Ankara. Russlands Botschafter in der Türkei wurde in Ankara von einem Attentäter erschossen. Sechs Personen wurden vorläufig festgenommen.

Nach den tödlichen Schüssen auf den russischen Botschafter in der Türkei habe die türkische Polizei nach Angaben von Staatsmedien am Dienstagmorgen sechs Personen festgenommen. Die Eltern, die Schwester und zwei weitere Verwandte des Attentäters seien in der westlichen Provinz Aydin in Gewahrsam genommen worden, berichtete amtliche Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag. Der Mitbewohner des Attentäters in Ankara sei ebenfalls festgenommen worden.

Auf den russischen Botschafter war am Montag ein Anschlag verübt worden. Andrej Karlow (62) wurde nach übereinstimmenden Medienberichten in der Hauptstadt Ankara bei der Eröffnung einer Ausstellung erschossen. Er erlag kurz nach den Schüssen seinen Verletzungen, meldete die Nachrichtenagentur RIA. Auch das Außenministerium in Moskau bestätigte den Tod des Diplomaten.

Schütze feuerte drei Schüsse auf Botschafter ab

Auf Karlow seien drei Schüsse abgefeuert worden, hieß es. Nach dem Angriff sei er in ein Krankenhaus gebracht worden. Videos im Internet zeigen, wie Karlow am Rednerpult zusammenbricht. Dann ist ein junger Mann im Anzug zu sehen, der mit einer Pistole in der Hand gestikuliert. „Don’t forget about Aleppo“, soll der Mann gerufen haben – „Vergesst Aleppo nicht“.

Bei dem Schützen handelt es sich nach Angaben des türkischen Innenministeriums um Mevlüt Mert Altintas. Der 22-Jährige war demnach seit zweieinhalb Jahren bei der Bereitschaftspolizei in Ankara eingesetzt. Die Zeitung „Hürriyet“ berichtet, Altintas habe sich mit seinem Dienstausweis Zutritt zu der Ausstellungseröffnung verschafft, in der er das Attentat verübte.

Möglicherweise Kontakt zu syrischen Extremisten

Auf Videos ist zu sehen, wie Altintas – gekleidet in einem Anzug und mit Krawatte, also in zivil – hinter Karlow steht, der die Eröffnungsansprache hält. Altintas wirkt dabei wie ein Leibwächter – bis er das Feuer auf den Diplomaten eröffnet. Laut der Nachrichtenagentur Anadolu sei Altintas von Sicherheitskräften „neutralisiert“ worden. Bilder vom Tatort zeigen den mutmaßlichen Schützen von mehreren Kugeln getroffen tot am Boden liegend.

Welche Verbindungen Altintas hatte, wird nach Angaben des Innenministeriums untersucht. Regierungsnahe türkische Medien berichten, Altintas werde verdächtigt, der Gülen-Bewegung angehört zu haben. Die Regierung wirft der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen vor, für den Putschversuch in der Türkei von Mitte Juli verantwortlich gewesen zu sein. Andrerseits rief Altintas während des Zwischenfalls auf Arabisch: Wir sind diejenigen, die dem Propheten Mohammed Treue und dem Dschihad Treue schwören.“ Diesen Satz rufen auch syrische Extremisten, wenn sie ins Gefecht ziehen.

Der russische Botschafter Andrej Karlow kurz vor dem Attentat.
Der russische Botschafter Andrej Karlow kurz vor dem Attentat. © picture alliance / AP Photo | dpa Picture-Alliance / jfillery|File|Filed|12/19/2016 4

Zwischenfall könnte Rückschlag für Beziehungen sein

Der Zwischenfall könnte ein Rückschlag für die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und der Türkei sein. Das russische Außenministerium warnte in Moskau vor Türkei-Reisen. „Jeder sollte vor einer Türkei-Fahrt ernsthaft nachdenken, weil es dort fast täglich zu Terrorakten kommt“, sagte Vizeaußenminister Oleg Syromolotow am Dienstag der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Reisende sollten das Risiko genau abwägen.

Unterdessen entsandte der Kreml ein 18-köpfiges Ermittlerteam nach Ankara. Der Gruppe gehören Experten des Geheimdienstes, der Polizei und des Außenministeriums an, wie Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte. Die Ermittler sollen mit türkischen Kollegen den Mord an dem russischen Diplomaten untersuchen und nach Drahtziehern fahnden. Auf das Team hatten sich die Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan verständigt, wie Peskow sagte.

„Trotz Tragödie konstruktiv arbeiten“

Ankara und Moskau hatten sich zuletzt wieder deutlich angenähert – nach einer schweren Krise 2015. Damals hatte die Türkei einen russischen Kampfjet im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen, der Kreml verhängte Sanktionen.

Die Syrien-Verhandlungen in Moskau sollen trotz der Ermordung des russischen Botschafters wie geplant an diesem Dienstag stattfinden. Das Treffen von Ministern der Türkei, Russlands und des Irans stehe weiter auf der Tagesordnung, sagte der russische Außenpolitiker Leonid Sluzki am Montag nach Angaben der Agentur Interfax.

Kritik an Sicherheitsorganen

„Trotz dieser Tragödie sollten wir konstruktiv arbeiten“, sagte der Chef des außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma. Moskau und Teheran unterstützen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Die Türkei will eine Zukunft für Syrien ohne Assad. Sluzki sprach sich auch für eine Fortsetzung der Beziehungen mit Ankara aus. Nach der Bluttat sei es wichtig, den „gesunden Menschenverstand“ zu benutzen.

Sein Kollege Viktor Oserow vom Sicherheitsausschuss sprach von einem Anschlag auf das russisch-türkische Verhältnis. Die Drahtzieher wünschten sich offenbar eine Eintrübung der bilateralen Beziehungen.

Fehleinschätzung der Sicherheitskräfte

Der Abgeordnete Franz Klinzewitsch bezeichnete das Attentat als sorgfältig geplante Tat. Es sei unverständlich, warum die türkischen Behörden den Botschafter Andrej Karlow nicht besser geschützt hätten. „Das ist eine große Fehleinschätzung der Sicherheitsorgane. Besonders nach den jüngsten Anschlägen hätten sie einen so hohen diplomatischen Gast schützen müssen“, sagte der kremlnahe Abgeordnete. (dpa/rtr/JS)