Washington. Der schwere Wirbelsturm „Matthew“ hat Teile Haitis fast komplett zerstört, nun ist er auf dem Weg in Richtung USA. Die Sorge ist groß.

„Unser Dach ist gerade weggeflogen. Verdammt, wären wir doch besser rechtzeitig gegangen.“ Der panisch klingende Anrufer aus Merrit Island, unterhalb des Nasa-Weltraumbahnhofs in Cape Canaveral gelegen, war gestern der personifizierte Alptraum der Katastrophenschützer in Florida.

Trotz generalstabsmäßiger Warnung von US-Präsident Barack Obama bis Gouverneur Rick Scott ignorierten Tausende Anwohner im Südosten der Vereinigten Staaten die für insgesamt drei Millionen Menschen geltende Evakuierungs-Aufforderung. Sie versuchten Hurrikan „Matthew“, der mit Windgeschwindigkeiten bis zu 200 Stundenkilometer gegen die Küste peitschte, auszusitzen. Und das, obwohl der Wirbelsturm zuvor auf der Karibikinsel Haiti fast 500 Menschenleben gefordert hatte.

„Land unter“ binnen Sekunden

„Das ist wirklich sträflich leichtsinnig“, wandte sich Lenny Curry mit flehendem Ton im Nachrichten-Sender CNN an die Bürger, „bitte nehmen Sie ihre Familie und fahren Sie ins Inland.“ Der Bürgermeister von Jacksonville im Nordosten Floridas muss damit rechnen, dass der Mega-Sturm auf seinem bisher vorhergesagten Weg entlang der Küste bis zu fünf Meter hohe Wasserwände flussaufwärts in den St. Johns River von Jacksonville peitschen wird. „Binnen Minuten heißt das hier ‚Land unter‘“, sagt Ed Rappaport vom Nationalen Hurrikan-Center (NHC) in Miami, „dann muss mit Toten gerechnet werden.“

