St. Louis. Chuck Berry feiert seinen 90. Geburtstag. Mit seiner Musik inspirierte er Rockgrößen wie Eric Clapton, Jimi Hendrix oder James Brown.

Wenn das hohe Alter auf der kleinen Bühne des „Blueberry Hill“ seinen Tribut forderte, drehte sich Chuck Berry ob seiner Vergesslichkeit gern in Richtung Begleitband um und brachte gleichzeitig sein Publikum zum Lachen: „Mein Sohn müsste den Text wissen, aber ich hab’ ihn geschrieben.“

Ob „Maybellene“, „Sweet Little Sixteen“, „Carol“ oder „Johnny B. Goode“ – Charles Berry Jr. (heute auch schon über 50) half regelmäßig mit den benötigten Liedzeilen aus, die allesamt zum Heiligsten im großen amerikanischen Songbook gehören. Und der Papa besorgte mit weißer Kapitänsmütze, rotem Paillettenhemd und Entengang routiniert den Rest.

Erst mit 88 war Schluss

Noch vor zwei Jahren stand der Ur-Großvater des Rock’n’Roll, ohne den es weder die Rolling Stones noch die Beatles gegeben hätte, im traditionsreichsten Bier- und Konzerthaus seiner Heimatstadt St. Louis jeden dritten Mittwoch im Monat an der Strom-Gitarre und begeisterte die aus aller Welt angereisten Fans. Erst mit 88 war Schluss.

Joe Edwards, der Besitzer der zwischen Bar, Restaurant und Museum pendelnden Kult-Einrichtung im Amüsierviertel Delmar Loop, macht sich Hoffnungen, dass Berry, der Dienstag 90 Jahre alt wird, wiederkommt. „Ich glaube, es steht eine kleine Sensation ins Haus“, sagte Edwards im Gespräch mit dieser Zeitung. Gibt es neue Kompositionen? Geht Chuck Berry nach fast 40 Jahren Pause noch einmal ins Plattenstudio? „Ich darf nichts verraten“, sagt Edwards und verquatscht sich dann doch, „aber ich habe alle Lieder schon gehört“.

Ausnahmsweise eine beschauliche Feier

Für Berry, der älteste lebende Rock-Superstar der Erde, wird der Ehrentag eine beschauliche Angelegenheit. Anders als zum 75. – er spielte live mit Little Richard – oder zum 80. – da kam Aerosmith-Gitarrero Joe Perry zu einem Ständchen ins „Blueberry Hill“ – wird Charles Edward Anderson Berry diesmal „nur im engen Familienkreis feiern“. Joe Edwards ist eingeladen. Er bringt als Geschenk eine seltene Gitarren-Replika mit. „Ist ja sonst schwer etwas zu finden, was Chuck noch nicht hat.“

Dabei war der ehemalige Gelegenheitsarbeiter, Boxer und Friseur ein Spätzünder in Sachen Erfolg. Erfolg gleich Auszahlung in bar; vor jedem Konzert. Im Mai 1955 nimmt er im Alter von fast 30 seine erste Platte auf: „Maybellene“.

Ein Jahr später kreiert er aus einer Laune heraus den „Duck Walk“, der sein Markenzeichen werden sollte. Berry hockte sich nieder und watschelte auf den Hacken, die Gibson-ES-335-Gitarre fest gegen den gebeugten Körper gepresst, über die Bühne. Dabei sang er mit einer Stimme, „die genauso wellig und ölig war wie sein Haar“, schrieb einmal der Schriftsteller Nik Cohn.

Er saß dreimal im Gefängnis

Danach ging es kometenartig nach oben. 13 Hits in den Top 40. Am Soundtrack des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitgeschrieben. Dutzende inspiriert – darunter die Beach Boys, die Yardbirds, die Animals, Eric Clapton, Jeff Beck, Jerry Garcia, Jimi Hendrix oder James Brown. Keith Richard an die sechs Saiten gelockt. Und schließlich den Machtanspruch der U- gegenüber der E-Musik mit dem selbstbewusstesten aller Titel durchgesetzt: „Mach Platz Beethoven, und erzähl Tschaikowsky die Neuigkeiten!“ Dass Chuck Berry zeitlebens dreimal im Gefängnis war, zwischen 120 Tagen (Steuerhinterziehung) und 20 Monaten (grenzüberschreitender Transport von Minderjährigen), ändert daran nichts.

In St. Louis kann man dem Schwerenöter, dessen Musik seit 1977 als Zeugnis der Kreativität auf Mutter Erde in der Weltraumsonde „Voyager 1“ durchs All rast, nicht entrinnen. Viele Geschäfte im „Loop“ führen Memorabilien. Gegenüber vom „Blueberry Hill“ steht die 2,50 Meter große Bronze-Statue des Künstlers Harry Weber. Hunderttausende ließen sich dort seit der Einweihung mit ihrem Held fotografieren.

Populärer als Miles Davis

Im „Duck Room“, dem 340 Plätze bietenden Konzertsaal, den Joe Edwards seit 1996 für Berry bereithielt, erinnern eingerahmte Fotos an die wundersame Karriere des bis heute gertenschlanken Schwarzen, der die anderen berühmten St. Louisianer, Miles Davis etwa oder Tennessee Williams, in puncto Popularität weit übertrifft.

Wie sagte noch Jerry Lee Lewis, ebenfalls ein Großer aus der Zeit, als der Rock’n’Roll noch wild
war: „Meine Mutter meinte immer zu mir, du und Elvis, Ihr seid schon ziemlich gut. Aber Ihr seid nicht Chuck Berry.“ Hail! Hail! Rock’n’Roll, Chuck. Und möge die neue Platte gelingen.