Moskau. Die behinderte Sängerin Julija Samoilowa soll für Russland beim ESC in Kiew singen. Wegen der Ukraine-Krise dürfte das Probleme geben.

Die Russin Julija Samoilowa glaubt nicht, sie könne bei der Einreise in die Ukraine Probleme bekommen. Ihre Hauptaufgabe sei es, gut zu singen, sagt sie. Und richtig Englisch zu lernen, um auf dem richtigen Niveau zu sein. „Was dort weiter passiert – das ist schon nicht mehr mein Problem.“

Ob sie damit richtig liegt?

Julija Samoilowa, 27, Popsängerin und Rollstuhlfahrerin, soll Russland beim Eurovision-Schlagerwettbewerb im Mai in Kiew im Mai vertreten. Der staatliche Erste Fernsehkanal nominierte sie am Wochenende im letzten Moment. Ganz glatt ging das nicht: Vorher hatten mehrere Parlamentarier einen Boykott der Veranstaltung in der ukrainischen Hauptstadt gefordert. Der Wirbel ging weiter: Am Montag leitete der ukrainische Geheimdienst prompt die Überprüfung eines früheren Auftritts der 27-Jährigen auf der Krim ein.

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    Rockband gegründet

    Eigentlich wirkt Samoilowas Entsendung keineswegs wie ein skandalträchtiges Politikum. Sie ist ja nicht die erste ESC-Kandidatin, die im Rollstuhl sitzt. Julija, die aus der Provinzstadt Uchta im hohen russischen Norden stammt, leidet seit ihrer Kindheit am Werdnig-Hoffmann-Syndrom, einer Muskelschwundkrankheit, die ihr nicht einmal aufrechtes Sitzen erlaubt.

    Dass sie sich in die Musik rettete, schon als Kind regionale Gesangswettbewerbe gewann, später ihre eigene Rockband gründete, nötigt Respekt ab. 2013 kam sie groß bei einer TV-Popshow heraus.

    Text des Liebeslieds

    Jetzt versichert sie, sie habe schon als Kind vom Eurovision Song Contest geträumt – das passt bestens in ihre Kandidatinnenstory. Der englische Text ihres Liebeslieds heißt übersetzt: „Tief in der Nacht ist Liebe ein Licht“. Ostslawischer Pop, schmalzige Akkorde, aber beseelte Stimme – mit dem Rezept holt Russland immer wieder vorderste Platzierungen.

    Aber eins könnte ihr schlecht ausgelegt werden: Die Sängerin ist 2015 bei einem Konzert auf der Krim aufgetreten, der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel, die Russland im März 2014 annektiert hat. Und die nach ukrainischen Verordnungen und Gesetzen Ausländer nur mit Genehmigung der ukrainischen Behörden betreten dürfen.

