Berlin. Eine Essener Händlerin wollte Produkte von G-Star wegen Vorwürfen der Kinderarbeit nicht mehr verkaufen. Danach musste sie vor Gericht.

Eine ARD-Dokumentation rüttelt Janette Müller im September 2014 auf: Hochschwanger verfolgt sie den „Jeans-Markencheck“. Sie sieht Bilder von Kindern in Asien, die trotz größter gesundheitlicher Gefahren Hosen mit der Chemikalie Kaliumpermanganat bleichen müssen.

Im Fokus des Berichts steht auch der niederländische Modekonzern G-Star – ein Label, dessen Jeans 100 Euro und mehr kosten. „Für mich war sofort klar, dass ich sämtliche Produkte der Firma aus dem Sortiment nehme“, sagt die 38-Jährige, die seit dem Jahr 2005 die Boutique „Uniqat“ im Essener Stadtteil Rüttenscheid betreibt.

Bereits am Morgen danach räumt sie Waren mit einem Verkaufswert von rund 45.000 Euro aus den Regalen. Und die couragierte Händlerin geht noch weiter: Sie teilt dem Unternehmen mit, dass sie sämtliche Lieferverträge storniert und bittet um Rücknahme der mittlerweile eingelagerten Kleidung.

Essener Landgericht gibt zunächst G-Star Recht

„Ich bin mit meinem Mann sogar zur deutschen Niederlassung nach Düsseldorf gefahren, um mit jemandem über den Bericht zu sprechen. Zuhören wollte mir niemand“, sagt Janette Müller, der stattdessen wenig später eine Schadenersatzklage ins Haus flattert.

50.000 Euro „pauschalen Schadenersatz“ fordert das niederländische Unternehmen von der Essener Händlerin ein und verweist auf seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Im Falle einer Stornierung werden demnach 50 Prozent des Auftragswerts der Waren fällig.

Janette Müller sucht die Unterstützung von Rechtsanwältin Gülcan Bardt, der Fall landet vor dem Essener Landgericht. Das Urteil vom Oktober 2015 gibt G-Star zunächst Recht und hält die pauschale Schadenersatzforderung für angemessen.

„Ich war am Boden zerstört und räumte unter Zähneknirschen die Waren wieder in die Regale. Einige Kunden protestierten, anderen wiederum war es egal. Ich musste so handeln, alles andere hätte meine Insolvenz bedeutet. 50.000 Euro hätte ich nicht auftreiben können“, blickt die Einzelhändlerin zurück.

Ihren Mut findet sie bald wieder, „mein Mann hat mich sehr unterstützt und stand voll hinter mir. Ich hatte keine Angst“, sagt Janette Müller heute. Ihre Anwältin legt Berufung vor dem Oberlandesgericht in Hamm ein, das den Fall erneut aufrollt.

Einigung vor dem Oberlandesgericht

„Ein Problem war, dass G-Star zu keinem Zeitpunkt Auskunft über den tatsächlichen Warenwert gegeben hat. Ich vermute, weil sie auf diesem Weg hätten eingestehen müssen, dass der tatsächliche Wert deutlich unter dem Verkaufspreis liegt“, sagt Janette Müller.

Ihre Beharrlichkeit wird am Ende belohnt: Bei der letzten Verhandlung am 6. Dezember handeln die Anwälte beider Parteien einen Vergleich aus. „Ich muss nun noch 5000 Euro für eine wegen des Rechtsstreits noch ausstehende Rechnung an G-Star zahlen. Ansonsten aber ist das Thema nach zwei Jahren endlich vom Tisch und ich habe meinen Frieden gemacht“, sagt die Boutiquebesitzerin, die Ende Januar ihr drittes Kind erwartet.

„Kinder öffnen einem die Augen dafür, was man wirklich will. Ich werde mit solchen großen Firmen mit undurchsichtigen Lieferanten-Beziehungen nicht mehr zusammenarbeiten“, hat sich die 38-Jährige vorgenommen.

Die Marke G-Star wirbt seit dem vergangenen Jahr verstärkt mit dem Attribut der Nachhaltigkeit und arbeitet nach heftiger Kritik von Greenpeace heute mit den Naturschützern zusammen. „Bis heute“, weiß Janette Müller, „bestreitet das Unternehmen die Vorwürfe aus der Reportage – trotz eindeutiger Bilder. Wer kleine Einzelhändler derart angeht, sollte seine Unternehmensphilosophie vielleicht generell überdenken.“

Dieser Text ist zuerst auf waz.de erschienen.