Washington/San Francisco . Das höchste Wohnhaus von San Francisco neigt sich 40 Zentimeter zur Seite und bekommt Risse. Jetzt klagen Bewohner der Luxus-Wohnungen.

Morgens mit unverstelltem Blick auf die Bucht von San Francisco und die imposante Golden-Gate-Brücke aufstehen – wer würde das nicht gern wollen. Für die Besitzer der Penthouse-Wohnungen des 58 Stockwerke hohen Millennium Tower war diese Perspektive bis vor wenigen Wochen allenfalls von den Nebelwänden getrübt, die regelmäßig die Stadt einhüllen.

Doch inzwischen sind die 500.000 bis zwölf Millionen Dollar teuren Appartements rapide im Wert gefallen, manche um 75 Prozent. Der Grund mutet bizarr an: Das mit über 200 Meter höchste Gebäude der stark erdebengefährdeten Metropole an der amerikanischen Westküste ist um über 40 Zentimeter abgesunken. Nicht gleichmäßig. Darum neigt der Glitzerturm an der Spitze inzwischen über 40 Zentimeter zur Seite. Lokalredakteure des „Chronicle“, die den gigantischen Baupfusch „ausgegraben“ haben, schreiben fast täglich über den „schiefen Turm von San Francisco“.

Risse in den teuren Marmorböden der Luxus-Wohnungen

Im Inneren äußert sich das Phänomen bereits durch Risse in den teuren Marmorböden und erste Wasserlecks. Auch der Weinkeller, den jeder Eigentümer mit teuren Roten bestücken darf, soll schon Kratzer abbekommen haben. Aber es kommt noch dicker.

Weil Baufachleute vorhersagen, dass die superteure Immobilie voraussichtlich weitere 40 Zentimeter im Erdreich verschwinden wird, machen sich Topmieter wie der legendäre ehemalige Quarterback der örtlichen Football-Mannschaft 49ers, Joe Montana, nicht nur akut Sorgen über die Funktionsfähigkeit von Fahrstühlen, Abwasserrohren und Fensterscheiben, sondern auch mit Top-Anwälten vertraut. Mit einer Sammelklage in Höhe von fast 500 Millionen Dollar wollen sie dem Bauherrn Millennium Partners Schadenersatz abtrotzen – und dann „nur noch weg“.

Keiner will Schuld sein an den Baumängeln

Der Entwickler reicht den Schwarzen Peter unterdessen weiter an die städtische Transbay Joint Powers Authority, die neben dem Wolkenkratzer einen Bahnhof baut und deshalb tief baggern muss. Nur dadurch, so die Architekten, sei das Erdreich in Bewegung geraten. „Unsinn“, lautet der Konter. Als Beleg wurden just frisch aufgetauchte Unterlagen der städtischen Bauaufsicht herangezogen. Danach gab es bereits vor der Eröffnung des Gebäudes vor sieben Jahren „erhebliche Bedenken“ in puncto Standfestigkeit. Die Gründe leuchten auch Laien ein.

Der Standort an der Mission Street Hausnummer 301 ist über Jahrzehnte der Bay von San Francisco abgetrotzt worden. Mit Lehm und Abfall, zum Teil noch aus den Hinterlassenschaften des schweren Erdbebens von 1906, wurde das Terrain aufgefüllt. Bombenfester Untergrund sieht anders aus.

Prof. Greg Deierlein, an der renommierten Stanford-Universität Experte für Bauwesen in Erdbebengebieten: „Es besteht Anlass zur Beunruhigung.“ Der Tower ist aus Beton. Die meisten anderen haben ein Stahlgerippe.

Kreative Lösung für die Probleme

Was tun? In Bauingenieursforen ist von unterirdischen Verfüllungen, zusätzlichen Stützpfeilern und anderen nachträglichen Korrekturen die Rede. Allesamt haben sie eine Eigenschaft: „Sie sind unglaublich teuer“, sagt ein Ingenieur der Stadtverwaltung. Und ob sie auf Dauer helfen – niemand weiß es. Auf eine radikale und doch irgendwie sehr amerikanische Lösung ist darum Tom Leslie, Professor für Architektur-Design aus Iowa, verfallen. Er schlägt vor, in unmittelbarer Nähe ein weiteres Hochhaus zu bauen und dieses mit dem Pisa-Turm-ähnlichen Millennium Tower zu verbinden. „Das neue Gebäude gleicht die Neigung des alten aus und hilft so dabei, dass es aufrecht stehen bleibt.“ Fehlt nur noch ein Investor.