Hurrikan „Matthew“ wütet in der Karibik

Hurrikan „Matthew“ fegte über die Karibik hinweg. Zerstörte Häuser, entwurzelte Bäume und Überschwemmungen waren die Folge – Hunderte Menschen starben.
Hurrikan „Matthew“ fegte über die Karibik hinweg. Zerstörte Häuser, entwurzelte Bäume und Überschwemmungen waren die Folge – Hunderte Menschen starben. © REUTERS | NASA
In Playa Gelee, Haiti, hat der Hurrikan schwere Verwüstungen angerichtet.
In Playa Gelee, Haiti, hat der Hurrikan schwere Verwüstungen angerichtet. © dpa | Orlando Barría
Der Wirbelsturm drückte die Wassermassen über die Mauern an der Küste von Charleston, South Carolina.
Der Wirbelsturm drückte die Wassermassen über die Mauern an der Küste von Charleston, South Carolina. © REUTERS | JONATHAN DRAKE
An einer Tankstelle in Daytona Beach, Florida, hat der Hurrikan für schwere Schäden gesorgt.
An einer Tankstelle in Daytona Beach, Florida, hat der Hurrikan für schwere Schäden gesorgt. © dpa | Willie J. Allen Jr
In der Stadt ist auch eine Shopping-Mall durch den schweren Sturm in Mitleidenschaft gezogen worden.
In der Stadt ist auch eine Shopping-Mall durch den schweren Sturm in Mitleidenschaft gezogen worden. © dpa | Willie J. Allen Jr
Der Sturm zerrte an Bäumen in Les Cayes, Haiti.
Der Sturm zerrte an Bäumen in Les Cayes, Haiti. © REUTERS | ANDRES MARTINEZ CASARES
In Les Cayes versuchten die Menschen, sich in Sicherheit zu bringen.
In Les Cayes versuchten die Menschen, sich in Sicherheit zu bringen. © REUTERS | ANDRES MARTINEZ CASARES
Starke Überschwemmungen erschwerten die Evakuierungen, hier in Grand Goave, Haiti.
Starke Überschwemmungen erschwerten die Evakuierungen, hier in Grand Goave, Haiti. © dpa | Orlando Barria
„Matthew“ zerstörte nicht nur Häuser in Haiti, auch ganze Brücken kollabierten im Sturm.
„Matthew“ zerstörte nicht nur Häuser in Haiti, auch ganze Brücken kollabierten im Sturm. © REUTERS | CARLOS GARCIA RAWLINS
Schadensbegutachtung am Tag danach in Haiti.
Schadensbegutachtung am Tag danach in Haiti. © REUTERS | CARLOS GARCIA RAWLINS
Überschwemmte Straßen in den Orten Grand Goave...
Überschwemmte Straßen in den Orten Grand Goave... © dpa | Orlando Barria
...und Les Cayes.
...und Les Cayes. © REUTERS | ANDRES MARTINEZ CASARES
Von der Straße ist nichts mehr zu sehen, stattdessen fließt ein reißender Fluss durch Legane, Haiti.
Von der Straße ist nichts mehr zu sehen, stattdessen fließt ein reißender Fluss durch Legane, Haiti. © dpa | Orlando Barria
Kaum hatte sich der Sturm abgeschwächt, begannen die Reparaturen an den Häusern.
Kaum hatte sich der Sturm abgeschwächt, begannen die Reparaturen an den Häusern. © REUTERS | ANDRES MARTINEZ CASARES
Bis die Häuser wieder bewohnbar sind, dürfte viel Zeit vergehen.
Bis die Häuser wieder bewohnbar sind, dürfte viel Zeit vergehen. © REUTERS | CARLOS GARCIA RAWLINS
In Jeremie flüchteten die Menschen mit ihren Habseligkeiten. Haiti liegt wie die Dominikanische Republik auf der Insel Hispaniola.
In Jeremie flüchteten die Menschen mit ihren Habseligkeiten. Haiti liegt wie die Dominikanische Republik auf der Insel Hispaniola. © REUTERS | CARLOS GARCIA RAWLINS
Auch über Kuba ist „Matthew“ hinweggezogen. Am Tag danach bot sich in Baracoa ein Bild der Zerstörung.
Auch über Kuba ist „Matthew“ hinweggezogen. Am Tag danach bot sich in Baracoa ein Bild der Zerstörung. © dpa | Alejandro Ernesto
Aus Angst vor Plünderern kehrten die Menschen auf Kuba schnell aus den Notunterkünften in ihre Häuser zurück.
Aus Angst vor Plünderern kehrten die Menschen auf Kuba schnell aus den Notunterkünften in ihre Häuser zurück. © REUTERS | ALEXANDRE MENEGHINI
Hohe Wellen und starke Winde kündigten „Matthew“ an, hier in Baracao, Kuba.
Hohe Wellen und starke Winde kündigten „Matthew“ an, hier in Baracao, Kuba. © dpa | Alejandro Ernesto
Nur ein paar hundert Kilometer von Kuba entfernt: Experten betrachten Radarbilder von „Matthew“ im National Hurricane Center in Miami, Florida.
Nur ein paar hundert Kilometer von Kuba entfernt: Experten betrachten Radarbilder von „Matthew“ im National Hurricane Center in Miami, Florida. © dpa | Cristobal Herrera
In South Carolina trafen die Menschen Vorkehrungen gegen den Wirbelsturm.
In South Carolina trafen die Menschen Vorkehrungen gegen den Wirbelsturm. © REUTERS | RANDALL HILL
Die Menschen deckten sich mit Lebensmitteln ein, um sich auf den Sturm vorzubereiten, hier in Miami, Florida.
Die Menschen deckten sich mit Lebensmitteln ein, um sich auf den Sturm vorzubereiten, hier in Miami, Florida. © dpa | Cristobal Herrera
Leer gefegt sind die Getränkeregale in einem Supermarkt in South Daytona, Florida.
Leer gefegt sind die Getränkeregale in einem Supermarkt in South Daytona, Florida. © REUTERS | PHELAN EBENHACK
Auch an den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen.
Auch an den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen. © dpa | Cristobal Herrera
Staus auf den Autobahnen ins Inland, hier in South Carolina – rund eine Million Menschen wurden aufgerufen, von der Küste ins Landesinnere zu fahren.
Staus auf den Autobahnen ins Inland, hier in South Carolina – rund eine Million Menschen wurden aufgerufen, von der Küste ins Landesinnere zu fahren. © dpa | Sean Rayford
Stau auf der Autobahn aus Charleston in Richtung Westen.
Stau auf der Autobahn aus Charleston in Richtung Westen. © REUTERS | JONATHAN DRAKE
Menschen schlafen im Flur einer Schule, die als Notunterkunft genutzt wird, während der Hurrikan Richtung Melbourne, Florida, zieht.
Menschen schlafen im Flur einer Schule, die als Notunterkunft genutzt wird, während der Hurrikan Richtung Melbourne, Florida, zieht. © REUTERS | HENRY ROMERO
Am Freitag sind Ausläufer des Sturms auf Daytona Beach in Florida getroffen.
Am Freitag sind Ausläufer des Sturms auf Daytona Beach in Florida getroffen. © REUTERS | PHELAN EBENHACK
Auch in Port Fierce gab es erste Auswirkungen. Bäume wurden entwurzelt.
Auch in Port Fierce gab es erste Auswirkungen. Bäume wurden entwurzelt. © dpa | Cristobal Herrera
In dem Ort wurde auch eine Tankstelle in Mitleidenschaft gezogen als umherfliegende Teile die Zapfsäulen trafen.
In dem Ort wurde auch eine Tankstelle in Mitleidenschaft gezogen als umherfliegende Teile die Zapfsäulen trafen. © dpa | Cristobal Herrera
Die Warnungen in den USA gelten für insgesamt zwölf Millionen Menschen. Bewohner von Küstengebieten sind aufgerufen, sich ins Landesinnere zu begeben.
Die Warnungen in den USA gelten für insgesamt zwölf Millionen Menschen. Bewohner von Küstengebieten sind aufgerufen, sich ins Landesinnere zu begeben. © dpa | Cristobal Herrera
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Während der Süden, vor allem die Inselkette der Florida Keys, weitgehend von „Matthew“ verschont blieb, richteten sich Nationalgarde, Krankenhäuser und Katastrophenhelfer fest darauf ein, dass der „tropische Terrorist“ bis zum Sonntag an der gesamten 1000 Kilometer langen Ost-Küste Floridas wie auch in Georgia und South Carolina zuschlagen wird. „Das Ausmaß dieser Naturkatastrophe wird erst in den nächsten Tagen feststellbar sein“, erklärte Gouverneur Scott.

