Stockholm. Weil Kliniken oft weit entfernt sind, proben schwedische Hebammen mit Schwangeren den Notfall. Sie üben, wie man im Auto gebären kann.

Es ist eine geradezu angsteinflößende Vorstellung für werdende Mütter: Die Wehen setzen ein, das Kind kommt, doch weit und breit ist keine Klinik in Sicht. Was tun in diesem Notfall? Schwangere könnten, wenn der Weg zur Klinik zu weit ist, im Auto gebären, sagen Hebammen aus dem nordschwedischen Sollefteå. Hier wurde soeben die Entbindungsklinik geschlossen.

Eine der Hebammen, die die Autogeburt ins Leben rief, ist die 57-jährige Maria Dahlberg. Seit 29 Jahren arbeitet sie an dieser fast 100 Jahre alten Entbindungsklinik. Die Klinik sei dringend nötig, sagt sie. Doch die rot-grüne Regionalregierung, die sonst auf die gesellschaftliche Verbesserung der Situation von Frauen viel Wert legt, argumentierte mit zu hohen Kosten und machte die Klinik dicht.

Teelichter für Wärme im Auto

Bis zu den nächsten Entbindungsstationen in Örnsköldsvik und Sundsvall müssen werdende Eltern nun 100 und 200 Kilometer fahren – größtenteils durch unbewohnte Schnee- und Waldlandschaften. Etwa 45.000 Menschen wohnen in dem Einzugsgebiet. Bei normaler Wetterlage müssen sie etwa ein bis zwei Stunden einplanen. Allerdings bleiben Autos schnell mal stecken. Wenn es zu heftigen Schneestürmen kommt, kann es acht Stunden bis zur Räumung dauern. Aktuell ist es nachts bis minus 15 Grad kalt. Die Landstraßen sind nicht beleuchtet.

Die Hebamme Maria Dahlberg zeigt Frauen, wie sie zur Not im Auto gebären können.
Die Hebamme Maria Dahlberg zeigt Frauen, wie sie zur Not im Auto gebären können. © JONAS FORSBERG / J.FORSBERG PRODUKTION | JONAS FORSBERG / J.FORSBERG PRODUKTION

Wer plant, ein Kind zu bekommen, ist zur Zeit in großer Sorge. Dahlberg und ihre Kolleginnen versuchen nun, den Frauen eine Lösung anzubieten und geben praktische Tipps für die Geburt im Wagen: „Kleinere Frauen können auf dem Rücksitz gebären. Bei größeren Frauen empfiehlt es sich, beide Vordersitze zurückzufahren und die Rückenlehnen so weit wie möglich nach hinten zu stellen. Die Frau kann dann auf dem Beifahrersitz gebären, der Partner assistiert ihr vom Fahrerplatz aus. Er sollte zusätzlich zur Autoinnenbeleuchtung eine Kopfleuchte tragen“, erklärt Dahlbergs Kollegin Stina Näslund.

Die Tipps klingen praktisch: Warme Decken, in die das Kind eingewickelt wird, seien wichtig. Weil es draußen so kalt ist und die Standheizung nicht ausreichen könnte, sollten Teelichter genutzt werden. „Die sind zwar sehr klein, halten aber die Wärme gut im Wagen“, sagt Näslund.

Demos vor geschlossener Entbindungsklinik

Das Herzstück der Aktion ist ein funktionierendes Handy, mit dem die Hebammen die Geburt fernbetreuen können. Deshalb sollte das Handy unbedingt aufgeladen sein und ein Extra-Akku eingepackt werden. Wichtig sei eine Freisprechanlage, damit der Mann beide Hände frei hat, während er den telefonischen Anweisungen der Fachkraft folgt. Zum Beispiel diese: Bloß nicht die Nabelschnur durchtrennen. Das sei Sache der Fachkräfte. Das mit dem Handy ist allerdings eine sensible Angelegenheit. Denn in dem Gebiet ist es mit dem Empfang nicht weit her. „Wir fahren vorher die Strecke zum nächsten Krankenhaus mit den Kursteilnehmern ab, um uns Stellen zu merken, wo es Handyempfang gibt“, sagt Näslund.

Ihre Aktion sei auch als Protest gegen die Schließung gedacht. Und hat Wellen ausgelöst. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen SVT drehte vor Ort. Einwohner halten die Entbindungsstation seit Mittwoch rund um die Uhr besetzt. Die lokale Wirtschaft sponsert den Protest. Eine der Demonstrantinnen, die vor einigen Tagen ihren Sohn nach Komplikationen in der Entbindungsstation gesund zur Welt gebracht hat, sagt: „Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn das irgendwo da draußen passiert wäre.“

Trotz eines gut funktionierenden Gesundheitssytems fehlt es in ganz Schweden an Hebammen und Krankenhausplätzen. Im letzten Jahr hat eine hochschwangere Südschwedin ihr Kind verloren, weil ein Krankenhaus sie wegen Platzmangels abwies. Sogar in Stockholm musste eine Frau 2014 ihr Kind in einem Taxi gebären, weil ein Krankenhaus sie nicht aufnehmen wollte. Es ist viel Einsatz gefragt: Ostschwedische Frauen reisen extra nach Finnland, weil es im nahen Krankenhaus nicht genügend Plätze für Frühgeburten gibt.