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    Die deutsche Teilnehmerin für den Eurovision Song Contest heißt in diesem Jahr Isabella „Levina“ Lueen.
    Die deutsche Teilnehmerin für den Eurovision Song Contest heißt in diesem Jahr Isabella „Levina“ Lueen. © Getty Images | Sascha Steinbach
    Die 25-Jährige setzte sich beim Vorentscheid am 9. Februar in der ARD gegen vier Konkurrenten durch.
    Die 25-Jährige setzte sich beim Vorentscheid am 9. Februar in der ARD gegen vier Konkurrenten durch. © dpa | Henning Kaiser
    Levina lebt in Berlin und London. Sie macht derzeit ihren Master in Music Management am London College of Music, vorher schloss sie dort ein Gesangsstudium ab.
    Levina lebt in Berlin und London. Sie macht derzeit ihren Master in Music Management am London College of Music, vorher schloss sie dort ein Gesangsstudium ab. © NDR | Walter Glöckle
    Levina schreibt Soul- und Popsongs, bekam mit neun Jahren Gesangs- und Klavierunterricht und spielte bis zu ihrem 16. Lebensjahr in Kindermusicals. Mit ihrer Band spielt sie regelmäßig in Bars.
    Levina schreibt Soul- und Popsongs, bekam mit neun Jahren Gesangs- und Klavierunterricht und spielte bis zu ihrem 16. Lebensjahr in Kindermusicals. Mit ihrer Band spielt sie regelmäßig in Bars. © NDR | Sony Music/Walter Glöckle
    Beim Vorentscheid sang sich Levina so sehr in die Herzen der Zuschauer, dass sie in Runde vier sogar gegen sich selbst antrat. Dabei ging es nur noch um die Entscheidung, welcher Song Levina nach Kiew begleitet.
    Beim Vorentscheid sang sich Levina so sehr in die Herzen der Zuschauer, dass sie in Runde vier sogar gegen sich selbst antrat. Dabei ging es nur noch um die Entscheidung, welcher Song Levina nach Kiew begleitet. © dpa | Henning Kaiser
    Es wurde „Perfect Life“ aus der Feder von Lindy Robbins. Die US-Amerikanerin schrieb bereits Hits für David Guetta („Dangerous“), Jason Derulo („Want To Want Me“) und die Backstreet Boys („Incomplete“).
    Es wurde „Perfect Life“ aus der Feder von Lindy Robbins. Die US-Amerikanerin schrieb bereits Hits für David Guetta („Dangerous“), Jason Derulo („Want To Want Me“) und die Backstreet Boys („Incomplete“). © Getty Images | Sascha Steinbach
    Gemeinsam mit Moderatorin Barbara Schöneberger nimmt Levina das Urteil der Jury entgegen. Die waren sich stets einig – und fanden nichts zu kritisieren.
    Gemeinsam mit Moderatorin Barbara Schöneberger nimmt Levina das Urteil der Jury entgegen. Die waren sich stets einig – und fanden nichts zu kritisieren. © dpa | Sascha Steinbach
    Als letzten Konkurrenten ließ Levina Axel Maximilian Feige hinter sich.
    Als letzten Konkurrenten ließ Levina Axel Maximilian Feige hinter sich. © Getty Images | Sascha Steinbach
    Die gebürtige Bonnerin hat bereits mehrere Preise gewonnen. Unter anderem siegte sie bei „Jugend musiziert“.
    Die gebürtige Bonnerin hat bereits mehrere Preise gewonnen. Unter anderem siegte sie bei „Jugend musiziert“. © dpa | Henning Kaiser
    Nachdem sie 2006 den ersten Preis beim Schülerwettbewerb der Gesellschaft für politische Bildung erhielt, stand ihr Berufswunsch fest: Sängerin. Offenbar eine gute Entscheidung.
    Nachdem sie 2006 den ersten Preis beim Schülerwettbewerb der Gesellschaft für politische Bildung erhielt, stand ihr Berufswunsch fest: Sängerin. Offenbar eine gute Entscheidung. © dpa | Henning Kaiser
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    Staatsmacht im Dilemma

    Auch russische Medien mutmaßen, das Staatsfernsehen habe die gelähmte Popsängerin „als Geheimwaffe im Nervenkrieg mit der Ukraine“ ausgewählt. Die Kiewer Staatsmacht sieht sich in einem Dilemma: Sollten sie Samoilowa unbehelligt einreisen lassen und damit eigene Gesetze beugen? Oder sollten sie einer schwer behinderten jungen Frau die Teilnahme an einem internationalen Musikwettbewerb verwehren?

    „Ein geschickter Schachzug der russischen Seite“, sagt der Moskauer PR-Fachmann Grigori Pokrowski. „Die Ukraine muss jetzt versuchen, eine Lösung auf europäischem Niveau zu finden.“ In Kiew ist eine heftige Debatte ausgebrochen. Publizisten und Politiker fordern, Samoilowa erst gar nicht ins Land zu lassen. Oder beim Halbfinale am 11. Mai, wo sie auftritt, die erste Zuschauerreihe mit ukrainischen Kriegsinvaliden in Rollstühlen vollzustellen.

    Verletzung der Gesetzgebung

    Kritiker bemerken jedoch, dass das nicht unbedingt europäisches Niveau sei. Und Anton Geraschenko, ukrainischer Parlamentsabgeordneter und Berater des Innenministers, erklärte gestern auf Facebook, man müsse Julija festnehmen. „Sie soll kommen, aber sich für die Verletzung der ukrainischen Gesetzgebung verantworten.“

    Der Eurovision-Schlagerwettbewerb droht einmal mehr vom politischen Kriegsgeschrei übertönt zu werden.