Karlsruhe. Sie wollte auf der Livestream-Plattform Twitch eine „Insel der Ruhe“ schaffen: Die 85-jährige „Marmeladenoma“ rührt jetzt Tausende.

Eine 85-Jährige ist der neue Liebling auf der Gamingplattform Twitch, wo ansonsten vor allem Teenager live vor der Kamera Spiele wie Minecraft oder League of Legends zocken. Aber die vielleicht älteste Streamerin kämpft nicht, sie ist die „Marmeladenoma“ und liest einem begeisterten und dankbaren Publikum Märchen vor. Immer Freitags um 20 Uhr beginnt ihre Live-Märchenstunde. Unserer Redaktion hat sie erzählt, wie es dazu kam und was es für sie so besonders macht.

Seit Mai 2016 liest sie Märchen vor und Geschichten aus ihrer Kindheit und plaudert mit den Zuschauern. Die Zahl ihrer Fans ist stetig gestiegen – und dann in diesem Jahr explodiert, als Deutschlands lange Zeit populärster YouTuber sich live als Fan outete: „Die liebe Omi, so süß. Das müsst ihr sehen!” Blogger und Webvideo-Experte Moritz Meyer erklärt sich ihren Erfolg in einem Blogbeitrag so: „Letztlich ist sie gar nicht so weit weg von dem, was sonst auf Twitch geschaut wird. Es wird das Bedürfnis erfüllt, sich für eine gewisse Zeit in eine andere Welt flüchten zu können.” Die „andere Welt“ ist aus der Sicht der Oma aus Ettlingen bei Karlsruhe eine „Insel der Ruhe“. Unser Interview mit der liebenswerten Oma:

Die Marmeladenoma will von den Zuschauern geduzt werden, oder?

Marmeladenoma: Oma und Sie, das klingt komisch. Ich bin auch die Allerweltsoma, ich habe nicht nur vier Enkel und fünf Urenkel. Ich habe auch noch viele Wahlenkel, das sind Freunde, die mein jüngster Enkel Janik mitbringt.

Janik hat Sie auch vor die Kamera gebracht. Wie kam das?

Er hat bei mir ein Zimmer mit dem ganzen Internetkrams, und da sitzt er viel, wenn er freitags nach der Schule zu mir kommt. Und da haben wir überlegt, wir könnten doch was zusammen machen.

Und da musste Janik Sie nicht lange überreden?

Er hat mich gefragt, und ich habe gesagt, wir können es ja mal probieren. Der Janik ist ein ganz Lieber, und ich bin ein sehr neugieriger Mensch und aufgeschlossen, mich interessiert alles. Ich könnte das aber nicht ohne ihn. Wir haben gedacht, das geht ein Weilchen, dann schläft das wieder ein.

Falsch gedacht.

Ja, es sind immer mehr Zuschauer geworden. Jetzt habe ich nicht mehr so einen direkten Kontakt, jetzt muss ich achtgeben, dass ich noch alles mitbekomme.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Weil die Zuschauer ja auch kommentieren im Chat, und da Rauschen die Kommentare nur so durch. Sie haben inzwischen 30.000 Abonnenten.

Ja, der Janik speichert das ja auch [im eigenen YouTube-Kanal], da lese ich das später noch mal nach, was die Leute so schreiben.

Aber Kontakte fehlen Ihnen doch eigentlich nicht.

Daran habe ich doch gar nicht gedacht, darum ging es mir doch gar nicht. Ich wollte etwas geben. Eine Insel schaffen, wo Poesie und Ruhe herrscht in dieser Zeit. Es ist alles so kalt geworden, die Leute sitzen am Esstisch und schauen auf ihre Handys.

Und jetzt schauen manche dabei Ihnen zu, wie Sie Ihnen Märchen vorlesen?

Ich hoffe doch nicht, dass Sie am Tisch sitzen. Bei mir gibt’s das nicht, und da hält sich auch Janik dran. Aber ich merke, dass es den Leuten was gibt. Ein 15-Jähriger hat mir geschrieben, dass er immer zuschaut, weil er dann besser schlafen kann. Er nimmt dann manches leichter. Das bekomme ich von vielen gesagt, dass es sie beruhigt. Und ganz viele schreiben, dass sie leider keine Oma mehr haben.

„Wer einsam ist, ist oft selbst schuld“

Live-Shows im Internet sind nicht unbedingt typisch für 85-Jährige.

