Berlin. „Pokémon Go“ wurde 2016 zum erfolgreichsten Computerspiel des Jahres. Der große Hype hat abgenommen, aber die Macher bleiben positiv.

Kaum ein Handy-Nutzer hat in den vergangenen Monaten nicht mindestens einmal „Pokémon Go“ gespielt oder über das Spiel gelesen. Die App mit ihrem einfachen Spielprinzip – kleine virtuelle Monster in realen Umgebungen auf dem Smartphone fangen – eroberte die Welt im Sturm.

Nach dem Start Anfang Juli wurde die App binnen zwei Monaten rund 500 Millionen Mal heruntergeladen. Es dürfte damit das erfolgreichste Smartphone-Spiel sein. Die Server gingen in den ersten Wochen immer wieder in die Knie, obwohl die Entwicklerfirma Niantic Rechenleistung nachlegte – doch der Ansturm war 50 Mal stärker als die erwartete Auslastung.

Digitaler Hype führte zu Problemen im wahren Leben

Die Menschen blockierten eine Brücke in Düsseldorf, tummelten sich in Einkaufspassagen in Großstädten, liefen Dutzende Kilometer mehr als sonst, um neue Pokémon zu erwischen. Das war im Sommer, inzwischen ist der Hype merklich abgekühlt. In einem Auftritt vor dem US-Kongress gab Niantic-Chef John Hanke den neuen Pegel der Downloads mit 600 Millionen an – in den vergangenen Monaten kamen also deutlich weniger neue Nutzer hinzu als am Anfang.

Zahlen zu aktiven Spielern nennt die Firma nicht. In der Rangliste der umsatzstärksten Apps hält sich „Pokémon Go“ aber auf den vorderen Plätzen – das heißt, genug Spieler sind so engagiert, dass sie auch Geld für zusätzlichen Trophäen-Platz oder Inventar ausgeben.

