1981 auf der Liste der Weltnaturerbestätten der UN-Kulturorganisation Unesco, es ist eine der größten Touristenattraktionen Australiens. © dpa | JAMES COOK UNIVERSITY/APP
Die Unesco hat allerdings mit dem Entzug dieses Status’ gedroht, falls die australische Regierung nicht mehr unternehme, um die Einzigartigkeit der Region zu erhalten. Sie verlangt regelmäßige Berichte über die Fortschritte.
Die Unesco hat allerdings mit dem Entzug dieses Status’ gedroht, falls die australische Regierung nicht mehr unternehme, um die Einzigartigkeit der Region zu erhalten. Sie verlangt regelmäßige Berichte über die Fortschritte. © REUTERS | DAVID GRAY
Neben dem Klimawandel habe im Jahr 2016 das Wetterphänomen El Niño den Riffen zugesetzt, erklären Experten: Es habe die Temperaturen zusätzlich steigen lassen.
Neben dem Klimawandel habe im Jahr 2016 das Wetterphänomen El Niño den Riffen zugesetzt, erklären Experten: Es habe die Temperaturen zusätzlich steigen lassen. © REUTERS | DAVID GRAY
Die Region zwischen dem nördlichsten Teil der Ostküste und Papua-Neuguinea war bislang der intakteste Teil des Riffs. „Die Region war von den Bleichen 1998 und 2002 nur wenig betroffen, aber dieses Mal sind die Schäden groß“, sagt Korallenforscher Terry Hughes.
Die Region zwischen dem nördlichsten Teil der Ostküste und Papua-Neuguinea war bislang der intakteste Teil des Riffs. „Die Region war von den Bleichen 1998 und 2002 nur wenig betroffen, aber dieses Mal sind die Schäden groß“, sagt Korallenforscher Terry Hughes. © dpa | Andreas Dietzel/Arc Centre Of Ex
Die Rückkehr endgültig abgestorbener Korallen könne zehn bis 15 Jahre dauern – wenn es keine weiteren Störungen gebe.
Die Rückkehr endgültig abgestorbener Korallen könne zehn bis 15 Jahre dauern – wenn es keine weiteren Störungen gebe. © REUTERS | HANDOUT
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Die Untätigkeit im Klimaschutz macht andere Maßnahmen viel wichtiger. Wir müssen den landwirtschaftlichen Eintrag von Phosphaten ins Wasser stoppen. Sie fördern das Wachstum jener schädlichen Schleimalgen, die die gebleichten Korallen angreifen. Wir müssen mit dem Ausbaggern von Hafenbecken aufhören. Denn als Folge wird das Wasser getrübt und nimmt Korallen jegliche Möglichkeit, sich von den Bleichen zu erholen.

Über Zerstörung entsetzt

Meine Familie und ich tauchen und schnorcheln auf dem Riff von unserem Boot etwa zehn bis 15 Mal im Jahr. Ich hatte die Bleiche im Jahr 2016 auf dem äußeren Riff etwa 20 bis 30 Kilometer vor der Küste gesehen. Ich war entsetzt über die Zerstörung ganzer Kolonien von blauen Hirschgeweihkorallen, die entweder weiß oder mit schleimigen Algen bedeckt waren. Diese Korallenart findet man in der Regel abseits des Hauptriffs, wohin nicht viele Touristen gebracht werden.

Aber immerhin gab es Platten-, Hirn- oder Leder-Korallenarten auf dem Hauptriff, die überlebt hatten. Vielleicht, so dachte ich, führte die Kombination von globaler Erwärmung mit dem Klimaphänomen El Niño sowie das Ausbleiben von Zyklonen, die kälteres Wasser und Niederschläge bringen und so die oberen Meeresschichten kühlen, zu diesem verheerenden Sturm der Zerstörung, der sich nur 2015/16 ereignen würde. Ich habe gedacht, das Riff könnte sich erholen, ehe dieses Ereignis wiederkehrt.

Streng geschützte Zone

Sieht vielleicht schön aus, kommentiert Crispin Hull dieses Foto. Doch das zart schillernde Rosa ist das Stadium vor der völligen Bleiche.
Sieht vielleicht schön aus, kommentiert Crispin Hull dieses Foto. Doch das zart schillernde Rosa ist das Stadium vor der völligen Bleiche. © Crispin Hull | Crispin Hull

Doch diese Hoffnung wurde am vergangenen Wochenende auf einem Ausflug zu den Koralleninseln Low Isles, 13 Kilometer von Port Douglas entfernt, enttäuscht. Das Meer war ruhig, so konnten wir zum östlichen Rand des Riffs gelangen. Dort schien das Riff bislang von einer großen Bleiche verschont geblieben. Stets war der Tauchgang vom östlichen Rand des Riffs ein Juwel. Die Low Isles sind seit mehr als 30 Jahren eine streng geschützte Zone, Touristen werden nur in begrenzter Zahl dorthin geführt.

Infolgedessen gibt es viele Fische, Schildkröten und Riffhaie. Aber wie lange noch? Als wir im Beiboot über das Riff fuhren, konnten wir sehen, dass jedes Stück des Riffs in einer Wassertiefe von weniger als drei Metern gebleicht war. Unter Wasser reichte die Korallenbleiche, soweit das Auge sehen konnte. Es war, als wäre jemand in die Serengeti gegangen und hätte mit einem Maschinengewehr die Gnus niedergemäht und gesagt: „Wir kommen nächstes Jahr zurück, um die Zebras zu erschießen.“ Und niemand tut etwas.

Riff wird sterben

Das Riff, so wie ich es am vergangenen Wochenende sah, war ein so augenfälliger Kontrast zu den lebendigen Farben, die ich noch vor zwei Jahren gesehen hatte. Ein so starker Kontrast zu meinem ersten Tauchgang am Riff 1985 mit meiner damals 14-jährigen Tochter, die gerade ihren Tauchschein bekommen hatte. Das Riff jetzt hat nichts mehr von dem Vermächtnis, das wir unseren Kindern und Enkeln übergeben. Bei dieser Geschwindigkeit der Veränderungen wird das Riff in der Lebenszeit von uns Großeltern sterben.

Es war kein Vergnügen, am letzten Wochenende zu tauchen. Ich war jenseits von Schock oder Wut. In meiner Tauchmaske flossen Tränen. So viel Korallenbleiche, so wenige gesunde, überlebende Korallen. Es ließ mich weinen.

Was haben wir getan?

Crispin Hull, der Autor des Textes, ist Journalist. Er arbeitet für die australische Tageszeitung „The Age“. Auf seiner Seite veröffentlicht er auch weitere Bilder des Tauchgangs.