Washington. Mit 91 Jahren entschied sich Norma Bauerschmidt für Reisen statt für die Krebstherapie. Jetzt ist „Driving Miss Norma“ gestorben.

„Road-Trip statt Chemotherapie und Hospiz.“ „Lebenslust im letzten Stadium.“ Wer die Schlagzeilen und Interneteinträge nachliest, die Norma Bauerschmidt bis zu ihrem Tod in den vergangenen 15 Monaten weltweit auslöste, kriegt eine leise Ahnung, warum die traurige Nachricht, die jetzt aus dem kleinen Friday Harbour im US-Bundesstaat Washington ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat, Hunderttausende bewegt. Eine 91-Jährige hat der Welt gezeigt, dass man den Abschied mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen angehen kann. Und mit der Lust auf ein spätes Abenteuer.

Leo, ihr Mann, war nach 67 Jahren glücklicher Ehe gerade gestorben. Da erfuhr Norma Bauerschmidt im Sommer vergangenen Jahres die niederschmetternde Diagnose. Gebärmutterkrebs. Stadium 4. Nicht mehr viel zu machen.

Hunderttausende nahmen am Schicksal der Seniorin teil

Im konventionellen Fall wäre die alte Dame nach OP, Bestrahlung und Chemotherapie in einem Heim, im günstigsten in einem teuren Hospiz gelandet, um die letzten Wochen oder Monate abzuwarten. Genau das kam für die kleine Frau aus Presque Isle/Michigan aber nicht infrage. „Ich bin 90, ich hau ab“, ließ sie damals Nachbarn und Freunde wissen.

Bauerschmidt tauschte ihr Heim mit dem zwölf Meter langen RV-Wohnmobil, das schon lange das Zuhause von Sohn Tim und dessen Partnerin Ramie war. Beide Mittsechziger, beide pensioniert, haben das Heute-hier-morgen-dort-Nomaden-Leben gewählt und cruisen seit Jahren kreuz und quer durch die Weiten Amerikas. Nachdem die Ärzte prinzipiell grünes Licht gaben, wurde Norma neben Pudel Ringo zum ständigen Fahrgast. Und zur Begleiterin für Hunderttausende, die via Internet am Schicksal der Seniorin Anteil nahmen. Binnen weniger Wochen wurde Bauerschmidt zum Star.

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Facebook erklärt sie nach 400.000 „Likes“ zur öffentlichen Person. An manchen Tagen besuchten zwei Millionen Menschen die Seite, die Ramie für sie zusammengebastelt hatte.

Norma Bauerschmidt lebte auf

Das Abenteuer ihres Lebens veränderte die 90-Jährige auf wundervolle Weise. Anfangs zeigen die Fotos eine unsichere, tief gebeugte Frau mit ernster Miene. Schon nach wenigen Wochen, spätestens nach ihrem ersten Besuch im imposanten Yellowstone-Nationalpark, hellte sich ihr Gesicht auf. Später schnitt sie Grimassen, lachte herzlich und oft.

Norma Bauerschmidt, todkrank, lebte auf, nahm an Gewicht zu, fand Freude an den Wundern der Natur, die Amerika im Übermaß zu bieten hat. Reisen bildet(e) – bei ihr neues Vertrauen in die Fähigkeit, die letzte Etappe so lebenswert wie möglich zu gestalten. Auch im Rollstuhl.

Autogramme von „Driving Miss Norma“

Auf ihrer Reise lebte Norma Bauerschmidt auf, nahm an Gewicht zu und fand Freude an der Natur.
Auf ihrer Reise lebte Norma Bauerschmidt auf, nahm an Gewicht zu und fand Freude an der Natur. © dpa | Ramie B. Liddle

Auf Camping-Plätzen wurde Norma Bauerschmidt nach wenigen Monaten schnell erkannt. Wildfremde schüttelten ihr die Hand, wollten Autogramme. „Driving Miss Norma“, die so benannte Internetseite, weckte das Interesse der Medien. Große TV-Networks wie CBS begleiteten das Wohnmobil.

Nach der Ausstrahlung des Berichts gingen Tausende Zuschauer-Reaktionen ein. Viele reagierten hoch emotional, freuten sich für die alte Frau, die mit großen Kinderaugen fast jeden Tag eine neue „Sensation“ erlebte, wie sie einmal selbst sagte: die erste Pediküre, die erste Zitronen-Torte, die erste Fahrt in einem Heißluftballon, der erste frisch gefangene Hummer in Maine, das erste Pastrami-Sandwich in Pittsburgh, der erste Blick in die Tiefen des Grand Canyon.

Ein Hospiz-Team unterstützte sie am Schluss

Die Lebensfreude, das kleine Glück der Norma Bauerschmidt löst eine Welle von Danksagungen aus. „Euch mit eurer Mutter lachen zu sehen, stellt meinen Glauben an die Menschheit wieder her“, schrieb erst vor zwei Wochen ein Facebook-Freund. Die Hauptperson legt sich eine Standardantwort zurecht auf die Frage, wo es ihr am besten gefällt: „Genau da, wo ich gerade bin.“

Im September wurden die Fotos von Norma Bauerschmidt immer weniger. Ihr Zustand verschlechterte sich binnen Tagen. Tim und Ramie organisierten auf den San-Juan-Inseln oberhalb von Seattle an der Westküste ein mobiles Hospiz-Team. In Friday Harbour machte Norma Bauerschmidt Ende vergangener Woche für immer die Augen zu. Sie schlief friedlich und ohne Schmerzen im Wohnmobil ihrer Kinder ein. Nach 20.000 unvergesslichen Kilometern.

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