Paderborn. Im Fall des Ex-Paares aus Höxter hat die Angeklagte im Prozess ausgesagt. Zunächst sprach sie allerdings vor allem über sich selbst.

Es ist Tag zwei im Prozess um das Horrorhaus von Höxter. Aber eigentlich ist es der Tag, an dem dieser Prozess vor dem zuständigen Landgereicht in Paderborn erst wirklich beginnt. Denn es ist der Tag, an dem die Angeklagte Angelika W. mit ihrer Aussage beginnt. Eine Aussage, die gut zu verstehen ist, aber die ein gesunder Menschenverstand nicht begreifen kann.

Sie erzählt emotionslos, fast roboterhaft, wie sie groß geworden ist auf dem Bauernhof der Familie, tief in Ost-Westfalen. Wo sie schon früh mit angepackt hat. Weil sie es wollte, nicht weil sie es sollte. Für anderes bleibt wenig Zeit. „Es gab nie eine beste Freundin.“ Und erst recht keinen Kontakt zu Jungen.

Angelika W. lebte immer bescheiden

Sie erzählt, wie sie auf dem Bauernhof der Familie groß geworden ist, ganz tief in Ost-Westfalen. Wo sie schon früh mit angepackt hat. Weil sie es wollte, nicht weil sie es sollte. Für anderes bleibt angeblich wenig Zeit. „Es gab nie eine beste Freundin.“ Und erst recht keinen Kontakt zu Jungen.

Dies ist ihre Version: Angelika W. geht nicht aus, kauft sich keine schönen Kleider, fährt niemals in Urlaub. Einmal im Monat gönnt sich die junge Frau ein Eis. Ansonsten wird gespart. Für später. „Ich habe nicht viel gebraucht.“

