Berlin. Der Schlager scheint so erfolgreich und beliebt wie nie. Ein ARD-Film zeigt, dass dieser Erfolg hart erkämpft und nicht dauerhaft ist.

Die ARD-Dokumentation „Schlagerland“ begleitet den Zuschauer in die Untiefen des deutschen Schlagerbetriebs. Neben den vielen glänzenden Auftritten vor Tausenden Fans ist es auch die dunkle Zukunft einer Musikrichtung, die hier dargestellt wird.

Schlagersängerin Franziska Wiese arbeitet an ihrem Durchbruch.
Schlagersängerin Franziska Wiese arbeitet an ihrem Durchbruch. © ARD | SWR/C-Films Deutschland GmbH

Den besonderen Einblick in eine oft belächelte Branche schafft der Filmemacher Arne Birkenstock mit einer ganz besonderen Dramaturgie. So erzählt er die Geschichte der 29-jährigen Schlagerkünstlerin Franziska Wiese, die an einer großen Karriere arbeitet. Dabei kommen immer wieder Künstler und Komponisten wie Florian Silbereisen, Kristina Bach oder Jürgen Drews zu Wort.

„Atemlos“-Komponistin Bach verrät ihr Erfolgsrezept

Den selbst ernannten „König von Mallorca“ (Drews) trifft die junge Franziska Wiese auch während ihrer Suche nach dem Erfolgsrezept im Schlagergeschäft. Doch wie sinnvoll ist diese Suche, wenn schon Größen der Szene wie Costa Cordalis nicht sagen können, was ein Lied zu einem erfolgreichen Schlager macht?

Die Komponistin und Texterin des Helene-Fischer-Songs „Atemlos“, Kristina Bach, versucht es zumindest mit einer Erklärung ihrer Arbeitsweise. „Ich fange immer mit der Hook an“, so Bach. Also mit dem Refrain. Wenn dieser Teil des Liedes stimme, schreibe sich der Rest eines Hits von alleine. Auch Roland Kaiser wagt sich an eine Erklärung, nähert sich der Materie aber von anderer Seite. „Was mir ein bisschen fehlt am deutschen Schlager, ist der Zeitgeist“, sagt Kaiser mit Blick auf frühere Erfolge.

In der DDR war der Schlager immer ein Politikum

Was Kaiser meint: In den 50er-Jahren reagierte die Musik aufs Wirtschaftswunder mit Titeln wie „Gehen Sie mit der Konjunktur“, in den Jahrzehnten danach wurde die Zuwanderung von Gastarbeitern erfolgreich besungen. „Der letzte, der das geschafft hat, war Udo Jürgens“, urteilt Kaiser. „Griechischer Wein.“ Er selbst ist einer der wenigen, die in der Welt der Alltagsflucht öffentlich politische Positionen vertreten.

In der DDR war der Schlager hingegen von Beginn an politisch. Wie Sänger Frank Schöbel berichtet, hatte die Staatsführung eine Quote verordnet, die dafür sorgen sollte, dass Ostblock-Schlager den Einfluss westlicher Popmusik zu überlagern habe.

Ralph Siegel: „Die Leute wollen deutsche Musik hören, aber sie sind taub“

Aktuellem Schlager ist aber nicht nur der politische Zeitgeist, sondern auch die Zeit abhanden gekommen. So sagt es Komponist Ralph Siegel: „Junge Künstler bekommen keine Zeit mehr, sich zu entwickeln“. Alles müsse „spontan gut sein“.

Der Fernsehproduzent Michael Jürgens zeichnet sogar ein noch düsteres Bild der Zukunft: „Die Schlagersängerin stirbt aus“, sagt er. Der Erfolg einer Helene Fischer überstrahle die Szene so sehr, dass andere kaum nach oben kommen. Der Niedergang der Branche liegt laut Ralph Siegel daran, dass die Deutschen zwar deutschen Schlager hören wollen, aber nicht bereit seien, sich auf neue Künstler einzulassen oder danach zu suchen. „Die Leute wollen deutsche Musik hören, aber sie sind taub“, so das Urteil.

Jürgen Drews im Jahr 2016 in der Waldbühne in Berlin vor Zehntausenden Zuschauern.
Jürgen Drews im Jahr 2016 in der Waldbühne in Berlin vor Zehntausenden Zuschauern. © ARD | SWR/C-Films Deutschland GmbH

So wie sich das Publikum auf deutsche Musik konzentriert, tut es leider auch die Dokumentation. Die Frage, was deutschen Schlager von englischsprachigem Pop unterscheidet, wird nur am Rande beantwortet. Lediglich eine Gruppe Schlagerfans aus Berlin scheint es auf den Punkt zu bringen, wenn eine Frau sagt: „Es ist näher am Herzen“, weil man die Texte besser verstehe.

ARD nutzt Film zur Eigenwerbung

Weiterer Kritikpunkt an der Dokumentation ist die Eigenwerbung, die die ARD mit dem Film betreibt. Geradezu skurril ist es, wenn der TV-Produzent der Schlagerfeste in der ARD fragt: „Wer kann am Samstagabend noch ein Publikum begeistern mit dem, was er macht?“ Die kritischere und vielleicht bessere Frage wäre gewesen: „Wie soll es jemand schaffen, wenn ARD und ZDF fast nur noch die großen Schlagershows inszenieren, daneben aber kaum Formate zulassen?“

Die Künstlerin Franziska Wiese hat zumindest die Chance, zu begeistern. Wie in der Dokumentation zu sehen ist, hat sie es zu einem Auftritt bei einem der Schlagerfeste gebracht – und das mit einem eigenen Erfolgsrezept: Ausdauer, harte Arbeit und Talent.

ARD, Mittwoch, 22. Februar, um 23 Uhr

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