Berlin. Die Deutschen stehen stark unter Druck: Selbst in der Freizeit schaffen es viele nicht, abzuschalten. Auf Dauer kann das krank machen.

Der Job, die Kinder, das ewig blinkende Smartphone – Deutschland ist gestresst, und das hat viele Gründe. Rund zwei Drittel der 1200 Befragten in einer Studie der Techniker Krankenkasse (TK) erleben manchmal oder häufig Stress. Sie stehen stellvertretend für die ganze Bevölkerung. Die Belastung hat Konsequenzen: Die Zahl der Krankentage wegen psychischer Krankheiten hat sich seit 2006 nahezu verdoppelt. Mit ihrer zweiten großen Befragung zu dem Thema hat die Krankenkasse Ursachenforschung betrieben. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie im Überblick:

Mangelnde Anerkennung im Job

Der Faktor Nummer eins ist für die meisten die Arbeit: 46 Prozent der Befragten, die Stress haben, nannten ihren Job als einen Auslöser. Gründe sind die vielen Termine und die Hektik, häufige Unterbrechungen und vor allem viel zu viel Arbeit.

Aber auch Wertschätzung am Arbeitsplatz spielt eine große Rolle – vier von zehn Teilnehmern nannten mangelnde Anerkennung als Problem. Das sei ein wichtiger Aspekt, sagt Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK: Anerkennung im Job könne negativen in positiven Stress umwandeln.

Chefs sollten mit gutem Beispiel vorangehen

Mazda Adli, Chefarzt für Psychiatrie an der Fliednerklinik und Stressforscher an der Charité, bestätigt das. „Chefs müssen wissen, wie sie richtig Wertschätzung und Lob äußern“, so Adli. „Wir brauchen Unternehmenskulturen, die mit psychischer Gesundheit als einem wertvollen Gut umgehen.“ Führungskräfte müssten außerdem mit gutem Beispiel vorangehen und selbst auf einen Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit achten.

Obwohl Stress im Job weit verbreitet ist, stellt der Beruf für viele auch eine Quelle der Bestätigung dar: 71 Prozent der Antwortgebenden haben Spaß an ihrer Arbeit.

Smartphone sabotiert den Feierabend

Einen Teil der Erklärung für die vielen Krankentage tragen viele in der Hosentasche herum. Mit dem Smartphone kommen E-Mails aus dem Job oft mit nach Hause, Feierabend heißt nicht mehr unbedingt Feierabend. Ständig erreichbar sein zu müssen, empfinden 28 Prozent der befragten Berufstätigen als belastend. Vier von zehn Beschäftigten sagten, dass sie auch abends und am Wochenende oft nicht richtig abschalten können, einige schaffen das nicht einmal im Urlaub.

Wer gedanklich nie richtig aus dem Büro rauskommt und so ein konstant hohes Level an Belastung hat, leidet dann auch deutlich öfter an stressbedingten Krankheiten: Der Anteil derjenigen, die sich ausgebrannt fühlen, die über Verspannungen und Schlafstörungen klagen, ist unter den Beschäftigten, die immer „an“ sind, deutlich höher als unter jenen, die auch gedanklich in den Feierabend gehen. Baas kritisiert die Erwartung ständiger Verfügbarkeit als ein Problem der Unternehmensführung: „Da läuft in der Betriebsorganisation etwas falsch. Das spricht nicht für eine gesunde Unternehmungskultur.“

Männer und Frauen sind unterschiedlich gestresst

Auch wenn die durchschnittlichen Stresslevel vergleichbar sind – die Ursachen für die Belastung unterscheiden sich nach Geschlecht. Während Männer den Job als wichtigsten Grund für Stress angaben, landete der bei den Frauen auf Platz zwei. Rund die Hälfte der befragten Frauen gab an, dass es vor allem ihre eigenen Ansprüche seien, die sie unter Druck setzten.

Auch gehen sie anders mit der Belastung um: Nach Angaben der Techniker Krankenkasse sind unter ihren Versicherten Frauen zwischen 26 und 50 doppelt so häufig in Psychotherapie wie Männer derselben Altersgruppe. Allerdings nicht, weil sie anfälliger wären für psychische Erkrankungen. „Frauen sind klüger darin, zu erkennen, wann sie Hilfe brauchen“, so Baas.

Mehr Krankmeldungen wegen psychischer Leiden

Die Liste der Krankheiten, die intensiver und anhaltender Stress auslösen oder verschlimmern kann, ist lang. Verspannungen und Rückenschmerzen, Erschöpfung, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Migräne und Nervosität sind häufige Leiden und auch unter den Befragten weit verbreitet. Vor allem Rückenschmerzen kennen viele, jeder Zweite leidet darunter. Mehr als ein Drittel der Studienteilnehmer gab außerdem an, sich häufig erschöpft oder ausgebrannt zu fühlen – eine „alarmierende“ Zahl, so die TK.

Auch Depressionen können mit Stress zusammenhängen. Das ist laut Einschätzung von Adli mit ein Grund für die so rasant gewachsene Zahl von Krankmeldungen wegen psychischer Leiden: „Vieles, was früher vor ein paar Jahren als Rückenleiden oder andere Krankheit diagnostiziert wurde, wird heute als Depression erkannt“, sagt er. „Es gibt ein erhöhtes Bewusstsein für psychische Erkrankungen bei Hausärzten.“

Hobbys als Entspannungsmethode

Die Unternehmenskultur mag für den einzelnen schwer zu ändern sein, dem individuellen Stress zumindest lässt sich mit Entspannung entgegenwirken. Auch nach Ausgleichsstrategien haben die Studienmacher gefragt und eine lange Liste an Antworten bekommen. Ganz oben stehen bei den Entspannungsmethoden Hobbys und schlicht das Faulenzen – rund 70 Prozent der Befragten gleichen so die Anstrengung des Tages aus.

Und obwohl Kinder auf der Liste der Auslöser für Stress auftauchen – immerhin ein Fünftel der Gestressten sagte, dass Kindererziehung sie belastet – tragen sie offensichtlich auch zur Entspannung bei: Zeit mit der Familie und den Freunden zu verbringen, ist zum Abschalten beliebter als zum Beispiel Spaziergänge, Musik hören, lesen oder fernsehen. „Wichtig ist, dass auf Belastung immer Entlastung folgen muss“, erklärt Adli. „Wie das geht, ist eine persönliche Sache.“