Fall Höxter: Mord-Angeklagte vor Gericht

Über Jahre hinweg soll ein Paar per Zeitungsanzeigen mehrere Frauen aus Niedersachsen in ihr Haus nach Höxter (Nordrhein-Westfalen) gelockt und dort schwer misshandelt haben. Zwei Frauen starben infolge der Quälereien. Die Angeklagten müssen sich wegen zweifachen Mordes und mehrfacher Körperverletzung vor Gericht verantworten. Das Foto zeigt den Eingang und ein vernageltes Fenster des ehemaligen Hauses der Angeklagten im Ortsteil Bosseborn.
Über Jahre hinweg soll ein Paar per Zeitungsanzeigen mehrere Frauen aus Niedersachsen in ihr Haus nach Höxter (Nordrhein-Westfalen) gelockt und dort schwer misshandelt haben. Zwei Frauen starben infolge der Quälereien. Die Angeklagten müssen sich wegen zweifachen Mordes und mehrfacher Körperverletzung vor Gericht verantworten. Das Foto zeigt den Eingang und ein vernageltes Fenster des ehemaligen Hauses der Angeklagten im Ortsteil Bosseborn. © dpa | Friso Gentsch
Prozess am Landgericht Paderborn in Nordrhein-Westfalen: Staatsanwaltschaft und Nebenkläger hatten am 6. September für die beiden Deutschen Winfried W. (l.) und Angelika W. lebenslange Freiheitsstrafen, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und für Wilfried W. die Einweisung in die Psychiatrie gefordert.
Prozess am Landgericht Paderborn in Nordrhein-Westfalen: Staatsanwaltschaft und Nebenkläger hatten am 6. September für die beiden Deutschen Winfried W. (l.) und Angelika W. lebenslange Freiheitsstrafen, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und für Wilfried W. die Einweisung in die Psychiatrie gefordert. © dpa | Guido Kirchner
Die Anwälte des Angeklagten wiesen die Vorwürfe in ihren Plädoyers zum Teil zurück und forderten eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Sie sprachen sich gegen eine lebenslange Haftstrafe aus, weil ihr Mandant nur vermindert schuldfähig sei. Diese Aufnahme zeigt Winfried W. mit seinem Verteidiger Detlev Binder.
Die Anwälte des Angeklagten wiesen die Vorwürfe in ihren Plädoyers zum Teil zurück und forderten eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Sie sprachen sich gegen eine lebenslange Haftstrafe aus, weil ihr Mandant nur vermindert schuldfähig sei. Diese Aufnahme zeigt Winfried W. mit seinem Verteidiger Detlev Binder. © dpa | Friso Gentsch
Die Staatsanwaltschaft und drei Nebenkläger forderten für einen versuchten und einen vollendeten Mord durch Unterlassen lebenslange Haftstrafen und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.
Die Staatsanwaltschaft und drei Nebenkläger forderten für einen versuchten und einen vollendeten Mord durch Unterlassen lebenslange Haftstrafen und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. © dpa | Guido Kirchner
Wilfried W.s frühere Ehefrau Angelika W. ist ebenfalls angeklagt. Die Aufnahme zeigt sie mit ihrem Anwalt Peter Wüller im Landgericht. Nach ihrer Festnahme im April 2016 hatte die 49-Jährige mehrfach stundenlang bei der Polizei von den brutalen Geschehnissen im sogenannten „Horror-Haus“ berichtet.
Wilfried W.s frühere Ehefrau Angelika W. ist ebenfalls angeklagt. Die Aufnahme zeigt sie mit ihrem Anwalt Peter Wüller im Landgericht. Nach ihrer Festnahme im April 2016 hatte die 49-Jährige mehrfach stundenlang bei der Polizei von den brutalen Geschehnissen im sogenannten „Horror-Haus“ berichtet. © dpa | Friso Gentsch
Angelika W. gilt nach Meinung einer Gutachterin als voll schuldfähig.
Angelika W. gilt nach Meinung einer Gutachterin als voll schuldfähig. © dpa | Guido Kirchner
Der Prozess gegen die Angeklagten läuft seit 26. Oktober 2016.
Der Prozess gegen die Angeklagten läuft seit 26. Oktober 2016. © dpa | Bernd Thissen
Den beiden Angeklagten wird vorgeworfen, mehrere Opfer in ihr Haus im nordrhein-westfälischen Höxter gelockt und dort gequält zu haben. Sie sollen Frauen angekettet, starker Kälte ausgesetzt und mit Tritten und Schlägen systematisch gequält haben.
Den beiden Angeklagten wird vorgeworfen, mehrere Opfer in ihr Haus im nordrhein-westfälischen Höxter gelockt und dort gequält zu haben. Sie sollen Frauen angekettet, starker Kälte ausgesetzt und mit Tritten und Schlägen systematisch gequält haben. © dpa | Jonas Güttler
Das Haus wurde schnell das „Horror-Haus von Höxter“ genannt.
Das Haus wurde schnell das „Horror-Haus von Höxter“ genannt. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Friso Gentsch
Zwei Frauen starben in Folge der Folterungen, die sie erleiden mussten. Eine weitere Frau entkam ihren Peinigern. Nach aktuellem Stand der Ermittlungen sollen die beiden Angeklagten mindestens acht weitere Opfer um größere Geldsummen gebracht haben.
Zwei Frauen starben in Folge der Folterungen, die sie erleiden mussten. Eine weitere Frau entkam ihren Peinigern. Nach aktuellem Stand der Ermittlungen sollen die beiden Angeklagten mindestens acht weitere Opfer um größere Geldsummen gebracht haben. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Friso Gentsch
Die Misshandlungsfälle waren im Sommer 2016 aufgeflogen, nachdem die beiden Angeklagten die lebensgefährlich verletzte Susanne F. aus Bad Gandersheim zurück nach Niedersachsen bringen wollten. Auf dem Weg hatten sie eine Autopanne und entschieden sich, den Notarzt zu verständigen. Für das Opfer kam die Hilfe jedoch zu spät. Susanne F. starb später im Krankenhaus.
Die Misshandlungsfälle waren im Sommer 2016 aufgeflogen, nachdem die beiden Angeklagten die lebensgefährlich verletzte Susanne F. aus Bad Gandersheim zurück nach Niedersachsen bringen wollten. Auf dem Weg hatten sie eine Autopanne und entschieden sich, den Notarzt zu verständigen. Für das Opfer kam die Hilfe jedoch zu spät. Susanne F. starb später im Krankenhaus. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Friso Gentsch
Polizeiliches Siegel an der Tür des Hauses in Höxter: Die Angeklagte hatte detailliert ausgesagt und auch einen weiteren Todesfall aus dem Jahr 2014 zugegeben. Die Leiche der 33-jährigen Angelika W. sollen sie und ihr Ex-Mann demnach eingefroren, zerstückelt und nach und nach im Ofen verbrannt haben.
Polizeiliches Siegel an der Tür des Hauses in Höxter: Die Angeklagte hatte detailliert ausgesagt und auch einen weiteren Todesfall aus dem Jahr 2014 zugegeben. Die Leiche der 33-jährigen Angelika W. sollen sie und ihr Ex-Mann demnach eingefroren, zerstückelt und nach und nach im Ofen verbrannt haben. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Friso Gentsch
Ermittler tragen Kartons aus dem Haus des beschuldigten Ex-Ehepaares. Während die Angeklagte bereits detailliert ausgesagt hatte, schwieg ihr geschiedener Ehemann Wilfried W. zunächst.
Ermittler tragen Kartons aus dem Haus des beschuldigten Ex-Ehepaares. Während die Angeklagte bereits detailliert ausgesagt hatte, schwieg ihr geschiedener Ehemann Wilfried W. zunächst. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Friso Gentsch
Passanten hatten nach Bekanntwerden der Taten Kerzen, Blumen und Kreuze im Gedenken an die Todesopfer vor dem Haus in Höxter niedergelegt. Die beiden Todesfälle stehen im Mittelpunkt des Prozesses.
Passanten hatten nach Bekanntwerden der Taten Kerzen, Blumen und Kreuze im Gedenken an die Todesopfer vor dem Haus in Höxter niedergelegt. Die beiden Todesfälle stehen im Mittelpunkt des Prozesses. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Friso Gentsch
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Angeklagte erzählt vom ersten Kuss