Pokémon-Hype: Die Welt auf Monsterjagd

Hochkonzentriert und wie besessen gehen weltweit zahlreiche „Pokémon-Go“-Jäger auf Monster-Jagd – wie hier im Tin Shi Wai- Park in Hong Kong.
Hochkonzentriert und wie besessen gehen weltweit zahlreiche „Pokémon-Go“-Jäger auf Monster-Jagd – wie hier im Tin Shi Wai- Park in Hong Kong. © Getty Images | Lam Yik Fei
Es geht in dem Game darum, virtuelle „Pokémon“-Monster namens Pikachu, Traumato oder Magnetilo zu fangen, die sich an verschiedenen Orten in der realen Welt verstecken. Der Clou ist jedoch die Standort-Erkennung (GPS) auf dem Smartphone.
Es geht in dem Game darum, virtuelle „Pokémon“-Monster namens Pikachu, Traumato oder Magnetilo zu fangen, die sich an verschiedenen Orten in der realen Welt verstecken. Der Clou ist jedoch die Standort-Erkennung (GPS) auf dem Smartphone. © Getty Images | Lam Yik Fei
Die „Pokémon“ verstecken sich an verschiedenen Orten – und ein Spieler sieht sie nur, wenn er in der Nähe ist. Dann werden die Figuren auf dem Display des Smartphones in die echte Umgebung eingeblendet („Augmented Reality“) und ...
Die „Pokémon“ verstecken sich an verschiedenen Orten – und ein Spieler sieht sie nur, wenn er in der Nähe ist. Dann werden die Figuren auf dem Display des Smartphones in die echte Umgebung eingeblendet („Augmented Reality“) und ... © Getty Images | Lam Yik Fei
... tauchen sogar in der Downing Street, dem Amts- und Wohnsitz der britischen Premierministerin Theresa May auf.
... tauchen sogar in der Downing Street, dem Amts- und Wohnsitz der britischen Premierministerin Theresa May auf. © Getty Images | Olivia Harris
In Richfield im US-Bundesstaat Minnesota sind diese Drei nicht von ihrem Handy zu lösen – verkleidet als die bunten Monster. „Pokémon“ ist eine Wortbildung aus „Pocket Monster“, also Taschenmonster.
In Richfield im US-Bundesstaat Minnesota sind diese Drei nicht von ihrem Handy zu lösen – verkleidet als die bunten Monster. „Pokémon“ ist eine Wortbildung aus „Pocket Monster“, also Taschenmonster. © imago | ZUMA Press
Im spanischen Madrid versammelten sich Ende Juli mehr als 5000 Pokémon-Anhänger auf dem Platz Puerta del Sol. Und auch ...
Im spanischen Madrid versammelten sich Ende Juli mehr als 5000 Pokémon-Anhänger auf dem Platz Puerta del Sol. Und auch ... © dpa | Paco Campos
... in Deutschland wurde fleißig gejagt. Am 27. Juli musste die Giradet-Brücke auf der Königsallee in Düsseldorf wegen des Andrangs für den Autoverkehr gesperrt werden.
... in Deutschland wurde fleißig gejagt. Am 27. Juli musste die Giradet-Brücke auf der Königsallee in Düsseldorf wegen des Andrangs für den Autoverkehr gesperrt werden. © dpa | Rolf Vennenbernd
Auch in Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover sind die Jäger der virtuellen Monster an vielen öffentlichen Orten unterwegs. Ein Stadt-Sprecher warnt jedoch: „Wer allzu geistesabwesend auf der Pokémon-Jagd unterwegs ist, landet schnell mal an einem Laternenpfahl oder läuft einem Verkehrsteilnehmer in die Quere.“ Die Städte rufen die Spieler deshalb zur Vorsicht und Achtsamkeit gegenüber anderen auf.
Auch in Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover sind die Jäger der virtuellen Monster an vielen öffentlichen Orten unterwegs. Ein Stadt-Sprecher warnt jedoch: „Wer allzu geistesabwesend auf der Pokémon-Jagd unterwegs ist, landet schnell mal an einem Laternenpfahl oder läuft einem Verkehrsteilnehmer in die Quere.“ Die Städte rufen die Spieler deshalb zur Vorsicht und Achtsamkeit gegenüber anderen auf. © Getty Images | Alexander Koerner
Viele Städte in Niedersachsen freuen sich über den Zulauf von Spielern der japanischen App. „Die Menschen sollen doch lieber draußen rumrennen, als im dämmerigen Zustand vor dem Bildschirm zu sitzen“, sagte ein Sprecher der Stadt Osnabrück. Und auch die Krankenkassen können dem Spiel etwas Positives abgewinnen, denn es bringt Stubenhocker in Bewegung. Die japanische App sei gerade ...
Viele Städte in Niedersachsen freuen sich über den Zulauf von Spielern der japanischen App. „Die Menschen sollen doch lieber draußen rumrennen, als im dämmerigen Zustand vor dem Bildschirm zu sitzen“, sagte ein Sprecher der Stadt Osnabrück. Und auch die Krankenkassen können dem Spiel etwas Positives abgewinnen, denn es bringt Stubenhocker in Bewegung. Die japanische App sei gerade ... © Getty Images | Alexander Koerner
... für Kinder und Jugendliche ein prima Präventionsansatz gegen Rückenschmerzen und Übergewicht. Das beherzigen wohl auch diese zwei kleinen Südkoreaner am Strand von Sokcho.
... für Kinder und Jugendliche ein prima Präventionsansatz gegen Rückenschmerzen und Übergewicht. Das beherzigen wohl auch diese zwei kleinen Südkoreaner am Strand von Sokcho. © Getty Images | Jean Chung
Doch auch Organisationen wie der ADAC warnten vor allem vor Gefahren im Straßenverkehr.
Doch auch Organisationen wie der ADAC warnten vor allem vor Gefahren im Straßenverkehr. © Getty Images | Ulet Ifansasti
Pokémonster „Habitak“ führt den Spieler an die Stolpersteine vor dem Wohnhaus der Eheleute Rose und Louis Gruenberg in Dortmund, die 1942 aus ihrer Wohnung in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet wurden. Nach Einschätzung des Theologen Thomas Doerken-Kucharz kann das Spiel zu einer neuen Wahrnehmung bekannter Orte führen. „Das Spiel lenkt die Aufmerksamkeit auf bedeutende Details in unserer Umgebung, die vor allem viele Jugendliche noch nie wahrgenommen haben
Pokémonster „Habitak“ führt den Spieler an die Stolpersteine vor dem Wohnhaus der Eheleute Rose und Louis Gruenberg in Dortmund, die 1942 aus ihrer Wohnung in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet wurden. Nach Einschätzung des Theologen Thomas Doerken-Kucharz kann das Spiel zu einer neuen Wahrnehmung bekannter Orte führen. „Das Spiel lenkt die Aufmerksamkeit auf bedeutende Details in unserer Umgebung, die vor allem viele Jugendliche noch nie wahrgenommen haben". © Friedrich Stark
Gejagt wird auch in luftiger Höhe.
Gejagt wird auch in luftiger Höhe. © Funke Foto Services | FUNKE Foto Services / Ute Gabrie
Oder mit Gruselmaske am Wiener Stephansplatz.
Oder mit Gruselmaske am Wiener Stephansplatz. © dpa | Christian Bruna
Begeisterung auch in Brüssel bei Andrus Ansip (Vizepräsident der Europäischen Kommission , l.), Karmenu Vella (EU-Kommissar für Umwelt, Maritime Angelegenheiten, Mitte) und Miguel Arias Canete ( EU-Kommissar für Klimaschutz und Energie, r.).
Begeisterung auch in Brüssel bei Andrus Ansip (Vizepräsident der Europäischen Kommission , l.), Karmenu Vella (EU-Kommissar für Umwelt, Maritime Angelegenheiten, Mitte) und Miguel Arias Canete ( EU-Kommissar für Klimaschutz und Energie, r.). © REUTERS | FRANCOIS LENOIR
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„Pokémon Go“-Macher wollen Spieler an sich binden