Für Monate unbewohnbar

Darum lösten Berichte des Pseudo-Nachrichten-Portals „Drudge Report“ einhellige Empörung aus. Danach hat die Obama-Regierung die Gefahr des Hurrikans maßlos übertrieben, um ihre umstrittene Klimaschutzpolitik zu propagieren.

Die wahrscheinlichen Schäden des Sturms könnten Teile Zentral-Floridas „für Wochen oder sogar Monate unbewohnbar“ machen, erklärte der Katastrophenschutz „Fema“. „Für die Irreführung müsste man Drudge verklagen“, sagten Experten des Nationalen Klimabehörde NOAA, „Matthew ist extrem lebensgefährlich.“

Vor allem Trailerparks gefährdet

Wie gefährlich genau, das versuchten Wissenschaftler den ganzen Freitag über bei ihren im Fernsehen übertragenen Aufklärungsflügen zu ermitteln. Mit Spezialflugzeugen flogen sie durch den Hurrikan, dessen „Auge“ im Durchmesser bis zu 90 Kilometer groß war. Sie warfen kleine Sonden ab, die, gebremst durch winzige Fallschirme, durch die aufgewühlten Luftmassen rasen, dabei Temperatur und Windgeschwindigkeit messen und in Echtzeit an die Bodenstation übermitteln. Zwischenstand: „Matthew“, auf dem Weg von der Karibik von Stufe 4 auf Stufe 3 kategorisiert, lauert weiter kurz vor der Küste. An Land gegangen ist er bisher (Stand: 16:30 Uhr deutscher Zeit) nicht.

Hurrikan „Matthew“ auf dem Weg entlang der Küste Floridas.
Hurrikan „Matthew“ auf dem Weg entlang der Küste Floridas. © REUTERS | NOAA

Sollte sich sein Kurs ändern, wären vor allem die Trailerparks Floridas, in denen viele sozial schwache Bürger leben, akut gefährdet. Frühere Stürme machten aus den Mobile Homes regelmäßig Kleinholz. So auch 2005. Damals wütete „Katrina“. Epi-Zentrum: New Orleans. Mit 1800 Toten und Sachschäden von über 120 Milliarden Dollar der folgenschwerste Hurrikan der jüngeren Vergangenheit.

Hamsterkäufe in den Supermärkten

Hurrikans werden nach der Saffir-Simpson-Skala in fünf Kategorien eingeteilt. Schon die schwächsten ab etwa 120 Stundenkilometern können Küstenstraßen überfluten und Häuser demolieren. Stürme der Kategorie 5 wie „Katrina“ (ab 250 km/h) bringen Gebäude zum Einsturz.

Die Naturgewalten rund um „Matthew“ hatten das öffentliche Leben im Südosten der USA bereits seit Donnerstag lahmgelegt. 5000 Flüge wurden abgesagt, Vergnügungsparks wie Disneyland sowie Schulen und Universitäten geschlossen. Fast 600.000 Haushalte waren am Freitag vorübergehend ohne Strom. Dutzenden Tankstellen ging das Benzin aus. Supermärkte wurden von Hamsterkäufern geleert.

Totalschaden in Haiti

Auf den Autobahnen gen Norden und Westen kam es zu kilometerlangen Staus. Wer bis Freitagmorgen nicht das Weite gesucht hatte, dem impften Offizielle ein: „Bunkern Sie sich ein. Warten Sie das Sturmende ab.“

Der Wirbelsturm zerstörte ganze Dörfer in Haiti.
Der Wirbelsturm zerstörte ganze Dörfer in Haiti. © REUTERS | CARLOS GARCIA RAWLINS

Während die USA noch vor „Matthew“ zitterten, analysierte das in den Medien oft vergessene Haiti bereits den Totalschaden. 1,5 Millionen Menschen sind auf der bitterarmen Karibikinsel betroffen, die vor sechs Jahren nach einem schweren Erdbeben 200.000 Tote zu beklagen hatte. 350.000 Menschen benötigen nach Aussagen der Vereinten Nationen dringend sauberes Trinkwasser und Nahrung. Luftaufnahmen zeigten im Südwesten Schneisen der Verwüstung. Haiti steht vor dem Wiederaufbau. Schon wieder.