Auch als sie älter ist, in einer Gärtnerei lernt, „habe ich mir nie einen Kopf um Männer gemacht“, sagt sie. Mitte zwanzig ist sie, als sie binnen Minuten den ersten Kuss bekommt und den ersten Sex hat. Mit einem verheirateten iranischen Aushilfsarbeiter, den sie Achmed nennt, auch wenn er eigentlich anders heißt. Niemand spricht von Liebe, Achmed bald von Geld. Sie leiht ihm „nach langem Überlegen“ 5000 Mark, sieht ihn daraufhin nicht wieder.

Der Vater stirbt, die Mutter rät zur Heirat. Per Annonce lernt sie Anfang 1999 Wilfried kennen. Er ist Hausmeister bei der Bahn, hoch verschuldet. Sie ist nicht hübsch, hat aber Geld. Gleich bei der ersten Begegnung erzählt sie ihm von den angesparten 160.000 Mark auf ihrem Konto. Nur Stunden später landen sie im Bett. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, glaubt sie bis heute.

Hochzeit acht Wochen nach dem ersten Treffen

Für sie vielleicht, für ihn wohl nicht. Schon nach ein paar Tagen gibt es Streit. Sie ist zu laut, zu leise, redet zu viel oder zu wenig, macht ihn nervös, ist nicht seiner Meinung. Dann schreit Wilfried nicht nur, dann schlägt er sie auch, beißt und würgt sie, erstickt sie beinahe unter einem Berg von Decken. Immer wieder. Trotzdem kündigt Angelika W. ihren Job, um Wilfried dabei zu helfen, die Bahnhöfe sauber zu machen. Und obwohl die Schläge zunehmen, er sie täglich demütigt und beleidigt, heiraten die beiden nur acht Wochen nach ihrem ersten Treffen. Zwischendurch erklärt sie, sei er ja „halbwegs lieb“ gewesen. Und: „Er hat nicht geraucht.“

Nach der Hochzeit bekommt Wilfried eine Vollmacht für die Konten seiner Frau. Er hat zwar keinen Führerschein aber er kauft Autos, später auch Boote. Immer wieder, bis das Geld weg ist. Das Paar zieht nach Höxter. Sie macht alles, was er will, ordnet sich unter, gibt sich auf. Sie darf nicht essen oder trinken ohne ihn, nicht ohne Erlaubnis auf Toilette oder ins Bett gehen. Und sie, die früher verletzte Katzen rettete und keine Kuh antreiben konnte, schießt nun mit einem Luftgewehr auf den zu zahmen Schäferhund und steckt eine Katze in den Trockner bis sie stirbt. Weil er die Tiere, die er erst haben wollte, plötzlich loswerden will.

Angelika W.: „Böse bin ich ihm nicht“

Aber Angelika W. kann machen, was sie will, nie ist Wilfried zufrieden. Um sie zu bestrafen, verbrüht er sie großflächig mit kochendem Wasser. Anschließend muss sie auf eine Ledergeldbörse beißen, die er ihr in den Mund stopft. „Damit ich nicht so laut schreie.“

Irgendwann lassen sie sich scheiden. Pro forma, „aus finanziellen Gründen“. Ändern tut sich nichts. Täglich kommt sie zu ihm. Sie habe, versucht sie das im Prozess zu erklären, sich verpflichtet gefühlt. Er habe ihr drei Aufgaben gegeben. Sie solle ihm gefälligst einen Job beschaffen, dafür sorgen, dass er irgendwoher einen Führerschein bekomme und eine Frau finden, die besser zu ihm passe. Das habe sie doch alles erledigen müssen. Und überhaupt: „Böse bin ich ihm nicht“, sagt Angelika W. noch heute über ihren Exmann.

Exmann schweigt weiter

Je länger sie erzählt, umso schwieriger wird es, die Frau auf der Anklagebank einzuschätzen. Sie sei sowohl Täterin als auch Opfer, sagt ihr Verteidiger Peter Wüller. Sie wirkt schlicht, sie wirkt naiv, dumm wirkt sie nicht. Sie ist geständig, nimmt Schuld auf sich, beantwortet die Fragen von Richter Bernd Emminghaus zügig und ausführlich und stellt den immer noch schweigenden Exmann als treibende Kraft da. Dessen Anwälte sehen das anders und auch im erneut völlig überfüllten Schwurgericht gibt es Zweifler. „Die ist“, glaubt ein älteres Ehepaar im Zuschauerraum, „ gerissener als sie aussieht.“