Das liegt auch daran, dass Niantic allmählich alle Register zieht, um die Nutzer zum regelmäßigen Spielen zu animieren. Es gibt tägliche Bonus-Punkte, zu Halloween und Thanksgiving ließen die Macher von „Pokémon Go“ zudem einwöchige Aktionen steigen, bei denen es zum Beispiel mehr Monster zu fangen gab.

Jüngst kam ein neues Pokémon dazu, das sich in Gestalt mehrerer anderer tarnt und sich erst nach dem Fangen zu erkennen gibt – damit muss ein Spieler beherzt zuschlagen, um es auf jeden Fall zu erwischen. Und gemunkelt wird über 100 neue Pokémon, die demnächst dazukommen könnten.

Erfolg macht Niantic-Chef entspannt

„Wir müssen uns nicht mehr um jeden Dollar, den wir ausgeben, Gedanken machen“, sagt Niantic-Chef John Hanke über die finanzielle Lage des aus Google ausgekoppelten Start-ups nach dem „Pokémon“-Erfolg. Nach Einschätzung von Marktexperten dürfte es auch nach dem Abflauen des Hypes immer noch um Millionen-Einnahmen pro Tag gehen.

Hanke selbst sagt, im September sei die Nutzung abgefallen und habe sich im Oktober auf einer „gesunden Zahl“ täglicher Spieler stabilisiert. Der „Social-Media-Irrsinn“ der Anfangswochen sei nicht durchzuhalten gewesen und auch jetzt sei das Spiel möglicherweise immer noch das mit der höchsten Zahl täglicher Nutzer.

Anbieter ziehen schnell weiter zum nächsten Spiel

Smartphone-Spiele sind oft ein kurzlebiges Geschäft: Macher von Hits wie „Candy Crush“ oder „Angry Birds“ mussten schon feststellen, dass Nutzer irgendwann das Interesse verlieren und zum nächsten neuen Spiel weiterziehen.

In Düsseldorf kam es zu einem regelrechten Massenandrang wegen „Pokémon Go“ – auch bei schlechterem Wetter.
In Düsseldorf kam es zu einem regelrechten Massenandrang wegen „Pokémon Go“ – auch bei schlechterem Wetter. © imago/Felix Jason | imago stock&people

Die Theorie, dass die Aktivität der Pokémon-Jäger nun auch mit Einbruch der kalten Jahreszeit sinkt, will Hanke nur bedingt gelten lassen: „Irgendwo ist immer Sommer.“ Beim seinem ersten Spiel „Ingress“, bei dem Spieler um virtuelle Portale kämpfen, spüre Niantic auch wenig saisonalen Einfluss.

Verbraucherschützer erwirkten Verbesserungen beim Datenschutz

Zugleich sorgte „Pokémon Go“ für einige Kontroversen. Städte beklagten sich über Verkehrsbehinderungen, wie schon Portale beim „Ingress“-Game, auf dessen Daten sich Niantic auch diesmal stützte, gab es Kritik an Spielpunkten neben Gedenkstätten. Von deutschen Verbraucherschützern gab es eine Abmahnung wegen der Nutzungs- und Datenschutzbestimmungen ab – Niantic lenkte ein. Um das Spielen am Steuer zu verhindern, kann die App ab einer bestimmten Geschwindigkeit inzwischen nicht mehr genutzt werden. Das treffe auch ihn selbst als Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel in San Francisco, sagt der Niantic-Chef. „Ich wünschte, wir könnten es nur auf die Leute einschränken, die gerade am Lenkrad sitzen.“

Insgesamt sieht Hanke aber noch zuwenig Verständnis für Spiele wie „Pokémon Go“ in der Politik, auch im Heimatland USA. Die Politiker sähen lauter Leute, die auf ihre Handys blicken und sind besorgt. „Wir denken, es ist wichtig, ihnen zu zeigen, wie solche Spiele helfen können, Städte zu beleben, Menschen auf öffentliche Plätze herauszubringen oder zu mehr Bewegung zu animieren.“ Solche positiven Effekte sollten bedacht werden, „bevor man übermäßig darüber besorgt ist, dass im Park mehr Müll weggeräumt werden muss, weil dort mehr Leute waren.“ (dpa)