Tokio. Nach Tamagotchi und Pokémon sind Video-Games, die Partnerschaften simulieren, in Japan angesagt. Frauen sind die größte Zielgruppe.

Yuki hat auch einen richtigen Freund. Doch die 27-jährige Büroangestellte aus Tokio unterhält zugleich eine heiße Affäre mit einem virtuellen Boy in ihrem Handy. Die Geschichte des Spiels „Palm“ hat sie gleich nach dem Herunterladen in ihren Bann gezogen: Ein junger Mann mit sehr heller Haut, großen Augen und unglaublich langen Beinen befindet sich nach einem Gedächtnisverlust auf einer einsamen Insel. Warum? Spielt keine Rolle. Wichtig ist aber: Die Spielerin ist seine Tutorin. Sie kann ihm Textnachrichten schicken und beobachtet ihn über mehrere Kameras in seiner Unterkunft. Beim Schlafen, beim Essen, an seinem kargen Schreibtisch.

Das Ziel ist, ihn verliebt zu machen. „Am Ende kann ich ihn bestimmt auch ausziehen“, glaubt Yuki. Sie kennt sich bestens mit Dating-Videospielen aus. „Palm“ ist bereits ungefähr das zehnte Spiel dieser Art, das sie süchtig gemacht hat. Sie spielt schon morgens früh im Bett und abends vor dem Einschlafen. Ihr Freund sei manchmal eifersüchtig – als betrüge sie ihn mit dem Handy.

Partnerschaftssimulationen erleben in Japan derzeit einen neuen Boom: Nach Umsatz und Zahl der Downloads sind sie zum Top-Genre unter den Videospielen geworden. Der Marktführer unter den Anbietern, die Firma Voltage aus Tokio, hat in diesem Jahr 90 Millionen Euro Umsatz und vier Millionen Euro Gewinn gemacht – ein Viertel mehr als noch vor drei Jahren. In Deutschland sind sie eine Randerscheinung. Noch.

Totale Kontrolle über den virtuellen Dating-Partner

Derzeit bringt das Unternehmen die 32. App aus ihrer beliebten Reihe „Bad Boys Do It Better!“ heraus. Die Spielerin ist darin – warum auch immer – die einzige weibliche Schülerin an einer Jungenschule. „Du kannst das Herzklopfen im japanischen Schulalltag erleben – mit reichlich rauflustigen, heißen Jungs!“, verspricht das Unternehmen. Andere Titel heißen „Küsse und Flüche“ oder „Romantische Gangster“. Das Unternehmen zählt über 50 Millionen Kundinnen. Die Zielgruppe für das Genre bestand früher vorwiegend aus männlichen Stubenhockern. Das hat sich geändert. „Die Entwickler konzentrieren sich zunehmend auf Frauen als Zielgruppe“, sagt Ökonom Toshihiro Nagahama vom Forschungsinstitut der Versicherungsgesellschaft Dai-ichi Life. „Dating-Spiele sind zu Bestsellern geworden, weil die Spielfiguren den Kundinnen geben, was sie sich auch im wirklichen Leben erhoffen.“

An dem Szenario mit Gedächtnisverlust in „Palm“ reizt die Spielerinnen offenbar die totale Kontrolle über den hilflosen jungen Mann – wenn sie ihm eine Nachricht schickt, kann sie zusehen, wie er das Handy aus der Tasche zieht und auf den Text reagiert. Es geht aber auch noch bizarrer. In einem der Spiele beginnt die Spielerin oder der Spieler eine Beziehung zu einem Fabelwesen, halb Mensch, halb Katze.

Eifersüchtige Mädchen richten Blutbad an

Nicht immer geht es so sanft zu wie in den Genre-Hits „Palm“ oder „Hatoful“. In „School Days“ strebt die männliche Hauptfigur ein Rendezvous mit einer Mitschülerin an. In dem Spiel entwickelt sich danach immer ein ähnliches Szenario: Die abgewiesenen Mädchen werden unglaublich eifersüchtig und richten mit Äxten oder Sägen ein Blutbad an. Anscheinend soll es der Eitelkeit des Spielers schmeicheln, dass er nicht nur ein Mädchen erobert, sondern dass ein anderes darüber vor Eifersucht wahnsinnig wird.

So unterschiedlich sie daherkommen: Etwas ist allen diesen Handy-Apps gemein. Es kommt immer eine Stelle, ab der die Spielerin oder der Spieler Geld bezahlen muss, damit es weitergeht. Und zwar immer, nachdem sie eine persönliche Beziehung zu der simulierten Figur aufgebaut hat. „Von meinem Boyfriend in ‚Palm‘ bin ich einfach nicht losgekommen“, sagt Yuki. „Ich habe immer neue Kapitel per In-App-Kauf erworben.“ Kein Wunder, dass das Geschäft für die Macher der Spiele boomt.