Bamberg. Der Chefarzt Dr. Heinz W. soll in Bamberg Patientinnen und Mitarbeiterinnen missbraucht haben. Am Montag wird das Urteil verkündet.

Ist er ein Verbrecher oder wurde er nur missverstanden? Am Montag geht in Bamberg einer der bizarrsten Prozesse der Medizingeschichte zu Ende. Es geht um einen in Franken bekannten ehemaligen Chefarzt des Bamberger Klinikums. Die Staatsanwaltschaft fordert 15 Jahre Gefängnis für den mutmaßlichen Sexualstraftäter. Der Angeklagte (51) selbst beteuert seit Prozessbeginn vor anderthalb Jahren vehement seine Unschuld.

Der tiefe Fall des Dr. Heinz W. beginnt im August 2014. Bis dahin ist der Mann ein respektiertes Mitglied der Bamberger Bürgerschaft: verheiratet mit einer Ärztin, Vater von zwei kleinen Kindern, die Familie engagiert sich in der katholischen Kirche. Dann zeigt ihn eine Medizinstudentin an, die in der Klinik ein Praktikum macht.

Arzt wollte „Studie“ durchführen

Der Chefarzt hatte ihr erklärt, er arbeite an einer Studie über Venenleiden, ob sie mitmachen wolle. Weil sich die 26-Jährige nachher nicht an die Untersuchung erinnern kann, schöpft sie Verdacht, lässt sich noch in der Nacht von ihrem Vater, einem Arzt, Blut abnehmen. Man findet ein Schlafmittel – am nächsten Morgen wäre es schon nicht mehr nachweisbar gewesen.

Die Studentin stellt Strafantrag, die Polizei ermittelt, Heinz W. wird in der Klinik verhaftet. Seit zwei Jahren sitzt er in Untersuchungshaft.

Zwölf Opfer soll er willenlos gemacht haben

Der 51-Jährige war nicht einer von vielen Ärzten an seiner Klinik, sondern eine gefeierte Koryphäe seines Gebiets. Der „Focus“ führte ihn kurz vor seiner Verhaftung noch auf der Liste der besten Ärzte seiner Fachrichtung. Umso schwerwiegender erscheinen die Vorwürfe. Zehn Patientinnen und zwei Praktikantinnen im Alter zwischen 17 und 28 Jahren soll Heinz W. unter dem Vorwand einer medizinischen Untersuchung in seine Ambulanz geholt haben. Dort, so die Anklage, habe er ihnen ein Medikament gespritzt, das die Frauen willenlos machte und ihre Erinnerung ausschaltete. Dann habe er sich an ihnen vergangen.

Heinz W. ist angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung, sexueller Nötigung, zum Teil wegen Vergewaltigung sowie Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Diese zeigen, wie Heinz W. am Körper der Frauen mit Sexspielzeug hantiert.

Laut Medienberichten gab er den Missbrauch an der Patentochter (18) seiner Ehefrau zu, die er vorher betrunken gemacht haben soll.

Angeklagter bestreitet, ein „Sex-Arzt“ zu sein

Die Ermittler entdeckten auf dem Computer des Chefarztes zahlreiche Fotos, die Heinz W. während seiner „Untersuchungen“ gemacht hatte. Was genau darauf zu sehen ist, wurde – um die Intimsphäre der Opfer zu schützen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit behandelt. Der Mediziner kämpft seit dem ersten Prozesstag gegen den Verdacht, ein Vergewaltiger zu sein: „Ich bin weder Sex-Arzt noch Dr. Pervers.“

Vor Gericht berichtete er, dass sich Verdickungen der Venen in den Schamlippen zeigten, wenn Beckenvenen verstopft seien – das erkläre die vielen Vaginabilder auf seinem PC. In Powerpoint-Präsentationen legte er ausführlich dar, weshalb sein Vorgehen medizinisch gerechtfertigt gewesen sei. Reue zeigte er nicht. Er habe neue Behandlungsmethoden gegen Beckenvenenthrombosen erproben wollen. Ein sexuelles Motiv bestreitet der Mann. Der Staatsanwalt ist anderer Ansicht. „Der Angeklagte wollte sich ausschließlich sexuell erregen.“, erklärte er in seiner Anklage. Bilder sagten mehr als 1000 Worte.

Vergleich mit „Hexenprozessen“

Die Verteidiger haben das Verfahren mehrfach kritisiert. Das Gericht habe nicht die Kompetenz, die medizinischen Hintergründe beurteilen zu können. Sie sprechen von „Mechanismen, wie sie auch in Hexenprozessen funktionierten: Unwissen und daraus resultierende Verdächtigungen“. Einer der Anwälte, der Bochumer Strafrechtsprofessor Klaus Bernsmann, sagte: „Die Vernichtung von Dr. W. ist in vollem Gang und nicht mehr aufzuhalten.“ Er zeichnete im Prozess das Bild eines moralisch integren Menschen.

In seinem Schlusswort räumte der Arzt ein, er hätte die Frauen vielleicht besser aufklären sollen; ihnen sagen sollen, dass die Untersuchungen an ihnen Teil einer Studie seien.