Berlin. Ein Australier will von den Deutschen wissen: Wie schlimm ist die Flüchtlingskrise wirklich? Im Netz bekommt er rund 5000 Antworten.

„Deutsche Reddit-Nutzer, ist die Flüchtlingskrise wirklich so schlimm, wie manche Quellen sie darstellen? Wie hat sich die Zuwanderung auf euer Leben ausgewirkt?“ Mit diesen Worten beginnt eine Frage-Antwort-Runde auf der Forenseite „Reddit. Hunderte Nutzer schildern, wie der große Zustrom an Flüchtlingen ihr eigenes Leben verändert hat. In den meisten Berichten: gar nicht. Innerhalb von 24 Stunden gab es auf die Frage 5000 Kommentare.

Gestellt hatte der Nutzer „FriendlyAnnon“ die Frage, nach eigenen Angaben halb Schweizer, halb Australier, der in Australien lebt. Ihn interessiere, wie die Deutschen über die Flüchtlingssituation in ihrem Land denken, schreibt er in einem Kommentar. Das löste eine rege Diskussion nicht nur unter Deutschen aus – und liefert ganz viele persönliche Einblicke.

„Es gibt keine Flüchtlingskrise – mehr“

Nutzer, die zu ihrer Herkunft alle Teile Deutschlands angeben, teilen ihre persönlichen Erfahrungen und Geschichten. Von Begeisterung ist wenig zu lesen, aber auch nicht von Untergangsstimmung. Der Großteil ist der Meinung, dass sich durch den enormen Zustrom an Flüchtlingen im vergangenen Jahr nichts oder nur wenig in ihrem Leben verändert habe. „Es gibt keine Krise“, schreiben Nutzer, manche auch „keine Krise mehr“. Deutschland sei schlecht vorbereitet gewesen, es gebe noch viel zu tun.

Die höchste Bewertung bekam ein Beitrag von „BardunR“. Er beschreibt darin, wie sich die Flüchtlingssituation in den vergangenen Monaten entwickelt habe. Seiner Ansicht nach gebe es zu wenig Deutschkurse für Flüchtlinge, Asylverfahren nähmen viel Zeit in Anspruch, in der Flüchtlinge nichts tun könnten, außer zu warten. „Das ist frustrierend für beide Seiten, Flüchtlinge und Anwohner“, schreibt er.

Gegenseitiges Unverständnis sei zudem der Grund dafür, dass rechte Parteien immer mehr Zuspruch erhielten. Schlechte Erfahrungen mit Flüchtlingen habe er persönlich nicht gemacht. Seine Antwort auf die Frage, ob die Flüchtlingskrise so schlimm sei: „Sie ist es und doch ist sie es nicht.“

Ein Nutzer aus den USA bedankte sich daraufhin: Die Darstellung sei sehr lehrreich für ihn als Amerikaner gewesen. Ein anderer Nutzer würdigt ebenfalls ausgewogene Schilderungen: „Das rückt Berichte in ein anderes Licht. Hier hat man in den Medien den Eindruck, es gibt eine massive Krise und einen Kampf der Kulturen in Deutschland.“

Aufklärung über die Hölle auf Erden

Das ist es, was einen anderen stört: „Ich selbst habe keine Probleme, aber ich hasse, wie uns Deutschen alle erzählen, was für ein großes Problem wir haben. Lasst Deutschland das lösen und kümmert Euch um Eure Probleme.“

Der aufklärerische Effekt ist auch, was Reddit-Nutzern, den „Redditoren“, in einem deutschen Unterforum wichtig ist: „Ich empfand die Frage und deren möglichst umfangreiche Diskussion als enorm wichtig, da gerade im außer- (z.T. aber auch inner-)europäischen Ausland das Bild vorzuherrschen scheint, dass hier die Hölle auf Erden wäre“, schreibt ein Nutzer.

Er beklagt darum, dass gezielt negative und populistische Beiträge gut bewertet worden sind, sachlich-entwarnende dagegen abgewertet wurden.

Es fällt auch auf, dass es einige negative Berichte gab von Nutzern, die in geschliffenem Englisch angaben, in der Security-Branche zu arbeiten.

„Immer mehr Leute machen, was sie wollen“

Auch der Nutzer „Sayakai“ arbeite im Sicherheitsdienst: „Es gibt gefühlt immer mehr Leute, die machen, was sie wollen“, schreibt er. Seine größte Sorge sei jedoch, dass durch die Flüchtlinge Löhne im Billiglohnsektor gedrückt würden und bezahlbarer Wohnraum immer knapper werde.

In dem deutschen Redditforum wird spekuliert, dass Trump-Unterstützer das Thema für sich entdeckt haben und längst nicht alle Beiträge auch von Deutschen sind. Verifizieren lässt sich das aber auch bei einem Großteil der Nutzer nicht, die kein Verständnis für Krisengerede haben.

Von katastrophalen Zuständen findet sich wenig in den Berichten: Es gibt Schilderungen, ungefragt gefilmt worden zu sein, beim Sport von Flüchtlingen als Frau den Ellenbogen ins Gesicht bekommen zu haben, die Sporthalle an Flüchtlinge verloren zu haben. Ein Nutzer aus Frankfurt kritisiert, manche Flüchtlinge wollten sich wirklich nicht integrieren oder anpassen, zieht aber daraus einen bemerkenswerten Schluss: „Das zeigt, dass viele auch nicht hierher gekommen sind, weil sie es hier so erstrebenswert finden, sondern weil sie wirklich aus ihrer Welt fliehen mussten.“

Einstellung gegenüber Fremden verändert

Andere Nutzer machen auf die Unterschiede zwischen der Situation in Großstädten und auf dem Land aufmerksam. „Es scheint, dass je ländlicher die Gegend ist, desto weniger werden Flüchtlinge akzeptiert“, schreibt der Nutzer „Raawrrish“. Er lebe in Köln und habe einen Unterschied zu seiner Heimatstadt festgestellt. Eine ähnliche Erfahrung teilt auch ein Nutzer aus Brandenburg, der nun in Berlin studiert. So habe sich in der Heimat, einem Ort bei Cottbus, die Einstellung der Anwohner gegenüber Flüchtlingen verändert – ins Negative. Viele Freunde und Familie dort würden aus Angst vor Übergriffen vermeiden, abends auf die Straße zu gehen.

Der User „_kemot“ etwa, der nach eigenen Angaben in Berlin-Neukölln lebt, und viel Kontakt zu Arabern und Flüchtlingen habe, schreibt: „Ich kann keinen Unterschied zwischen der Zeit vor der Krise und danach ausmachen.“ Er sei aus einem gutbürgerlichen Ort im Raum Frankfurt ins multikulturelle Neukölln gezogen. „Ich mag es hier mehr. Es ist lebhaft hier, das Essen ist besser und die Leute sind netter“, schreibt er.