Der Großteil der Schulkameradinnen in meinem Alter ist vereinsamt. Die, die Geld haben, wohnen in schönen Altenheimen, wo sie bekocht werden, aber einsam sind sie auch. Und ich bin manchmal froh, wenn ich mit einem Gläschen Wein ein bisschen Ruhe habe. Ich denke aber, man ist oft selbst schuld, wenn man einsam ist. Man muss auch geben können.

Und die Zuschauer überschütten Sie mit Herzen, aber nicht nur damit. Auf Twitch kann man online Geldbeträge schenken, und das machen manche.

Ja, seit dieser Gronkh, der ja ein ganz Bekannter ist, sich da reingehängt hat, ist es richtig viel geworden. Das habe ich doch nie gewollt, ich will so viel haben, dass ich leben kann. [Gronkh, mehrfacher Gewinner des Deutschen Webvideopreises und YouTuber mit 4,4 Millionen Abonnenten erzählte in seinem Twitch-Stream warmherzig „von der lieben Omi „ und zeigte, wie sie vorliest. Er spendete 250 Euro. Durch die Fülle neuer Zuschauer brachte er ihren Stream zum Absturz. Ihre Abonnentenzahl vervielfachte sich innerhalb kurzer Zeit]

Dankesvideo für Gronkh hat über eine Millionen Abrufe

Sie haben dann eine Video für Gronkh gemacht, in dem Sie ihm ein ausführliches Dankeschön vorlesen. Inzwischen haben das 1,3 Millionen Menschen gesehen.

Ja, und dass ich vorlese, das mache ich immer so. Vor meinen Streams suche ich die Märchen aus, die ich vorlese, und ich schreibe mir vor, was ich aus meiner Kindheit erzähle. Ich bin ja doch schon in einem Alter, wo einem manchmal ein Wort nicht einfallen will.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Und jetzt haben Sie gesagt, dass Sie sich auch noch mit dem Finanzamt befassen, weil an Spenden durch Zuschauer schon 5000 Euro beisammen sind.

Das könnte ich nicht mehr, darum kümmert sich mein Sohn. Das macht er aber gerne, der ist total begeistert von seiner Mutter.

Und was passiert mit dem Geld? Manche wollten Ihnen so eine Tirolreise ermöglichen.

Wir haben schon bessere Ausrüstung für Janik gekauft und werden da noch mal aufrüsten. Die Tirolreise geht nicht, das schaffe ich mit meiner Gehbehinderung nicht. Aber Reisen in der Fantasie können ja auch sehr schön sein.

Fehlt uns Fantasie, kommen deshalb Ihre Märchen so gut an?

Es werden doch kaum noch Märchen vorgelesen, und viele haben doch wenig Kontakt zu ihren Omas. Die sind auch ausgehungert nach so etwas, für manche bin ich vielleicht auch eine Ersatzoma.

Und wie soll es weitergehen? Kontakt aufgenommen habe ich über eine E-Mail-Adresse mit business-marmeladenoma@… ?

Die hat der Janik eingerichtet, wie auch diese anderen Internetsachen [neben dem YouTube-Channel noch einen Twitter-Account mit 7000 Followern]. Aber wir wollen da nichts weiter machen. Manche Leute haben uns geschrieben, wir könnten doch Werbung einbinden, aber das wollen wir nicht, das würde nicht passen. Es gab auch schon Fragen nach T-Shirts, das wollen wir auch nicht. Das soll eine idealistische Sache sein. [Janik hat unserer Redaktion erklärt, dass die Adresse marmeladenoma@... schon vergeben war]

Sie haben aber auch Autogrammkarten und eine Postfachadresse.

Die Autogrammkarten hat mir jemand geschenkt, und die Postfachadresse haben wir eingerichtet, weil mir so viele Menschen schreiben wollten. Ich antworte dann auch, ich schreibe gerne Briefe. Manche schicken mir auch Bücher, aber ich habe genug ...

... und die könnten sie ja auch nicht vorlesen?

Richtig, das könnte Probleme mit den Urheberrechten geben. Märchen sind nicht nur schön, da gibt es diese Schwierigkeit aber nicht, weil die Autoren schon lange tot sind. Aber ich könnte mir vorstellen, auch mal eine Lesung von einem neuen Buch zu machen, wenn das ein Autor will und es mir gefällt.

Und wie kam’s zum Namen Marmeladenoma?

Den hatte Janik schon festgelegt, ich weiß auch nicht, wie er darauf kam. Ich hätte mich Oma Josefa genannt, nach meinem Opa Josef, das war mein Lieblingsopa.