Berlin. Auf der Wanderung nach Europa machte der moderne Mensch im Nahen Osten Halt. Forscher fanden jetzt den Grund dafür – im Toten Meer.

Die Bohrkerne zeigen ein schier endloses Ringel-Muster: weiß, schwarz, grau, weiß, grau ... Die hellen Schichten enthalten besonders viel Salz, die dunklen viele Sedimente. Fossiler Blütenstaub steckt in allen – von immergrüner Eiche zum Beispiel, Olive oder Beifuß, gut konserviert durch Pökeln und Panieren.

Die runden Kerne, wenige Zentimeter dick, stammen aus der Tiefe des Toten Meeres. Als stumme Zeugen geben sie Auskunft über 200.000 Jahre Klimageschichte: Temperaturen, Feuchtigkeit und Vegetation inklusive. Wissenschaftler aus Deutschland haben sie vier Jahre lang analysiert, um eine Frage zu beantworten: Warum kam die Ausbreitung des modernen, „verständigen“ Menschen von Afrika nach Europa im Nahen Osten ins Stocken?

Die Bohrplattform auf dem Toten Meer soll Erkenntnisse über den Vormarsch des frühen Homo Sapiens.
Die Bohrplattform auf dem Toten Meer soll Erkenntnisse über den Vormarsch des frühen Homo Sapiens. © Universität Bonn | Universität Bonn

„Das Tote Meer ist eine Schlüssellokalität bei der Erforschung des Vormarsches des frühen Homo Sapiens“, sagt Professor Thomas Litt vom Steinmann-Institut der Universität Bonn. Der Paläobotaniker arbeitet für den Sonderforschungsbereich 806, der die Ausbreitung des modernen Menschen von Afrika aus bis zur Sesshaftwerdung in Zentraleuropa untersucht. Beteiligt sind Wissenschaftler der Universitäten Köln, Bonn und Aachen. Gemeinsam mit dem Meteorologen Professor Andreas Hense leitet Litt das Teilprojekt „Paläoklima in der Levante“.

Archäologische Hinweise aus Israel

Im Norden Israels hatten Archäologen Hinweise dafür gefunden, dass der moderne Mensch seine Wanderung vor etwa 100.000 Jahren unterbrochen hatte. Zuvor war er langsam aber beständig von Ostafrika aus aufgebrochen, um seinen Lebensraum auszuweiten. Er zog gen Norden über die sogenannte Levante, den östlichen Küstenstreifen und das Hinterland des Mittelmeeres in den Nahen Osten. Dann stoppte er für eine sehr lange Zeit, etwa 50.000 Jahre. Die Ursachen hierfür waren bislang nicht geklärt.

Um herauszufinden, ob womöglich das Klima den Menschen aufgehalten hatte, schaffte ein internationales Forscherteam im Jahr 2010 modernste Bohrtechnik nach Israel. Sie wurde auf eine Schwimmplattform montiert und in die Mitte des Toten Meeres gezogen. Dort ließen die Techniker einer US-Firma den Bohrer ins Wasser. In 350 Metern Tiefe stießen sie auf Grund. Dann trieb die erfahrene Crew den Bohrkopf weiter voran, 455 Meter tief in den Meeresgrund. Im Hohlkörper der Bohrkammer sammelten sich Sedimente, Salz und darin konservierte Pollenkörner. In Form langer Kerne kamen sie an die Oberfläche. Im Frühjahr 2011 gab es weitere Bohrungen am Meeresufer. Dann konnte die Arbeit im Labor beginnen.

500 Pollenkörner pro Probe unter dem Mikroskop

Fossiler Pollen von der Olive
Fossiler Pollen von der Olive © Universität Bonn | Universität Bonn

In Bonn extrahierten Litt und sein Team mithilfe der Chemie aus den Bohrkernen Schicht für Schicht den fossilen Blütenstaub. Mindestens 500 pro Probe wurden unter dem Mikroskop analysiert. „Die Pollenhülle ist extrem resistent. Wenn die Pollenkörner nicht mit Sauerstoff in Verbindung kommen, können sie Millionen Jahre halten“, sagt Thomas Litt. Anhand der Analysen bestimmten die Forscher Klima und Vegetation der Region, eine Zeitspanne von 130.000 Jahren haben sie mittlerweile ausgewertet. „Wir konnten die Pollen den Mutterpflanzen und dann den entsprechenden Landschaften zuordnen. So bekamen wir ein gutes Bild.“

Paläobotaniker Litt, Meteorologe Hense und mehrere Doktoranden kamen dabei zu einem überraschenden Ergebnis. Nicht etwa Trockenheit, sondern eine üppige Vegetation hat den Homo Sapiens offenbar aufgehalten. Vor rund 90.000 bis 130.000 Jahren habe sich im Bereich des heutigen Syriens und Libanons ein Urwald befunden. „Der Homo Sapiens war zu der Zeit ein Savannenjäger. Der Lebensraum, den wir am Jordangraben analysiert haben, war damit nicht kompatibel“, sagt Litt.

Südlich des Engpasses hingegen sei die Landschaft offen gewesen, mit Steppen-Beifuß und einzelnen Baumgruppen, fanden die Forscher heraus. Da es keine neue Jagdstrategien oder den Druck einer wachsenden Bevölkerung gab, tat der frühe Homo Sapiens also schlicht das Naheliegende: Er blieb und mied den lebensfeindlichen Wald.

Die grüne Barriere hat sich aufgelöst

Auch für die Fortsetzung der Wanderung fanden Litt und Hense plausible Gründe: Vor etwa 50.000 bis 60.000 Jahren habe sich das Klima im ostmediterranen Raum offenbar verändert. „Der Urwald hat sich unseren Erkenntnissen zufolge in eine Steppe verwandelt“, sagt Litt. Die grüne Barriere habe sich aufgelöst, was der moderne Mensch genutzt habe. „Der Mensch war zu dieser Zeit kein Klimaflüchtling – im Gegenteil: Er hat dort gejagt, wo der Lebensraum am günstigsten war.“

Was folgte, war seine Verbreitung nach Europa. Laut einer im Fachblatt „Current Biology“ veröffentlichten Studie eines internationalen Forscherteams unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte soll dies vor etwa 50.000 Jahren in einer einzigen Wanderungswelle geschehen sein. Ihre Erkenntnisse, die mit den Studien aus Bonn korrespondieren, schlossen die Wissenschaftler aus Analysen des Erbguts von Jägern und Sammlern, die vor 35.000 bis 7000 Jahren in mehreren europäischen Regionen gelebt hatten, darunter auch in Deutschland.

Die Forscher aus Bonn, Köln und Aachen hoffen, ihre Sonderforschung fortsetzen zu können. Der Antrag auf Verlängerung ist gestellt, im März könnte die deutsche Forschungsgemeinschaft entscheiden. Älteres Bohrkernmaterial, das bis 200.000 Jahre zurückreicht, müsse noch analysiert werden, sagt Litt. „Wie hier paläobotanische Befunde, Klimadaten und archäologische Erkenntnisse zu einem Ganzen zusammengefügt wurden, ist einmalig. Aber das Bild ist nicht komplett.“