Bad Salzungen. In Thüringen hat die Polizei eine Frau festgenommen und sucht nach einem vermissten Kind. Warum töten immer wieder Mütter ihre Kinder?

In Schlauchbooten fahren die Polizisten die Ufer ab, mit ihren Paddeln stochern sie im Gebüsch. Die Beamten fahnden fieberhaft nach dem kleinen Jungen, doch Schneeregen macht die Suche schwierig. Mit Mützen und Handschuhen schützen sich die Polizisten gegen die Kälte. Bislang haben sie das Kind nicht gefunden. Angesichts dieser Bedingungen ist es kaum vorstellbar, dass es noch lebt.

In dem 16.000-Einwohner-Städtchen Bad Salzungen in Südthüringen bahnt sich eine Tragödie an. Die Polizei vermutet, dass ein einjähriger Junge sterben musste – von der eigenen Mutter in die Werra geworfen. Die Ermittler nahmen die 35-Jährige wegen des „Verdachts auf ein Tötungsdelikt“ fest. Eine Polizeisprecherin sagte am Dienstag, der Verdacht habe sich aus den bisherigen Ermittlungen ergeben. Eine Bekannte hatte am Montag für die „völlig verstörte“ Mutter des Jungen einen Notarzt gerufen und die Polizei informiert, hieß es. Ermittler sagten, die Frau sei „psychisch hoch belastet“. Sie befindet sich in medizinischer Betreuung.

Suche mit Tauchern und Spürhunden

Von ihrem Sohn fehlt jede Spur. Die idyllische Kurstadt Bad Salzungen mit ihren Rehakliniken, Parks und einem See im Ortszentrum erlebt einen der größten Polizeieinsätze ihrer Geschichte. Die Suche konzentriert sich auf den Fluss Werra. „Das Gebiet wird weiträumig abgesucht“, sagte die Polizeisprecherin. Sie begründete dieses Vorgehen mit klaren Hinweisen, die die Ermittlungen zutage gefördert hätten. Die Stelle, an der die Mutter den Einjährigen ins Wasser geworfen haben soll, sei bekannt.

Rettungskräfte, speziell ausgebildete Taucher und Spürhunde suchen nach dem Jungen. Sie durchforsten das Ufer auf einer Länge von fünf Kilometern. Auch ein Polizeihubschrauber steht bereit, konnte wegen der schlechten Witterung am Dienstag aber zunächst nicht starten. Angesichts des nasskalten Wetter schwinden die Chancen immer mehr, den Jungen lebend zu finden, so die Sprecherin.

„Töte das Kind, sonst wirst du nicht mehr glücklich“

Wieder eine Mutter, die ihre eigenes Kinder tötet – in den letzten Monaten haben ähnliche Fälle die Öffentlichkeit erschüttert. Vor einer Woche erstach eine 28-Jährige in Lünen im Ruhrgebiet ihre beiden Kleinkinder und verletzte sich selbst schwer. Im Juli wurde eine 45-Jährige wegen mehrfachen Totschlags verurteilt: Auf ihrem Grundstück im fränkischen Wallenfels waren acht Babyleichen gefunden worden. Und im Juni verurteilte ein Hamburger Gericht eine 29-Jährige zu mehr als sieben Jahren Haft, weil sie ihr Baby mit einer Decke erstickt hatte. Vor Gericht berichtete die Frau, eine innere Stimme habe ihr gesagt: „Töte das Kind, sonst wirst du nie mehr glücklich sein.“

Laut Bundeskriminalamt wurden im vergangenen Jahr 54 Kinder Opfer von Mord oder Totschlag – in mehr als 90 Prozent der Fälle war der Täter ein Eltern- oder Stiefelternteil. Jedoch: Seit 1993 hat sich die Zahl der Kinder, die durch die eigenen Eltern getötet wurden, mehr als halbiert. Experten führen das auf ein verändertes Familienbild und die Verbreitung von Babyklappen zurück. „Vor 200 Jahren waren die Zuchthäuser voll mit ledigen Müttern, die ihre Kinder getötet haben. Heute ist das anders“, sagt der Psychiater Michael Soyka, Autor des Buches „Wenn Frauen töten“. Meist spielten soziale Schieflagen eine Rolle.

Thüringer Tat ungewöhnlich

Soyka hat viele Morde untersucht. Die Tat von Bad Salzungen bewegt ihn dennoch besonders. Denn häufig wollten Mütter trotz allem nicht, dass ihre Kinder Schmerzen erleiden. Das eigene Kind einfach in einen Fluss zu werfen, sei hingegen „eine relativ aggressive Handlung“.