Berlin. Pfefferspray boomt, jetzt will die Bahn auch Zugbegleiter damit ausrüsten. Die werden vor allem in Großstädten immer öfter attackiert.

Sie werden angepöbelt und beleidigt, bespuckt oder gar mit Messern attackiert. Mehr als 1100 Angriffe auf Mitarbeiter hat die Deutsche Bahn in diesem Jahr schon registriert, 28 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Jetzt will das Unternehmen zurückschlagen: Zugbegleiter sollen künftig mit Pfefferspray ausgerüstet werden, um sich in Notsituationen wehren zu können. Aber das Vorhaben wirft viele Fragen auf.

Ist Pfefferspray eine Gefahr für unbeteiligte Fahrgäste?

„Wenn Pfefferspray eingesetzt wird, hat das natürlich Auswirkungen auf die Fahrgäste“, sagte ein Bahnsprecher unser Redaktion. „Wir wissen, dass wir hier Neuland betreten und sind uns der Verantwortung bewusst.“ Man experimentiere mit verschiedenen Fabrikaten und sei in Gesprächen mit Herstellern. „Unser Ziel ist es, ein Abwehrspray zu entwickeln, das Unbeteiligte möglichst wenig beeinträchtigt.“

Laut dem Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler (VDB) gibt es solche Mittel schon. „Es gibt Fabrikate, die einen festen und gezielten Gel-Strahl abgeben und auch nicht nach links oder rechts streuen“, erklärt VDB-Geschäftsführer Ingo Meinhard. „Davon wären dann auch keine unbeteiligten Fahrgäste betroffen.“

Ist das Bahn-Vorhaben praktikabel?

„Wenn man Pfefferspray nicht gegen Tiere einsetzen will, braucht man dafür den kleinen Waffenschein“, erklärt Ingo Meinhard. „Und um den zu bekommen, wird man komplett durchleuchtet vom Bundeskriminalamt, vom Landeskriminalamt, vom Staatsschutz und vom Gesundheitsamt.“ Wer einmal Probleme mit Alkohol oder Drogen gehabt habe oder als gewalttätig aufgefallen sei, könne den Schein nicht bekommen.

„Die Bahn würde also Infos über ihre Mitarbeiter bekommen, die sie gar nichts angehen“, sagt Meinhard. „Ganz abgesehen davon, dass die Wartezeit für den kleinen Waffenschein jetzt schon bei einem halben Jahr liegt.“

Werden alle Zugbegleiter mit Pfefferspray ausgestattet?

Nein. Die Bahn hat nach eigenen Angaben etwa 40.000 Mitarbeiter an der „Kundenfront“, Pfefferspray soll es aber vorerst nur versuchsweise in einigen Regionen geben, etwa in Berlin und Hamburg sowie dem Ruhrgebiet – dort, wo der Großteil der Attacken registriert wurde.

Versorgt werden sollen außerdem Zugbegleiter, die bei Fußballspielen, Demonstrationen oder Massenveranstaltungen wie dem Oktoberfest zum Einsatz kommen: „Also überall dort, wo das Aggressionspotenzial besonders hoch ist“, sagt der Bahnsprecher.

Hat die Bahn Erfahrungen mit dem Einsatz von Pfefferspray?

Allerdings. Die Bahn beschäftigt aktuell etwa 3700 Sicherheitskräfte (die Zahl soll nun auf 4200 steigen), die standardmäßig mit Pfefferspray ausgestattet sind. Weit mehr als die Hälfte der registrierten Attacken richten sich gegen diese Bahnmitarbeiter. Pro Jahr gebe es bundesweit eine „Handvoll“ Fälle, in denen Sicherheitskräfte tatsächlich Pfefferspray einsetzen – allerdings auf Bahnhöfen.

„Aus diesen Erfahrungen wissen wir aber, dass allein die Drohung mit Pfefferspray eine Situation meistens schon beendet“, heißt es von der Bahn. „Unsere Zugbegleiter werden jetzt nicht mit dem gezückten Pfefferspray durch den Zug laufen.“

Werden die Zugbegleiter für den Umgang mit Pfefferspray geschult?

„Bevor unsere Zugbegleiter Abwehrsprays bekommen, werden sie intensiv ausgebildet“, sagt der Bahnsprecher.“ Erst wenn es gar nicht mehr anders gehe, werde das Spray genutzt. „Unsere Sicherheitskräfte gehen mit diesem Einsatzmittel schon sehr verantwortungsvoll um. So möchten wir das auch für unsere Zugbegleiter.“

Schon jetzt nehmen Zugbegleiter an Schulungen teil, in denen sie lernen, brenzlige Situationen einzuschätzen und Gefahren zu vermeiden. Diese Schulungen sollen künftig verpflichtend sein und regelmäßig aufgefrischt werden. Für das Sicherheitspersonal sind sechs bis zehn Tage Schulung im Jahr verpflichtend.

Was hält der Fahrgastverband Pro Bahn von den Plänen?

„Einerseits ist es verständlich, andererseits problematisch“, sagt Pro Bahn-Sprecher Karl-Peter Naumann unserer Redaktion. „Die Heftigkeit der Attacken gegen das Bahnpersonal hat zugenommen. Zugbegleiter haben es häufig mit angetrunkenen Personen oder Gruppen von mehreren Leuten zu tun.“ Pfefferspray sei da bestimmt keine Patentlösung, aber wenn jemand tatsächlich angegriffen werde, könne es vielleicht helfen, sagt Naumann.

Hätte der Einsatz von Pfefferspray juristische Konsequenzen?

Ob mit oder ohne kleinen Waffenschein, der Einsatz von Pfefferspray ist juristisch betrachtet eine Körperverletzung: „In einer Notwehrsituation kann der Einsatz aber gerechtfertigt sein und dann gibt es auch keine juristischen Konsequenzen“, sagt der Waffenrechtsexperte Andreas Jede unserer Redaktion. „Ich halte allerdings nichts von Pfefferspray, das ist ein sehr unangenehmes Zeug. Und im Zweifel hätte ich vor dem Lesegerät einer Schaffnerin mehr Angst.“