Berlin. Die CSU nutzt den Anschlag von Berlin, um gegen Merkels Flüchtlingspolitik zu wettern. Und erntet helle Empörung für Stimmungsmache.

Horst Seehofer hat sich angreifbar gemacht. Gleich nach dem Berliner Anschlag kündigt er an, die Sicherheits- und Flüchtlingspolitik neu zu justieren. Weil sich der Anfangsverdacht gegen einen pakistanischen Flüchtling nicht erhärtet hat, stehen Seehofer und die CSU seit Tagen umso mehr in der Kritik: Voreilig, pietätlos, von Fakten unbelastet. Haben sie nichts anderes im Angebot als Stimmungsmache?

Der bayrische Ministerpräsident wehrt sich. „Viele von denen, die sich geäußert haben, wollen auch irritiert sein, wenn etwas aus Bayern kommt“, sagt er unserer Redaktion. Er habe nach dem Amoklauf von München und den beiden Attentaten in Würzburg und Ansbach immer gleichermaßen reagiert. „Das eine ist die Anteilnahme, die Trauer, die Bestürzung, das geht uns sehr nahe, trifft einen mitten ins Herz“, so Seehofer.

Konsequenzen aus Ereignis

Ein verantwortlicher Politiker müsse den Blick auch auf die Konsequenzen aus so einem Ereignis richten, „beides gehört zusammen“. Es seien zwei Seiten dergleichen Medaille, die Betroffenheit und die Wahrnehmung von Verantwortung. Seehofer: „Es gehört zur Pflicht eines Politikers, sich völlig unabhängig vom Täter und seiner Nationalität Gedanken zu machen, wo wir den Schutz der Bevölkerung noch optimieren können. Genau darum geht es.“

Die Kritik trifft ihn. Nicht zufällig reagiert er persönlich, nicht zufällig schwärmen seine Leute aus: Markus Söder, Joachim Herrmann oder Andreas Scheuer sind auf allen Kanälen. Erstens sei Gefahr in Verzug. „Die Leute haben Angst, weil der Täter auf freiem Fuß ist“, sagt Finanzminister Söder. Zweitens müsse man Stärke zeigen. „Wir brauchen jetzt, und das erwartet das Staatsvolk, eine starke Staatsgewalt“, betont Generalsekretär Scheuer.

Debatten um politische Folgerungen nach dem Anschlag von Berlin

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    Flüchtling als Täter

    Innenminister Herrmann verweist auf frühere Attentäter, bei denen es sich um Menschen gehandelt habe, „die im Rahmen des Flüchtlingsstroms nach Deutschland gekommen sind“. Die Risiken seien „offenkundig“, beharrt Herrmann. Am Dienstagvormittag waren alle in Berlin – nicht nur Seehofer – von einem Flüchtling als Täter ausgegangen. Es ist der Informationsstand der Innenminister und der Experten im Bundestag.

    Vorsorglich hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer ersten Erklärung dieses Szenario aufgegriffen. Der „Erfahrungsjurist“ (Seehofer über Seehofer) aber will nicht abwarten, ob sich der Anfangsverdacht erhärtet. Der CSU-Chef prescht vor. Es stellt sich aber heraus, dass der Mann, ein Pakistaner, unschuldig ist. Die Ironie ist, dass inzwischen ein Tunesier verdächtigt wird – auch ein Flüchtling.

    Gegenentwurf zu Seehofer

    Der Gegenentwurf zu Seehofer ist Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der vor Schnellschüssen und Spekulationen warnt. Je forscher die CSU auf den Plan tritt, desto aufreizender wirkt de Maizières Ruhe. Von Anfang an hatte sich Seehofers Partei über die teils unkontrollierte Aufnahme von Hunderttausenden Flüchtlingen im Sommer 2015 empört. Der tiefsitzende Groll darüber bricht regelmäßig aus. Auch in der jüngsten Erklärung vom bayerischen Kabinett ist von einem zeitweiligen „Kontrollverlust“ die Rede.

    Andere Parteien sind über das Verhalten der CSU befremdet. „Unseriös“, „faktenfrei“, kritisieren die Grünen. Diplomatischer drücken sich die Partner von der CDU aus. Vizechef Armin Laschet bemerkt im ZDF, es sei nicht die „normale Herangehensweise an Politik“, schon vor Ermittlung der Fakten durch die Polizei Schlüsse zu ziehen. Sein Kollege und baden-württembergischer Innenminister Thomas Strobl mahnt, „wir sollten zunächst immer die Ermittlungsbehörden ihre Arbeit machen lassen.

    Faktenbasierte Diskussion

    Wenn dann Ergebnisse vorliegen, die belastbar sind, dann kann man eine faktenbasierte Diskussion führen.“ Vizechefin Julia Klöckner ätzt, „selbst eine Obergrenze gewährleistet doch nicht, dass nur Heilige unter den Flüchtlingen wären“. Solche Spitzen setzen Seehofer zu. Eine Arbeitsgruppe soll nun Vorschläge für eine bessere Sicherheit machen. Anfang Januar – zu den traditionellen Klausuren der CSU – ist mit einem Forderungskatalog zu rechnen. Die Sicherheits- und Flüchtlingspolitik neu zu justieren, „hat doch nichts mit Pietätlosigkeit zu tun“, beteuert Scheuer.

    Indes kommt die CSU damit spät. Andere sind weiter. Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert eine Ausweitung der Videoüberwachung, der saarländische Innenminister Klaus Bouillon (CDU) mehr Internetüberwachung. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach schlägt vor, Flüchtlinge mit völlig ungeklärter Identität und Nationalität nicht einreisen zu lassen. Ihn macht misstrauisch, dass so viele von ihnen vorgeben, ihre Ausweise verloren zu haben. „Es ist doch wirklich interessant, fast alle haben ihr Smartphone dabei, aber alle verlieren unterwegs ihre Pässe“, sagt er.

    Bundeswehr soll es richten

    Im Kabinett wurde gestern ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, um die Videoüberwachung zu verstärken. Zuvor hatten die Innenminister der Länder beschlossen, die Polizeipräsenz zu verstärken. Der einzige Vorschlag aus der CSU stammt derweil vom Sicherheitsexperten Florian Hahn. Er schlägt einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren vor – ein politischer Ladenhüter. Selbst die CDU greift ihn nicht auf.