Berlin. Wegen neuer Abgaberegeln für Hochschulen stehen Online-Portale für Fachliteratur vor dem Aus. Am Kopierer drohen lange Schlangen.

Künftig könnten an den Hochschulen lange Schlangen vor dem Kopierer wieder zum Alltag gehören – zumindest, wenn Hochschulen, Länder und die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) nicht schnell eine Lösung finden. Denn eine neue Regelung zur Urheberrechtsabgabe könnte einem der praktischsten Fortschritte im Studentenalltag wieder den Garaus machen: Online-Seminarunterlagen.

Bisher können Studenten ihre Seminarunterlagen von einer digitalen Plattform ihrer Uni herunterladen. Doch ab dem 1. Januar 2017 soll ein neuer Rahmenvertrag zwischen der VG Wort, die die Rechte der Autoren vertritt, und den Landesregierungen gelten. Und der fordert eine Einzelabrechnung für jedes Skript, für jedes Seminar werden dann 0,8 Cent pro Seite und Student fällig. Bislang wurden Tantiemen pauschal abgeführt.

Pro Text Meldung vorab erforderlich

„In der Praxis hieße das: Für jeden Buchauszug und jeden Zeitungsartikel, den Lehrende und gegebenenfalls Studierende online bereitstellen wollten, wäre zuvor eine separate Meldung an die VG-Wort über eine spezielle Eingabemaske zu senden“, erläutert Merel Neuheuser, Pressereferentin des Präsidenten der Universität Hamburg. Zu teuer, zu umständlich, urteilen die Hochschulen und verweigern die Umsetzung. „Das ist ein Irrsinn“, tönt es landesweit aus den Hochschulen. Den Studenten drohe der Rückfall in das Papierzeitalter.

Der lautstarke Widerstand der Hochschulen führte nun zumindest zu einen Teilerfolg: Ende vergangener Woche gaben die Hochschulrektorenkonferenz, die Kultusministerkonferenz sowie die VG Wort bekannt, dass man eine Arbeitsgruppe beauftrage, um „eine einvernehmliche Lösung für die Handhabung des Urheberrechts im Kontext der Lehre an Hochschulen zu entwickeln“. Da die Zeit drängt, hat man sich zudem ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: „Rechtzeitig vor Jahresende 2016 soll der Vorschlag vorliegen“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung.

Universitäten lehnen Rahmenvertrag ab

Eine solche Lösung ist auch notwendig, denn das Gros der Universitäten hatte schon im Vorfeld klargemacht, dass man dem neuen Rahmenvertrag nicht zustimmen werde. „Das System der Einzelvergütung wird an der TU Berlin nicht zum Einsatz kommen. Aus unserer Sicht sind die Konditionen des Rahmenvertrages mit der VG Wort nicht akzeptabel“, sagt Prof. Hans-Ulrich Heiß, Vizepräsident für Studium und Lehre an der Technischen Universität Berlin gegenüber dieser Redaktion. Auch die Universität Hamburg bestätigt, dass man dem Rahmenvertrag nicht beitreten werde.

Sollte es nicht zu einer Einigung kommen, wollen die Unis vorerst keine Seminarunterlagen mehr online bereitstellen, betroffene Skripte müssten gelöscht werden. Studenten und Professoren protestieren gegen einen solchen Rückschritt. „Die Nutzung digitaler Materialien ist in der Lehre ein fest etablierter Bestandteil. Dass digitale Semesterapparate ab 2017 nur noch stark eingeschränkt angeboten werden können, wirkt sich in vielfältiger Form negativ auf den Lehrbetrieb aus“, sagt Prof. Hans-Ulrich Heiß.

Kopiervorlagen zur Ausleihe

Auf diesen Ernstfall haben Dozenten in der ganzen Republik ihre Studenten bereits vorbereitet: „Liebe Studierende“, schreibt etwa ein Bochumer Dozent an seine Seminarteilnehmer. „Zum 1.1.2017 bin ich gezwungen, alle urheberrechtlich geschützten Texte aus meinen Kursen zu löschen. Wie es im nächsten Semester weitergeht, ist noch unklar. Vermutlich wird es wieder Kopiervorlagen geben, die man sich im Geschäftszimmer ausleihen muss.“ Solche oder ähnliche Mitteilungen dürften in diesen Tagen fast alle Studierenden in ihrem E-Mail-Eingang gefunden haben.

Doch wie konnte es zu einer solch verfahrenen Situation kommen? Seit Jahren streiten die Bundesländer und die VG Wort darüber, wie die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in den Onlineplattformen der Hochschulen zu vergüten ist. Bislang führten die Bundesländer eine pauschale Summe ab. Damit war die Nutzung abgegolten, rechtliche Risiken bestanden für die Hochschulen nicht.

Pilotversuch in Osnabrück mit eindeutigem Ergebnis

2013 aber erstritt die VG Wort vor dem Bundesgerichtshof das Recht auf Einzelabrechnung der genutzten Texte. Demnach müssen die Dozenten jeden einzelnen Text vor dem Einstellen ins Netz daraufhin überprüfen, ob das Skript urheberrechtlich geschützt ist und ob womöglich eine Nutzungslizenz der Hochschule vorliegt.

Ein Pilotversuch des neuen Abrechnungssystems an der Uni Osnabrück im Wintersemester 2014/15 sollte untersuchen, wie sich das neue Verfahren im Uni-Alltag bewährt – und kam zu einem klaren Ergebnis: „Mit Einführung einer Einzelmeldepflicht werden wesentlich weniger Texte von den Studierenden und Lehrenden verwendet. Der organisatorische Aufwand für die Hochschulen ist unangemessen hoch und keine Alternative zu einer Pauschalvergütung“, sagte Vizepräsidentin Prof. May-Britt Kallenrode zum Ausgang des Pilotversuchs.

Viertel Stelle für 5000 Euro Abgabe

Tatsächlich führte das System zu einem erheblichen Mehraufwand für die Dozenten und in der Folge für die Universitäten. Gleichzeitig sank die Menge der bereitgestellten Texte um 75 Prozent – wohl weil der zusätzliche Meldeaufwand gescheut wurde. Im Schnitt vier Minuten dauere die Meldung eines Textes. Über ein Semester hinweg habe sich das – trotz erheblich reduziertem Textaufkommen – auf 65 Stunden reiner Meldevorgänge summiert. Zudem wären für die laufende Unterstützung laut Uni Osnabrück 25 Prozent einer qualifizierten Stelle aufzuwenden – für Meldungen an die VG Wort im Kostenumfang von gerade einmal 5000 Euro.